LITERAToUR.CZ: Beginn einer Lesereise in die deutschsprachigen Länder
Die tschechische Literatur ist weltbekannt: Namen wie Václav Havel, Milan Kundera, Bohumil Hrabal und Jáchym Topol sind auch vielen Menschen im Ausland ein Begriff. Doch zeitgenössische Autoren aus der Tschechischen Republik sind jenseits der Grenzen eher unbekannt. Um das zu ändern, hat eine Allianz aus deutschsprachigen Literaturhäusern und Tschechischen Zentren junge Autoren und Autorinnen versammelt, um sie auf eine Reise in die deutschsprachigen Länder zu schicken. Radio Prag war beim Startschuss der LITERAToUR im Prager Tschechischen Zentrum dabei.
Die Luft ist dick und die Stimmung gut. Jaroslav Rudiš und Igor Malijevský entern am Donnerstagabend im Prager Tschechischen Zentrum die Bühne. Sie sollen die Moderation dieser besonderen Veranstaltung übernehmen. Es ist die Vernissage einer literarischen Rundreise von tschechischen Autoren durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Immer zwei Schriftsteller sind gemeinsam eine Woche unterwegs. Aber kann das funktionieren, tschechische Literatur auf Tschechisch vorzutragen, vor einem deutschen Publikum? Beatrice Stoll, Direktorin des Literaturhauses Zürich und Geschäftsführerin des Netzwerks Literaturhäuser:
Der deutsche Literaturliebhaber wird aber nicht mit tschechischen Texten im Regen stehen gelassen, denn pünktlich zur Vernissage ist auch eine Spezialausgabe der Zeitschrift „Die Horen“ in Form einer Anthologie erschienen. Dort finden sich die Texte aller an der Tour beteiligten Autoren auf Deutsch. Lucie Černohousová ist Direktorin des Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren und war von Anfang an am Projekt beteiligt:
„Vor circa eineinhalb Jahren kam die Leiterin des Literaturhauses in Leipzig, Birgit Peter, zu uns ins Prager Literaturhaus. Sie hatte die Idee, einmal Prager zeitgenössische Literatur in Deutschland zu präsentieren, weil man zwar ein paar ausgewählte Namen kennt, generell aber im Nachbarland zu wenig über die tschechische Literatur weiß. Es gibt aber sehr gute Autoren bei uns, die wir präsentieren können.“
Um dieses Ziel verwirklichen zu können, wollte man zweigleisig vorgehen:
„Wir haben uns dann entschlossen, eine Anthologie zu erstellen und eine Lesereise für die Autoren zu organisieren. Die Anthologie entstand aus Texten, die bisher noch nicht publiziert wurden, das war eine der Bedingungen. Und nach der heutigen ´Kick-off´-Veranstaltung gehen dann die Anthologie und sechs der Autoren auf Lesereise.“
Zusammen unterwegs sein werden Radka Denemarková und Petr Borkovec, Tomáš Zmeškal und Markéta Pilátová sowie Petra Hůlová und Jaroslav Rudiš. Rudiš ist mittlerweile recht bekannt im deutschsprachigen Raum, vor allem durch seine Grafiknovelle „Alois Nebel“, und auch Petra Hůlová konnte bereits zwei Romane auf Deutsch veröffentlichen. Die anderen Schriftsteller sind weitgehend unbekannt und bisher noch nicht übersetzt. Lucie Černohousová hofft, dass die Aktion den Künstlern auch in Deutschland hilft:
„Es geht darum, dass das Publikum überhaupt wahrnimmt, welche Namen es im Nachbarland gibt und welche Literatur geschrieben wird. Ein bisschen salopp könnte man sagen: Wie ticken die tschechischen Autoren? Es geht um die Vermittlung der Literatur, die bei uns entsteht, und wir hoffen, dass es manchem tschechischen Autor hilft, einen Verlag zu finden. Manche Autoren haben schon einen deutschen Verlag und werden ins Deutsche übersetzt, aber diese Anthologie präsentiert auch weniger bekannte Autoren.“
