Stalin-Monstermonument: Vor 50 Jahren auf Befehl aus Moskau gesprengt
Es sollte ein Geschenk und vor allem eine Danksagung an einen „großen“ Mann sein: das Denkmal des sowjetischen Diktators Josef Stalin, der in einer überdimensionalen Granitgestalt von einer Anhöhe in aller Ewigkeit auf ganz Prag hinabschauen würde. Vor 68 Jahren wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Am 1. Mai 1955 fand mit viel Pomp die Enthüllung statt. Doch Stalin und das Figurengefolge blieben nicht, wie eigentlich vorgesehen, für alle Zeiten verewigt auf der Letná. Die „Lebenszeit“ des tonnenschweren Granitklotzes betrug letztlich nur knapp acht Jahre. Die Entstehung und Zerstörung des Stalin-Denkmals sowie das tragische Schicksal des Bildhauers Otakar Švec hat vor einiger Zeit den in Wien lebenden Tschechen Rudolf Cainer inspiriert, einen Roman zu schreiben. Diesen hat Cainer vor Kurzem in Prag vorgestellt.
Am 18. Dezember 1949 feierte Josef Wissarionowitsch Stalin seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass organisierte die tschechoslowakische Regierung eine sonderbare Unterschriftenaktion, bei der innerhalb von vier Tagen rund neun Millionen Bürger Glückwünsche für Stalin unterzeichneten. Schon seit geraumer Zeit dachten die Kommunisten auch daran, ein Denkmal des Sowjet-Herrschers in Prag aufzustellen. Sein runder Geburtstag passte der seit 1948 herrschenden Staatspartei ins Konzept. Am 22. Dezember 1949 erfolgte die Grundsteinlegung. Die Stalin-Statue sollte als das europaweit größte Denkmal gebaut werden. Auf die Spuren seiner Entstehung hat sich Rudolf Cainer begeben, der 1968 nach Wien emigrierte. Er ging dem originellen Gedanken nach, die in Archiven aufgestöberten Fakten in einem Roman zu verarbeiten. Warum?
„Ich habe sehr lange Dokumente in verschiedenen Archiven studiert, wollte aber nicht authentische Daten in einem Sachbuch zusammentragen. Von Anfang an dachte ich an einen Roman über die Menschen, die das Stalin-Denkmal gebaut haben. Die Bauarbeiten waren mit Schwierigkeiten verbunden, die man sich kaum vorstellen kann. Mit den Problemen hatte man bis dahin keine Erfahrungen, sie wurden erst im Lauf der Bauarbeiten gesammelt. Eine Zeitlang galt es sogar als fraglich, ob der Denkmalentwurf überhaupt realisierbar ist. Doch die Leitidee der Auftraggeber war entscheidend. Daher schreckte man weder vor den Problemen noch vor den Kosten zurück. Statt vorgesehener zwei Jahre dauerte die Bauzeit fast fünf Jahre. Das spielte allerdings keine Rolle, weil das Denkmal für die Ewigkeit gedacht war. Hierfür waren die besten Leute und das beste Material gerade das Richtige.“ Die Protagonisten des Romans „Stalin aus Granit“ sind keineswegs fiktiv. Allen voran der damals 58-jährige Bildhauer Otakar Švec:„In der Zwischenkriegszeit war er ein sehr berühmter und erfolgreicher Bildhauer. Nach der Machübernahme durch die Kommunisten im Jahr 1948 wurde eine Ausschreibung für das Stalin-Denkmal in die Wege geleitet. Alle angesprochenen Bildhauer waren verpflichtet, daran teilzunehmen, unter ihnen auch Otakar Švec. Seine Idee, nicht nur Stalin allein, sondern gemeinsam mit einer Gruppe von acht allegorisch dargestellten Volksvertretern als Monument aufzustellen, hat letztlich den ersten Preis gewonnen. Danach musste er sein Konzept umsetzen.“
Die Arbeiten an der Figurengruppe, die 1952 aufgenommen wurden, erwiesen sich in der Tat als außerordentlich harte Nuss: 30 Meter Gesamthöhe einschließlich des mehrstöckigen Podestes, davon die Figuren allein 15 Meter hoch. Die Länge des Denkmals sollte 22 Meter betragen, wobei allein Stalins Schuh schon 2 Meter maß. Auf Stalin, der in der Figurgruppe voranschritt, folgten auf der einen Seite symbolisch Vertreter der Tschechoslowakei: ein Arbeiter, eine Bäuerin, ein Erfinder und ein Soldat. Auf der anderen Seite von Stalin wurde wiederum die Sowjetunion repräsentiert: durch einen Arbeiter, eine Kolchosarbeiterin, einen Wissenschaftler und einem Rotarmisten.
