Schriftsteller Hatala: „Die Bereicherung zweier Kulturen ist eine gute Sache“
Eine Umfrage hat ergeben: Rund 73 Prozent Slowaken verstehen problemlos Tschechisch. Mit dem Slowakischen kommen aber nur 55 Prozent der Einwohner Tschechiens zurecht. Dies ist das Ergebnis einer Erhebung unter 2200 Menschen aus beiden Staaten, die im November von der Agentur Focus im Auftrag eines slowakischen und eines tschechischen Meinungsforschungsinstituts durchgeführt wurde. Laut der Umfrage hat die jüngste Generation die größten Schwierigkeiten mit der Sprache des einstigen Brudervolkes.
„Die tschechischen Kinder tun sich seit Jahren sehr schwer mit dem Slowakischen. In der Slowakei ist das nicht so. Traditionell haben die Slowaken immer viel auf Tschechisch gelesen. Es ist das Schicksal von fast allen slowakischen Intellektuellen, dass sie etwa zwei Drittel der Bücher daheim auf Tschechisch haben. Stattdessen haben wir die slowakische Kultur oder die slowakische Kunst vernachlässigt. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass wir unsere Kunst nicht so hoch schätzen wie vielleicht die Menschen aus dem Ausland. Daraus ergeben sich Probleme mit der Präsentation der eigenen Kultur im Ausland, auch in Tschechien. Das müssen wir überwinden. Es gibt doch gute Bücher, gute Filme und gutes Theater bei uns. Aber niemand weiß das, weil wir zu wenig darüber nachdenken und schreiben, weil wir nicht bereit sind, die Kunst zu präsentieren, koste es, was es wolle. Es sind doch die slowakischen Institutionen, die dafür sorgen sollten. Dass allerdings die Finanzierung schwer ist, kann ich verstehen.“
Die Tschechen wurden von den Slowaken immer als die stärkeren und älteren Brüder betrachtet. Hängt das vielleicht auch mit einem Minderwertigkeitsgefühl der Slowaken zusammen?„Ja, dieses Gefühl gibt es. Das lässt sich nur schwer und im Laufe von Jahren überwinden, das braucht viel Zeit, Geduld und Arbeit hauptsächlich im Bereich der Kultur, nicht im Bereich Politik. Dabei haben Bücher, Filme und Theatervorstellungen bessere Chancen, eine Nation zu repräsentieren, als Politiker. Aber das Minderwertigkeitsgefühl zu überwinden, das ist ähnlich wie zwischen den Österreichern und den Deutschen. Die Österreicher möchten auch einmal die Fußball-Elf aus Deutschland besiegen, aber wie? Die Mittel fehlen. Wenn es uns mal gelingt, Tschechien im Eishockey zu schlagen, dann ist der Jubel groß und wir sind auf einmal Weltmeister - auch wenn wir nur Platz fünf oder sechs erringen. Unsere Pflicht ist es, die Latte etwas höher zu legen. Man sollte weitere und bessere Projekte zur Bereicherung der beiden Kulturen machen, nicht nur Fernsehshows. Deren Beitrag ist nicht der Rede wert. Ihr einziger Vorteil ist, dass man neben Slowakisch auch Tschechisch hört. Es fehlen aber Projekte mit interessanten Menschen aus Kultur und Politik, die das breite Publikum ansprechen. Wir Schauspieler, Filmemacher und Dichter aus beiden Ländern kennen einander durchaus, aber es gibt kaum gemeinsame Veranstaltungen.“
In der Tschechoslowakei war die Vernetzung der Künstler viel enger als heute. Spüren Sie in der Kulturwelt so etwas wie Sehnsucht nach der Tschechoslowakei?„Die habe ich schon überwunden. Kurz nach der Trennung beziehungsweise Scheidung war ich sehr enttäuscht, dass es mir nicht gelungen ist, mich besser dem entgegenzustellen. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Man hat ja auch andere Sorgen, als das zu beweinen. Mehr als Sehnsucht nach dem gemeinsamen Staat mit den Tschechen interessieren mich die Pläne, die ich mit den Tschechen schmiede. Ich bin immer bereit, in Sachen Literatur und Dichtkunst zusammenzuarbeiten, Leute in die Slowakei einzuladen, um ein schönes, buntes Programm mit Musik und mit anderen Sparten der Kunst zu gestalten. Ich bin auch bereit, tief in meine Tasche zu greifen, um dies und das mitzufinanzieren, wenn es nicht anders geht. Wenn schon die Rede von guten Projekten ist, möchte ich erwähnen, dass sich niemand durch ungünstige Umstände abhalten lassen sollte, diese aufzubauen, durchzuführen und zu finanzieren. In diesem Sinne möchte ich ein paar Zeilen von Günter Kunert zitieren. Der hat einmal gesagt: ´Weil die Wörter zu spät kommen oder zu früh, weil es also ein anderer ist, immer ein anderer, der da redet, und weil der, von dem da die Rede ist, schweigt.´ Und das ist es eben: Wir sollten nicht schweigen. Auch wenn etwas nicht gelingt, sollten wir nicht aufgeben, wenn wir überzeugt davon sind, dass es sich um eine gute Sache handelt. Und es ist ja immer eine gute Sache, wenn es sich um die Bereicherung zweier Kulturen handelt.“