Jedes Regime hat seinen Klang: Musik und Politik von 1848 bis 1989
Die Kunstgattung Musik ist eines der geistigen Produkte der Menschen. Und sie wirkt seit jeher auf die Emotionen. Das wissen auch die Machthaber oder die dominanten Eliten der jeweiligen Gesellschaft – und bedienen sich der Musik für die Umsetzung ihrer Ziele. Wie das in der tschechischen Geschichte gewesen ist, das zeigt derzeit eine Ausstellung in der Nationalen Gedenkstätte auf dem Prager Vítkov-Hügel unter dem Titel „Musik und Politik“.
„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, verschiedene Formen zu zeigen, wie Musik seit 1848 bis in die jüngste Vergangenheit verwendet oder missbraucht wurde. Das Jahr 1848 stellt dabei einen symbolischen Wendepunkt in der Geschichte dar. Auch in den Böhmischen Ländern wandelte sich damals die Stände- beziehungsweise Feudalgesellschaft schrittweise zu einer bürgerlichen Gesellschaft. Dieser Prozess vollzog sich natürlich nicht in einem einzigen Jahr. Nur allmählich änderte sich die Wahrnehmung der Politik, und parallel dazu formierten sich neue Gesellschaftsklassen. Alte Ungleichheiten waren am Schwinden, neue aber entstanden. Und einige Ungleichheiten, die bis dahin nicht so deutlich ausgeprägt waren, vertieften sich oder wurden erst augenfällig – wie zum Beispiel die Stellung der Nationalitäten oder der Geschlechter. Man spricht hier vom Beginn der Moderne.“
„Musik und Revolution“ ist eines der neun Themen der Ausstellung, es bezieht sich auch auf das Jahr 1848. Von hier wird eine Brücke geschlagen zum quasi-revolutionären gesellschaftlichen Wandel genau 100 Jahre später, nach der Machtübernahme durch die Kommunisten. Der Einsatz der Musik für politische Zwecke wies 1848 und 1948 gewisse Gemeinsamkeiten auf, aber auch Unterschiede.
„Die Verbindung von Musik und Revolution betrifft mehrere Ebenen. Einen Schwerpunkt bildete zunächst das Genre des ‚Revolutionsliedes‘. Im 19. wie im 20. Jahrhundert vermittelten die Texte dieser Songs den Menschenmassen das aktuelle Zeitgeschehen in der Regel durch eine leicht verständliche Sprache. Ihre schwungvollen Melodien, ihr Rhythmus oder der Chorgesang mobilisierten die Emotionen der Menschen, die dadurch zum Kampf gegen den Feind aufgemuntert wurden. 1848 entstanden diese Lieder praktisch spontan. Anders war das aber 1948, als es zur Machtübernahme durch die Kommunisten kam. Diese Revolution war sozusagen nicht ‚von unten‘ organisiert. Trotzdem wurde der politische Umsturz von 1948 in den nachfolgenden Jahren in einer Menge von Liedern als ‚Revolution‘ gefeiert. Dies geschah allerdings im Auftrag der Vertreter des neuen Regimes als Revolutionsträger“, so Gelnerová. Mit dem Begriff „Revolution“ und ihren musikalischen Produkten wurde geschickt manipuliert. Ein Beispiel: Unter den Audioaufnahmen ist in der Ausstellung der Titel „Rote Fahne“ zu hören. Er wurde zu einem bekannten Kampflied der 1950er Jahre, weil seine Botschaft gut in die Zeit passte. Nur die wenigsten Menschen wussten damals, dass dieses Revolutionslied schon zu Ende des 19. Jahrhunderts die Gemüter der radikalen tschechischen Patrioten erhitzt hatte. Diese Patrioten kämpften unter dem Namen „Omladina“ gegen die österreichisch-ungarische Monarchie. Einige von ihnen wurden zu bedeutenden Persönlichkeiten in der Politik und Kultur der 1918 gegründeten Tschechoslowakei. Die „Musik als Instrument für die Herausbildung einer kollektiven Identität“ ist ein weiteres Ausstellungsthema, das sich auf das 19. Jahrhundert bezieht. Gemeint ist dabei der gesellschaftliche Wandel, durch den sich das neue „Wir“ im Sinne von „Nation“ formierte. Hierzu ein Zitat von einer Texttafel:
„Die Wiedergeburt der Nation ist das Ziel, und helfen kann auch die Musik. Volkslieder bringen nationale Mythen und die (tschechische) Sprache auch dorthin, wo das gedruckte Wort nicht hingelangen kann. Komponisten und ihre Musikwerke sind dabei ein Teil der nationalen Symbolik.“
„In den Musikstücken tschechischer Komponisten, die man in Ausschnitten in der Ausstellung anhören kann, treten bekannte Gestalten aus der tschechischen Mythologie auf. Gerade dieses waren die Symbole der sich verschmelzenden Gemeinschaft, die sich als eine Nation empfinden wollte. In einer Vitrine zeigen wir zum Beispiel das mit reicher Stickerei verzierte Wollstoffgewand der Fürstin Libuše, in dem Ende des 19. Jahrhunderts die Hauptdarstellerin in Smetanas gleichnamiger Oper am Prager Nationaltheater auftrat. Das kunstvoll gestaltete Stirnband und die Perücke sind Leihgaben aus dem Nachlass der Operndiva Ema Destinnová, die diese Rolle ebenfalls später gesungen hat.“
