Karel Hynek Mácha: Spannende Geschichte der Originalhandschrift des „Mai“-Gedichts
Karel Hynek Mácha ist der tschechische Romantiker schlechthin. Über ihn und sein Gedicht Máj ist mittlerweile sehr viel gesagt und geschrieben worden - auch bei Radio Prag. Doch die Geschichte der Originalhandschrift des „Mai“-Gedichtes ist hingegen nicht so bekannt.
Am 16. November 1810 in Prag geboren und 26 Jahre später, am 6. November 1836, im nordböhmischen Litoměřice / Leitmeritz gestorben. Trotz seines kurzen Lebens und keineswegs umfangreichen Werks ist Karel Hynek Mácha bald oder sogar gleich nach seinem Tod zum Kultautor geworden: zu einem wandelbaren Mythos, mit dem im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts auf vielerlei Art und Weise umgegangen wurde. Recht häufig wurde ein Jahrestag, der mit Máchas Leben verknüpft war, zum Anlass für Feierlichkeiten im ganzen Land genommen. Im April 1836 erschien Máchas größtes und bekanntestes Werk: das über 820 Verse umfassende Gedicht „Mai“. Das war knapp ein halbes Jahr vor seinem Tod.
Byl pozdní večer, první máj - Spätabend war´ s - der erste Mai večerní máj byl lásky čas - Ein Abendmai - der Liebe Zeit Hrdliččin zval ku lásce hlas - Zur Liebe lud des Täubchens Schrei kde borový zaváněl háj - wo der Kiefernhain die Düfte streut…
Im Mai 1843 erschien in der Zeitschrift „Květy“/ Blumen eine Nachricht, in der Máchas Bruder Michal versprach, die Werke von Karel Hynek in einem Sammelband herauszugeben. Er und ein weiterer Propagator von Máchas Werk, Karel Sabina, der unter anderem als Literat und Librettoautor einiger Opern von Bedřich Smetana in die Geschichte einging, hatten nicht genug Geld. Mit seinem Anliegen sollen sie sich also an den tschechischen Patrioten Jan Nepomuk Krouský gewandt haben. Dessen Nachkomme Jan Krouský sagt dazu:
„Aller Wahrschinlichkeit nach bat der Bruder von Karel Hynek Mácha bei einem Besuch in Katusice meinen Vorfahren um eine finanzielle Beteiligung an der zweiten ‚Mai’-Auflage. Es ist nämlich das Konzept eines an Michal Mácha adressierten Briefes erhalten geblieben, in dem Krouský mit einem Hinweis auf den angeblichen - wie es wörtlich hieß - ´Mangel an Metall´, an Geld also, schrieb, der Bitte um Hilfe nicht entsprechen zu können. Kurz danach reiste Krouský aber nach Prag und konsultierte die Angelegenheit mit Sabina. Etwas später landete die Handschrift von Máchas ´Mai´ in seiner Bibliothek. Mehr ist nicht bekannt. Wie es dazu kam, dass sie in unserer Bibliothek aufgetaucht ist, ist bis heute ein Geheimnis geblieben.“Aufgetaucht ist sie Anfang des 20. Jahrhunderts. Darum machte sich ein Familienmitglied der Krouskýs, der Gymnasiallehrer Jan Šafránek, verdient. Seine „Entdeckung“ erregte damals großes Aufsehen:
„1916 forschte der Schwager von Jan Nepomuk Krouský in der Familienbibliothek und fand dabei ein paar Zettel, auf denen handgeschriebene Ausschnitte aus Máchas ‚Mai’ zu lesen waren. Die Handschrift kam ihm bekannt vor. Er fand später noch weitere Zettel, die als Lesezeichen aus verschiedenen Zeitschriften hervorguckten. Und so gelang es wie durch ein Wunder, die Handschrift von Máchas ‚Mai’ komplett zusammenzustellen. Damit fuhr dann Jan Nepomuk Krouský nach Prag, um die Handschrift renommierten Literaturhistorikern zur Beurteilung vorzulegen. Diese identifizierten sie als Máchas Originalschrift.“Die totalitären Regime der Nazizeit und des Kommunismus brachten dieses bedeutende Kulturdenkmal allerdings erneut in Gefahr:
„Während der Verstaatlichung des Eigentums der Familie Krouský in den 1950er Jahren verschwand plötzlich die Handschrift von Máchas ´Mai´. Der Familie gelang es nämlich, sie rechtzeitig an einem geheimen Ort zu verstecken. Die Bibliothek wurde gleich nach dem Beschluss über ihre Beschlagnahmung versiegelt. Meiner Großmutter gelang es aber offensichtlich noch kurz davor, sich in die Bibliothek einzuschleichen und die Handschrift herauszuschmuggeln. Die Beamten fanden sich letztlich mit dem Gedanken ab, dass die Hadschrift wegen des Durcheinanders während der Beschlagnahmung durch einen Diebstahl verschwunden und anschließend vernichtet worden sei.“
Bis in die 1960er Jahre galt Máchas Handschrift als verschollen. Dann aber tauchte sie wieder auf. Es gab Leute, die nicht daran glaubten, dass das wertvolle Kulturgut einfach verschwinden konnte. Man war davon überzeugt, dass sich die Handschrift im Besitz der Familie Krouský befinde. Ihre sehr enge Verbindung zu diesem Werk hätte kaum seine Entwendung zugelassen, meinte man damals. In der Tat: Der Urururenkelsohn von Jan Nepomuk Krouský bestätigt diese Version:
„Der ´Mai´ war mehrere Jahre bei Verwandten unserer Familie deponiert. In ihrer privaten Bibliothek lag er gut versteckt. In den 1960er Jahren kehrte das Bändchen wieder zur Familie Krouský zurück. Die kommunistische Macht befürchtete einen internationalen Skandal und ordneten daher keine zweite Verstaatlichung an. Durch die Person von Josef Smrkovský, einem der damaligen Spitzenpolitiker, zeigten die Kommunisten eine Geste und ließen die Handschrift im Besitz unserer Familie, wo sie sich bis heute befindet.“Die Mai-Handschrift haben nur wenige Zeitgenossen von Jan Krouský gesehen. Er selbst nur dreimal, seine Kinder noch gar nicht, behauptet er. Máchas Gedicht, das auch vertont wurde und zur Filmvorlage und Inspirationsquelle für zahlreiche weitere Dichtergenerationen sowie für bildende Künstler diente, wird aber sicherlich nach wie vor nicht nur am ersten Maitag gelesen.
Dieser Beitrag wurde am 9. Mai 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.