Am 1. Mai 1955 war es so weit: Der 17 Tonnen schwere Beton- und Granitkoloss wurde feierlich eingeweiht. Seine Maße eigneten sich nicht für eine klassische Enthüllung. Otakar Švec war allerdings nicht mehr dabei. Vier Wochen zuvor hatte er Selbstmord begangen. Die Nachricht von seinem Tod durfte nicht veröffentlicht werden. Auch war sein Name nicht am Denkmal zu finden. Bei der pompösen Einweihungsfeier wurde das tschechoslowakische Volk zum Denkmalautor erklärt. Der in der Zwischenkriegszeit auch international bekannte Otakar Švec sollte in Vergessenheit geraten. Womit hat er viele Jahre später dann das Interesse von Rudolf Cainer erweckt?„Der Impuls war seine Plastik eines Motorradfahrers, mit der Otakar Švec den ersten Preis auf einer Ausstellung in Paris gewonnen hat. Dadurch ist er berühmt geworden. Er hat wunderschöne Plastiken, Büsten und Statuen geschaffen. Einige sind heute noch vorhanden, einige wurden aber als tendenziöse Werke zerstört: zunächst unter den Nazis und nachfolgend auch unter den Kommunisten.“Die futuristische Bronzeplastik, die Švec als „Sunshine – der Motorradfahrer“ bezeichnete, gehört zu seinem Frühwerk. Als Teil des Privatnachlasses von Norman und Suzan Hascoe wurde sie im vergangenen Jahr beim Londoner Auktionshaus Sotheby´s für rund 140.000 britische Pfund verkauft. Außer dem „Motorradfahrer“ hat sich Cainer auch mit anderen Werken des zum Teil tatsächlich vergessenen Bildhauers sowie mit dessen Lebensgeschichte vertraut gemacht. Wie war danach aber der Weg zum Roman „Stalin aus Granit“?
„Zuerst habe ich nach 20 Jahren zu Besuch in die Tschechoslowakei kommen dürfen, also nach der politischen Wende 1989. Im Lauf der Zeit reifte in meinem Kopf die Idee, ein Buch über das Stalin-Standbild zu schreiben. Ich fing an, Dokumente und Fakten zu sammeln und anschließend nach Zeitzeugen zu suchen. Nach 50 Jahren war es schwierig, sie zu finden. Immerhin, ich habe doch noch etliche Bildhauer gefunden, die seinerzeit an dem Monsterwerk beteiligt waren. Heute leben sie nicht mehr. Viele Informationen habe ich auch von Josef Klimeš bekommen, der die spätere Zerstörung des Stalin-Standbilds fotografierte.“Dem Monsterbau, der im Stadtbild der unweit gelegenen Prager Burg Konkurrenz machen sollte, waren allerdings nur rund siebeneinhalb Jahre beschieden. Nach dem politischen Tauwetter in Moskau, ausgelöst durch Chruschtschows Kritik an seinem Vorgänger, erhielten auch die Genossen in Prag Signale, dass das Stalin-Monument in ihrer Stadt nicht mehr erwünscht sei. Darauf reagierte die tschechoslowakische Führung aber nicht. Auf dem Parteitag von 1961 kritisierte Chruschtschow erneut Stalin und ließ auch dessen mumifizierten Körper aus dem Mausoleum an der Kremlwand entfernen. Anfang des Jahres 1962 kam dann der Befehl aus Moskau, sich vom Stalin-Denkmal zu verabschieden. Diesen Befehl konnte man in Prag nicht mehr ignorieren. Auf Anweisung der Staatsparteiführung mit Antonín Novotný an der Spitze musste der Standbildriese gesprengt werden. Allerdings „respektvoll“, wie es offiziell hieß.
Es war prinzipiell eine schwierige Aufgabe, den aus Betonmasse und schweren Granitplatten bestehenden Koloss, der durch eine Eisenbetonkonstruktion tief im Boden verankert war, von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Zunächst wurden Stalins Kopf sowie die Häupter der restlichen Figuren mit Presslufthämmern zerstört und erst danach die restliche Masse mit Dynamit gesprengt. Ein Teil des Podestes blieb erhalten, weil sonst eine Erosion am Hang der Letná drohte. Jegliches Fotografieren und Filmen der Sprengung waren strengstens verboten, an eine offizielle Dokumentation war schon gar nicht zu denken. Die Originalfotos, die im Buch von Rudolf Cainer zu finden sind, hat der von Cainer erwähnte Zeitzeuge Josef Klimeš natürlich illegal gemacht. Die Beseitigung des Stalin-Denkmals dauerte mehrere Wochen. Erst im November 1962 wurde sie beendet. Einen Teil der Steine nutzte man für den Straßenbau, der Rest landete in einem toten Arm der Moldau. 1988 befasste sich das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei mit dem Gedanken, auf der Letná eine neue Dominante aufzustellen. Der politische Umbruch im November 1989 machte dem jedoch dann einen Strich durch die Rechnung.