Oscar-Nominierung: Kritiker entsetzt über Menzels Film „Donšajni“
„Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen“ - diese Weisheit der antiken Philosophie hat auch heute noch in einigen Bereichen ihre Gültigkeit. Dieser Tage scheint sie auf den tschechischen Filmregisseur Jiří Menzel zuzutreffen. Der Grund ist die Nominierung seines Spielfilms „Donšajni“ für den Oscar 2013, sie hat hierzulande kontroverse Reaktionen ausgelöst. Der 75-jährige, international anerkannte Film- und Theaterregisseur geht insgesamt zum dritten Mal ins Oscar-Rennen. Einmal hat er ihn schon gewonnen, doch diesmal stehen die Zeichen nicht gut: „Donšajni“ wurde von tschechischen Filmkritikern regelrecht in der Luft zerfetzt.
„Es ist recht heikel, über den neuen Film von Jiří Menzel zu schreiben. Der Film ist schlecht, augenfällig so schlecht, dass man darüber nicht einmal schreiben muss.“
Die Bekanntgabe, dass sich Menzels Film um den Academy Award bewerben wird, hat die Kritiker noch befeuert. Viele stellten die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die Tschechische Filmakademie ausgerechnet diese Entscheidung getroffen hat. Die Filmkritikerin Alice Aronová hat dafür eine Erklärung: Die Mitglieder der Filmakademie seien zwar renommierte, in der Mehrheit jedoch ältere Filmemacher, die es nicht schaffen würden, sich mit der gesamten Jahresproduktion des tschechischen Kinos vertraut zu machen. Einige von ihnen hätten Menzels Film wohl gar nicht gesehen, mutmaßt Aronová. Sie hätten aber dem klangvollen Namen des Regisseurs vertraut. Und die Filmkritikerin fügt hinzu:
„Umso mehr tut es mir leid, dass ´Der brennende Busch´ nicht aufgenommen wurde. Es ist bestimmt der beste Film des Jahres hierzulande. Jede Verzweiflung ist aber fehl am Platz. Ich weiß, welche internationalen Filme in den Oscar-Wettbewerb geschickt wurden. Aus Deutschland ist es zum Beispiel der Streifen ´Zwei Leben´, der sich mit dem Thema der norwegischen Lebensborn-Kinder befasst. Vor dem Hintergrund der Begebenheiten nach dem Mauerfall beleuchtet der hinreißende Film einen bisher weniger bekannten Teil der deutschen Geschichte. Das ist meiner Meinung nach ein Film, der einen Oscar verdienen würde. Damit will ich sagen, dass es Menzels ´Donšajni´ garantiert nicht einmal auf die Liste der fünf besten Oscar-Kandidaten schafft.“Über die Chancen auf einen Erfolg im Oscar-Rennen macht sich aber nicht einmal Jiří Menzel Illusionen. Gegenüber dem Tschechischen Rundfunk gab er unumwunden zu:„In den Wettbewerb sollte kein Film entsandt werden, der chancenlos ist. Für die Oscar-Nominierung sind rund 70 Streifen angemeldet und unter ihnen hat ‚Donšajni‘ meiner Meinung nach keine Chancen. Die Tschechische Filmakademie sollte ihre Wahl im Interesse unserer Kinematographie nicht aufgrund von Sympathien treffen. Es ist sehr schade, dass der Film ´Der brennende Busch´ in den USA nicht akzeptiert wurde. Er wäre bestimmt nicht ohne Chancen. Die Meinung der Rezensenten teile ich zwar nicht, aber ´Donšajni´ ist kein Streifen für einen großen Wettbewerb, sondern nur für tschechische Kinos. Der brennende Busch behandelt ein gewichtiges Thema. Von der tschechischen Filmakademie war es sehr ungeschickt, dass sie sich nicht im Vorhinein entsprechend mit den Regeln für die Oscar-Nominierung vertraut gemacht hat. Darüber hinaus sollte sie sich im Allgemeinen nicht danach richten, einen Film auszuwählen, der hierzulande gefällt, sondern einen, der in Amerika gut ankommen kann.“
