„Wer bin ich“ – Ausstellung zum 100. Geburtstag von Bohumil Hrabal
Bohumil Hrabal gilt als einer der bedeutendsten tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche seiner Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt und einige verfilmt, darunter der bekannte Roman: „Ich habe den englischen König bedient“. Anlässlich seines 100. Geburtstages am 28. März wird in Prag eine Ausstellung über Hrabal eröffnet. Zusammengestellt wurde die Exposition vom tschechischen „Památník národního písemnictví“ (Gedenkstätte des nationalen Schrifttums) in Zusammenarbeit mit dem Berliner Literaturhaus. Einer der Kuratoren ist Tomáš Pavlíček. Der Wissenschaftler leitet das Literaturarchiv der Gedenkstätte und ist ausgewiesener Hrabal-Kenner.
„Die Ausstellung heißt nicht ‚Wer bin ich‘ mit Fragezeichen, sondern ohne Fragezeichen. Es ist eher eine Feststellung: Wer bin ich! Und zu dieser Feststellung haben wir dann im Werk von Hrabal die folgenden Antworten gefunden: ein Schriftsteller, ein Tscheche und ein Mitteleuropäer – und das ist auch der Untertitel unserer Ausstellung. Aus dieser Vorstellung heraus haben wir versucht, Hrabal als jenen herausragenden Schriftsteller darzustellen, der er ja auch war und mit dem wir uns identifizieren. Dann zeigen wir ihn natürlich als Tschechen, als Angehörigen dieser Nation, der seine ganz klaren und spezifischen Züge hatte. Und wir versuchen seine Mentalität deutlich zu machen, die eher widersprüchlich ist. Das alles ist im Rahmen des biographischen Teils der Ausstellung zu sehen. Gleichzeitig wollen wir aber auch immer zeigen, dass er ein Mitteleuropäer war, dass er die Grenzen seines Landes überschritten hat. Dies gelang ihm unter anderem dadurch, dass er von seiner Jugend an im Kontakt zum Beispiel mit dem deutschen Raum war. So kommen seine philosophischen und literarischen Inspirationen aus dieser Richtung. Aber auch in seinem persönlichen Leben spielte ein deutscher Aspekt eine herausragende Rolle, denn seine Ehefrau Eliška Plevová hatte einen sudetendeutschen Hintergrund. Also auch diese Dinge wollen wir deutlich machen.“
Hrabal war ja kein Literat im klassischen Sinne. Er begann Jura zu studieren, musste es aber wegen der Kriegsereignisse unterbrechen und hat das Studium erst 1946 beendet. Es folgten dann zahlreiche fachfremde Tätigkeiten, wir würden heute sagen, er hat gejobbt. Geschrieben hat er nebenbei. Gibt es eine Kategorie für einen solchen Literaten, etwas wie Arbeiterschriftsteller?„Er war eigentlich ein Intellektueller, heute wird das Wort abwertend genutzt, zumindest in Tschechien. Aber das war sein grundlegender Zugang, aus dem seine weiteren Schritte auch in der Lebensplanung resultierten, zum Beispiel seine ästhetische und philosophische Bildung, die er im Laufe der Zeit erwarb. Er begann als junger Mann in Nymburk als Sohn einer gut situierten Familie und lebte dort ein sehr unbekümmertes Leben. Seine ursprünglichen Pläne waren völlig andere, aber im Laufe der Zeit begann er, von der Literatur, der bildenden Kunst und der Philosophie fasziniert zu sein. Dadurch änderte sich sein ursprünglicher Plan. Dass er sich ab 1949 zum Beispiel als Hilfsarbeiter in einer Stahlhütte in Kladno verdingte, war eine bewusste und reflektierte Entscheidung. Damals entwickelte er die Vorstellung, ein wirklicher Schriftsteller zu werden. Aber dazu musste er die Dinge von unten sehen, das gewöhnliche Leben verstehen, das Leben jener Menschen, die mit ihren Händen arbeiten. Auf eine bestimmte Weise war es also umgekehrt: Er ging aus einem reflektieren Standpunkt in diese Arbeiterberufe und konnte seine Erkenntnisse für sein künstlerisches Werk nutzen, das er zwar nach der Arbeit schuf, das aber seine wirkliche Berufung war. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt. Ein Schriftsteller, der von der manuellen Arbeit lebt, entsprach ja dem Ideal des sozialistischen Realismus. Und die Schriftsteller wurden wirklich in die Produktion befohlen. Hrabal tat das hingegen aus eigenen Gründen. Er hat also das wirkliche Leben der Leute begriffen und damit das vollbracht, was keiner dieser befohlenen Schriftsteller je geschafft hat, gerade weil es seine freie und eigene Entscheidung gewesen war.“
