Die „Kafka Band“ – Rock’n’Roll, Rezitation und tschechische Polka
Franz Kafka hat zu Lebzeiten gern betont, wie unmusikalisch er sei. Der 1883 in Prag geborene Weltliterat war außerdem davon überzeugt, dass seine Werke nicht vertont werden könnten. Nach seinem Tod griffen jedoch zahlreiche Komponisten und Musiker seine Romane und Erzählungen auf und interpretierten sie mal klassisch, mal modern. Nun ist ein weiterer Versuch hinzugekommen: die im vergangenen Sommer gegründete „Kafka Band“ mit ihrem Album „Das Schloss“, angelehnt an den gleichnamigen Roman des Prager Autors.
Die Inspiration für das Bandprojekt lieferte eine Comic-Adaption zu Kafkas unvollendetem Roman „Das Schloss“. Diese Ausgabe erschien 2013 und ist eine Gemeinschaftsarbeit von Jaromír 99 und dem US-amerikanischen Autor David Zane Mairowitz. Die scherenschnittartigen Illustrationen der Comic-Adaption werden während der Konzerte der „Kafka Band“ von einem Videokünstler eingespielt. Auf diese Weise entsteht ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Literatur, Video und Comic.
„Das Album ist ein deutsch-tschechisches Projekt. Auf ihm mischt sich Kafkas Deutsch mit dem Tschechischen, und Literatur mischt sich mit wilder Musik“, sagt Jaroslav Rudiš im Gespräch für Radio Prag.In dem Roman kommt der Protagonist, der Landvermesser K., in ein winterliches Dorf, das zur Herrschaft eines Schlosses gehört. Dieses Schloss scheint das gesamte Leben der Dorfbewohner zu kontrollieren und zu beeinflussen. K.s Aufenthalt in dem Dorf ist davon geprägt, dass er immer wieder vergeblich versucht, die Festung zu betreten. Rudiš:
„Für das erste Lied ‚Ankunft‘ haben wir die zwei ersten Absätze des Romans übernommen. Natürlich mussten wir einiges wegkürzen, denn es soll keine literarische Lesung sein. Stattdessen wollten wir ein bisschen Rock’n’Roll machen und haben deswegen versucht, aus dem Roman auch Songtexte zu schreiben.“Die Kürzungen des Romans mussten wohl überlegt vorgenommen werden, betont der Autor. Kafkas Deutsch scheine auf den ersten Blick zwar sehr einfach zu sein, in Wahrheit jedoch seien seine Texte sehr komplex. Schon wenige unüberlegte Kürzungen könnten daher das gesamte Romanfragment zum Einsturz bringen. Das Ergebnis könne man nun sowohl als Soundtrack zu der Comic-Adaption, als auch zu der ursprünglichen Romanfassung verstehen. Frontmann Jaroslav Rudiš:
„Besonders wichtig war uns, die Stimmung des Winters einzufangen: die Kälte. Das Album ist daher zum Teil sehr rau und düster, aber zugleich auch zart. Es ist melancholisch und doch auch lustig, ironisch und schräg. Auf jeden Fall ist es eine sehr wilde Platte, durch die sich die wunderbare Geschichte von K. als roter Faden zieht.“
In den zehn Liedern der Platte verschmilzt Rezitation mit Gesang, und Literatur trifft auf Rock, Pop und traditionelle böhmische Schrammelmusik. Die gesamte Palette der Genres, die sich auf dem Album finden, scheint jedoch nahezu unerschöpflich. Ein Lied beispielsweise erinnert entfernt an elektronische Tanzmusik von heute:„Das ist sozusagen ein Techno-Lied aus dem Jahr 1922. Für die musikalische Umsetzung haben wir jedoch fast keine elektronischen Instrumente verwendet, außer manchmal dem Keyboard. Alle Bandmitglieder haben daran gedacht, wie sich die Musik damals angehört hat. Eine große Rolle spielt das Piano und die akustische Gitarre, es gibt keine E-Gitarre.“
Die sechs Bandmitglieder rund um den Schriftsteller sind allesamt bekannte Rockmusiker aus Tschechien. Sie stammen beispielsweise aus den Bands „Umakart“, wie Jaromír 99, oder aus den Bands „Priessnitz“ und „Tata Bojs“. Das Schlagzeug als Instrument ist gleich doppelt besetzt: Denn Rhythmus sei nicht nur in der Musik, sondern eben auch in der Literatur besonders wichtig, so Rudiš:„Als K. in dem Dorf ankommt, verliebt er sich in das Dorfmädchen Frieda. Dieses Mädchen verletzt ihn und macht ihn traurig. Wir dachten, wir könnten diese unglückliche Liebesgeschichte vielleicht als eine Art schräge Polka vertonen, die so den Bezug zu Böhmen herstellt. Dort ist Kafkas Geschichte auch angesiedelt. Also entstand eine sehr wilde Polka, in der wir laut mit Kafka zusammen ‚In den Stall, in den Stall, alle in den Stall!‘ schreien.“
In dem Roman treten die Dorfbewohner dem Neuankömmling K. mit Misstrauen und Distanz gegenüber. Rudiš verrät, dass diese Situation auch den Bandmitgliedern nicht fremd sei:„Wir alle aus der Band kommen vom Land, wir sind eigentlich Dörfler. Wir kennen dieses Gefühl sehr gut, wenn wir in unserer Stammkneipe sitzen –Jaromír in Jeseník oder ich irgendwo im Riesengebirge – und ein Fremder die Wirtsstube betritt und ihn skeptische Blicke treffen. Umgekehrt geht es uns aber genauso, wenn wir an einem Ort fremd sind. Das Dorf wird immer alles überleben, ebenso wie die böhmische Polka.“
Die Liebesgeschichte zwischen Dorfmädchen Frieda und Landvermesser K. zieht sich durch Kafkas gesamten Roman. Die „Kafka Band“ hat ihr daher auch auf dem Debütalbum einen großen Stellenwert eingeräumt.
„In dem Lied ‚Grab‘ (Hrob) zeigt sich der Tiefpunkt in dieser Geschichte. Das ist sozusagen ein Liebesduett, ein sehr trauriges Liebeslied“, führt der Mitgründer der „Kafka Band“ aus.Die Lieder auf dem Album entstanden alle recht schnell und spontan. Zunächst einmal mussten die Bandmitglieder jedoch den Roman gründlich studieren: Vor den ersten Proben las Jaroslav Rudiš daher den Musikern auf Deutsch und Tschechisch aus Kafkas Werk vor.
„Wir gehen wirklich durch den ganzen Roman durch, und diese zehn Lieder sind sozusagen zehn Momente, die uns wichtig erschienen. Es geht darum, wie K. im Winter in dem Dorf ankommt. Die ganze Geschichte, die mehrere hundert Seiten umfasst, spielt sich allerdings nur innerhalb weniger Tage ab. Darüber ist man als Leser und Hörer überrascht. Man denkt, dass K. in dem Dorf viele Jahre oder vielleicht sein ganzes Leben verbringen wird“, merkt Rudiš an.
Am 2. Juni gibt die „Kafka Band“ im Prager Archa-Theater (Divadlo Archa) ihr nächstes großes Konzert - einen Tag bevor sich Franz Kafkas Todestag zum 90. Mal jährt.