Auf die scharfzüngigen Kritiker reagiert der Regisseur eher gelassen:„Das ist halt ihre Wahrheit. Ihre Behauptungen haben die Kritiker aber nicht mit Argumenten untermauert. Es geht vielmehr nur um ihre Eindrücke. Mich freut aber, dass die Kritik mehr Zuschauer ins Kino lockte. Andererseits lese ich selbstverständlich nicht gerne, ich sei senil und alles andere, was man über mich geschrieben hat. Doch so ist ihr Metier. Die Kritiker haben das Recht, so zu schreiben. Was kann ich dagegen machen?“
Nach der erwähnten Donšajni-Weltpremiere in Montreal klang die erste Kritik eher positiv. Jeff Heinrich von der Tageszeitung „The Gazette“ schrieb unter anderem, Zitat:„´Donšajni´ ist eine 102 Minuten dauernde Ode an glamouröse Verführer und Frauen, die lieben und Fehler begehen.“
Der Kritiker hob vor allem die Leistungen der Hauptdarsteller heraus, darunter auch von Libuše Šafránková - sie bezauberte früher auch die Deutschen in ihrer Hauptrolle in „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. In Donšajni spielt die 60-Jährige eine Opernsängerin eines Kleinstadtlaientheaters. Bei einem anderen Regisseur als Menzel, schreibt Kritiker Heinrich, hätte dies eine Tragödie sein können oder ein Film über die Geschlechterpolitik. Hier handle es sich um eine trockene Komödie, eine Fabel, die niemanden beleidigt, nicht einmal alleinerziehende Mütter.
Den unterschiedlichen Ton der Kritiken im In-und Ausland kommentierte der Regisseur mit leichter Ironie: Es sei nicht auszuschließen, dass die Kritiker aus seiner Heimat klüger seien als die in Montreal. In diesem Zusammenhang verweist Menzel auf eine Erfahrung nach der Premiere seines Films „Ich habe den englischen König bedient“. Trotz negativer Kritiken hierzulande sei dieser in die ganze Welt verkauft worden.Jiří Menzel hat in den zurückliegenden 40 Jahren im In- und Ausland viele bedeutende Preise für seine Filme geerntet. Diese Sammlung dürfte sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um die Oscar-Statue 2013 erweitern. Es gibt aber genug Titel aus seinem Schaffen, die immer noch weltweit bei verschiedenen Gelegenheiten gefragt sind ebenso wie die Anwesenheit ihres Schöpfers. Seine Filmpräsentationen werden nach wie vor oft von einer Auszeichnung begleitet. So war es auch Mitte Oktober im spanischen Girona, dort übernahm der tschechische Regisseur einen Preis vom Rat der Stadt und der Agentur Liberpress. In der Begründung hieß es, Menzel verstehe die Kunst, sich mit filmischen Mitteln einfühlsam und humorvoll auszudrücken, aber auch sarkastisch und spielerisch, unabhängig von politischer Druckausübung und totalitärem Regime.
Als ihm im Mai dieses Jahres das Kulturministerium in Prag den Preis für seine „Verdienste um die Verbreitung guten Rufes der tschechischen Kultur in der Welt“ verlieh, war der Regisseur gerührt. Doch auf die Frage, was ihm die Auszeichnungen bedeuten, antwortete er:„Die Preise sind wie Schaum. Es ist schön, sie zu bekommen. Doch für mich ist es wichtiger, wenn mir jemand auf der Straße einfach sagt: ´Herr Menzel, Sie machen gute Filme.´ Filme werden ja schließlich für Menschen gemacht und nicht der Auszeichnungen wegen. Wenn ich solche Lobesworte höre, bekomme ich ein bisschen Angst, dass mein nächster Film nicht mehr gefallen könnte. Das Lob empfinde ich als eine Verpflichtung. Meine größte Angst ist die vor einem Fiasko.“
1968 gewann Menzel aber den Oscar – sein Film „Liebe nach Fahrplan“ (Ostře sledované vlaky) erhielt den begehrten Academy Award für den „besten fremdsprachigen Spielfilm“. 1987 gelangte dann „Heimat, süße Heimat“ (Vesničko má středisková) auf die Shortlist der Oscar-Kandidaten.Am 16. Januar kommenden Jahres wird bekanntgegeben, welche Filme in die engere Auswahl für den Oscar 2013 kommen. Die feierliche Preisverleihung ist für den 2. März vorgesehen. Sollte der Name Jiří Menzel nicht erklingen in Verbindung mit den Worten „And the Oscar goes to…“, dann dürfte dies jedoch keine Tragödie sein.