Erst 1963 widmet sich Hrabal nur noch dem Schreiben. Er wird also mit 49 zum Vollblutschriftsteller, gibt es dann eine Veränderung in seinem Stil?„Um das zu beantworten, müssen wir auch einen Blick auf die Zeit vor 1963 werfen. Gerade 1963 erschien Hrabals Erstlingswerk ‚Das Perlchen auf dem Grund‘, aber es war eigentlich bereits 1958 fertig. Das Buch wurde zunächst aufgrund einer politischen Entscheidung verboten. In dieser Zeit arbeitete Hrabal schon in jenem Stil, der in den 1960er Jahren bestimmend werden sollte. Eigentlich hatte er schon zu Ende der 1950er Jahre einen Großteil seiner Texte geschrieben. Diese bearbeitete er dann aber im neuen Stil auf seine kreative, collagenartige Weise. Das begann gerade zu Ende der 1950er Jahre, und deswegen würde ich den Stilwechsel in diese Zeit legen. Dieser Wechsel hat aber keine wirklich klaren Grenzen, denn die Werke wurden erst später nach und nach veröffentlicht. Ein klarer Stilwechsel in der Arbeit von Hrabal lässt sich in dieser Zeit also nur in seiner künstlerischen Arbeitsweise feststellen. Dieses wurde aber erst mit einiger Verzögerung auch sichtbar.“
Hrabal erhält ja auch 1970, in der Zeit der Normalisierung nach dem Prager Frühling, ein Publikationsverbot. Waren seine Werke politisch, oder war der Autor selbst politisch?„Ich bin überzeugt davon, dass Hrabal kein politischer Mensch war und nicht politisch geschrieben hat. Er selbst behauptet das auch in seinen Texten und wiederholt in verschiedenen Epochen seines Lebens. Aus dieser Sicht kann man ihm auch zustimmen. Etwas anders fällt aber die Antwort aus, wenn man den zeitlichen Kontext betrachtet. Denn die damalige Zeit war auf ihre Art politisiert und in einem bestimmten Maß auch überpolitisiert. Wer auch immer versuchte, sich da herauszuwinden und sich zum Beispiel nicht zum System zu bekennen, traf mit diesem Schritt eine politische Entscheidung und übte damit einen oppositionellen Akt aus. Man könnte also sagen, dass Hrabal ungewollt ein sehr politischer Schriftsteller war - vor allem, weil er sich nicht prinzipiell für politische Dinge interessierte.“
Hrabal starb ja 1997 bei einem Fenstersturz aus einem Prager Krankenhaus. Oft wurde spekuliert, ob er seinen eigenen Tod sozusagen als „vierten Prager Fenstersturz“ inszeniert habe. Was denken Sie: Selbstmord oder Unfall?„Eine Antwort darauf ist schwer, und auch in der Ausstellung finden wir keine eindeutige Antwort. Ich möchte aber bei der Annäherung der Ausstellung verbleiben: Viele enge Freunde von Hrabal sind überzeugt davon, dass er freiwillig aus der Welt scheiden wollte. Davon zeugt eine Reihe literarischer Dokumente und persönlicher Beweise sowie Gespräche. Aber natürlich finden sich auch ein paar unerklärliche Dinge, die an dieser Interpretation zweifeln lassen. Denn Hrabal war zu seinem Todeszeitpunkt körperlich schwach und hatte Schwierigkeiten, sich zu bewegen, so dass er gar nicht in der Lage gewesen wäre, sich selbst von seiner Liege zu erheben. Er war zu diesem Zeitpunkt schon sehr lange an das Bett gefesselt. Die ganze Angelegenheit ist also sehr rätselhaft, und vielleicht bietet Václav Kadlec, der Redakteur ausgewählter Werke Hrabals, die beste Erklärung: Belassen wir seinen Tod als Rätsel.“
Wenn wir zurückschauen: Wie würden Sie die Bedeutung von Hrabals Werk für die tschechische Gesellschaft einschätzen?„Hrabal ist ein sehr vielschichtiger Schriftsteller. Er schildert Dinge, die er erlebt, die er gehört hat. Jemand, der sein Werk liest, kann einfach auch nur dem roten Faden in seinen Büchern folgen, sich also amüsieren. Dahinter aber, hinter dem grauen Leben und den Geschichten und Erzählungen über gewöhnliche Leute, bietet Hrabal auch eine Sicht auf die tschechische Mentalität und tschechische Gesellschaft. Und darin findet sich auf eine bestimmte Weise sicherlich auch das Besondere in seinem Werk. Vor allem wir Tschechen sind nicht fähig, das zu würdigen. Gleichzeitig geht Hrabal mit seinen Themen so um, dass sie für einen breiten Kreis an Lesern verständlich sind. Ein weiterer, interessanter Aspekt seines Schaffens ist die Frage, die Hrabal stellt: ‚Wie sind wir Tschechen?‘ Er entfacht damit eine Diskussion, die über die Grenzen Tschechiens hinausgeht. Diesen breiteren, mitteleuropäischen Aspekt versuchen wir auch in der Ausstellung zu zeigen. Wir machen deutlich, dass sich auch eine Reihe von ungarischen und polnischen Autoren von Hrabal hat inspirieren lassen. Es gibt zudem zahlreiche deutsche und schweizerische Interpretationen.“
Die Ausstellung „Wer bin ich“ über Bohumil Hrabal ist vom 2. April bis zum 31. August im Lustschloss Hvězda in Prag zu sehen. Die Räume sind täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.