Die Fürstin Libuše soll der Sage nach gemeinsam mit ihrem Ehemann Přemysl Oráč das spätere Königsgeschlecht der Přemysliden mitbegründet haben. Nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 wurde Libuše zu einem wahren Symbol der tschechischen Identität. Jitka Gelnarová:
„In den folgenden Jahrzehnten erfuhr dieses Symbol tschechischer Identität eine weitere politische Entwicklung. Je nach Bedarf wurde es mit einer modifizierten oder neu konstruierten Bedeutung verknüpft. Für jedes Regime gab es also eine Gestalt der Libuše, könnte man sagen. Auch nach 1948 passte sie als Zentralfigur von Smetanas gleichnamiger Oper dem Regime gut ins Konzept. Die Oper wurde oft auch zu wichtigen Anlässen aufgeführt – und das nicht selten im Beisein des Staatspräsidenten und weiterer ranghoher Staats- und Parteivertreter.“ An Anlässen mangelte es über das Jahr gesehen nicht. So wurde die Oper zum Beispiel am 7. Oktober aufgeführt, dem Jahrestag der sogenannten Großen sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 in Russland. Ebenso gut passte die „Libussa“ zum 9. Mai, der hierzulande bis 1989 als Tag der Befreiung der Tschechoslowakei durch die Rote Armee gefeiert wurde. Aufführungsort war traditionell das Prager Nationaltheater, aber wegen der historischen Symbolik wurde unter anderem auch der Vladislav-Saal auf der Prager Burg genutzt, in diesem Raum hatten früher die böhmischen Könige residiert. In den 1960er Jahren wurde Smetanas Stück zudem verwendet, um auf der Freilichtbühne der Burg Devín in Bratislava die Einheit von Tschechen und Slowaken zu demonstrieren. „Musik als Ausdruck der Staatlichkeit“, so heißt es auch in der Ausstellung. In zwei Ausstellungsteilen wird der Besucher mit dem Phänomen der Musik als einem Instrument politischer Machtausübung oder aber als Protestform gegen die Macht konfrontiert. Beides bezieht sich auf die Phase der totalen Kontrolle des Denkens und des Kunstschaffens zwischen 1948 und 1989. Hierzu gehörte die Repression in Form von umfassender Zensur und der Kriminalisierung von Künstlern. Jitka Gelnarová:„Wir erinnern an Musiker, die mit dem Regime nicht einverstanden waren, weil sie sich nicht als freie Persönlichkeiten entfalten durften. Längst nicht alle hatten dabei vorrangig politische Ziele. Nachdem sie aber ein Berufsverbot erhielten, wurde das musikalische Schaffen für die Betroffenen oft zum Protestmittel. Schon wenn jemand eine der offiziell gültigen Normen nicht einhielt, galt er in der Folge als politisch unzuverlässig. Die ausgestellten Exponate, die uns im Übrigen das Prager Popmuseum zur Verfügung gestellt hat, sagen viel über die damaligen Verhältnisse in der tschechischen Musikszene zu kommunistischen Zeiten aus. So haben wir eine selbstgebastelte Einrichtung zum Pressen von Schallplatten aus den 1950er Jahren ausgestellt. Sie war an ein Funkgerät gekoppelt, so dass die Musik von Radio Luxemburg in eine Röntgenfolie als Tonträger eingeritzt werden konnte. Ebenso ein privat und illegal gefertigtes Stück war das Mischpult, das in den 1970er Jahren zur Ausrüstung der verbotenen Rockgruppe ‚Plastic People oft the Universe‘ gehörte.“
Interessante Informationen bietet eine von den Veranstaltern als „kleines Forschungszentrum“ eingerichtete Ecke. Außer Büchern, Fachstudien oder authentischen Fotoaufnahmen kann man sich dort Interviews mit Musikern anhören, die einst vom sozialistischen Regime als „suspekte Elemente“ bezeichnet und verfolgt wurden.
Interessierte Besucher können sich auch selbst als angehende Berufsmusiker in der Zeit des Kommunismus testen. Angefangen beim Orchesterdirigenten, über die Absolventen von Musikschulen, bis hin zu den Popsängern und Liedermachern mussten alle, die ihr Brot in der Musikbranche verdienen wollten, regelmäßig eine sogenannte Qualifizierungsprüfung vor einer Kommission ablegen. Das Regime rechtfertigte die Prüfungen damit, dass nur „qualifizierte“ Kenner ihres Fachs öffentlich auftreten dürften, in Wirklichkeit nutzte es diese Prüfungen aber, um „unbequeme“ Künstler auszuschließen. Daher reichte es nicht, ein guter Sänger oder Liedermacher zu sein. Bei der Prüfung musste man auch einen Katalog von Fragen beantworten, mit denen unter anderem die politische Zuverlässigkeit getestet wurde. Wie es offiziell hieß, sollten die Bewerber mit „der politischen und gesellschaftlichen Funktion der Musik“ vertraut sein. Gefragt wurde zum Beispiel, wann der XIII. Parteitag der Kommunisten in der Tschechoslowakei stattgefunden habe und wer an der Spitze der Kommunistischen Partei in der Mongolei stehe.