Zu den, zumindest in Deutschland, weniger bekannten Autoren gehört auch Tomáš Zmeškal. Auf Tschechisch hat er bereits zwei Romane publiziert. Der 45-Jährige kann aus einem reichen persönlichen Erfahrungsschatz schöpfen. Sein Vater stammt aus dem Kongo, seine Mutter ist Tschechin. Aufgewachsen ist er in Prag, und mit Anfang 20 hat er ein Studium in London absolviert und lange als Englischlehrer gearbeitet. Sein Erstling heißt übersetzt „Ein Liebesbrief in Keilschrift“ und sein zweiter, eher autobiographisch geprägter Roman „Lebenslauf eines schwarz-weißen Lamms“. Für ihn geht es in erster Linie darum, die tschechische Literatur zu verbreiten:
„Man muss das Interesse der Leser in Deutschland wecken. Meiner Erfahrung nach gibt es in Deutschland eine Menge Literatur aus vielen verschiedenen Ländern. Sicherlich gibt es kein außergewöhnliches Interesse an tschechischer Literatur, aber es wird möglich sein, das Interesse zu erwecken.“Persönlich hat er an die Reise eher vorsichtige Erwartungen, wie er berichtet:
„Vor der Wirtschaftskrise hatte ich mehrere Angebote. Aber als die Krise dann kam, ist das Interesse gesunken. Ich habe einen Literaturagent, der daran arbeitet, meine Romane im Ausland zu vermarkten und gerade haben wir einen Vertrag mit einem amerikanischen Verlag unterschrieben. Es würde mir schon sehr gefallen, wenn ich in Deutschland erscheinen könnte. Ich glaube aber, dass es bei dieser Lesereise nicht in erster Linie darum geht, das ist nicht das Entscheidende.“
Es bleibt zu hoffen, dass die Romane des sehr sympathischen und zurückhaltenden Autors ein deutsches Publikum finden, denn er zeichnet in ihnen ein scharfes und durchaus interessantes Bild der tschechischen konformistischen Gesellschaft nach dem Prager Frühling, in der so genannten Normalisierung der 1970er und frühen 1980er Jahre.Jaroslav Rudiš zeichnet in seinen Comics, und zeichnen ist hier wörtlich gemeint, eher ein Bild der tschechischen Nachkriegsgesellschaft und ihrem Umgang mit der Vertreibung der Deutschen. In Deutschland wird er aber auch noch etwas anderes vorstellen:
„Ich werde zwei Bücher vorstellen: Mein dritter Roman, die „Stelle in Prag“. Ein Roman, in dem ich versuche, die Stadt, in der ich jahrelang gewohnt habe, diese globalisierte Metropole, diese Touristenmetropole Prag zu beschreiben. Und damit bin ich sehr weit von dieser Romantik entfernt, mit der man Prag verbindet.“
Aber natürlich wird Rudiš auch seinen Klassiker mit auf Lesereise nehmen:
„Das zweite Buch, mit dem ich unterwegs bin, ist Alois Nebel, die Grafik-Novelle, die jetzt auch auf Deutsch erscheint. Beide Bücher werde ich ein wenig vorstellen, aber nicht nur auf der Lesereise. Es gibt auf der Leipziger Buchmesse auch ein paar Auftritte, und später wird es auch weitere Lesungen geben mit Konzerten, denn ab und ab und zu kommt auch Jaromír 99, der Zeichner des Comics, mit seiner Band mit.“
Von vorsichtiger Zurückhaltung bis hin zu selbstbewusster Vermarktung der eigenen Erzeugnisse ist also alles dabei auf dieser Lesereise. Und Musik gehört natürlich immer dazu. Die Band, die im Beitrag zu hören ist, ist nicht nur Hintergrundmusik, sondern die Kapelle ´Jenisej´ von Bára Gregorová. Sie ist ebenfalls Schriftstellerin, und auch von ihr findet sich ein Text in der Anthologie.Dass in Tschechien Literatur und Musik eng zusammenhängen weiß auch Zuzana Jürgens vom Tschechischen Zentrum München und Düsseldorf. Sie ist ebenfalls in die Organisation der Tour eingebunden und berichtet, dass Lesungen auf Tschechisch durchaus erfolgreich sind:
„Die Tschechischen Zentren machen regelmäßig Lesungen mit tschechischen Autoren und die sind immer zweisprachig. Natürlich kommt es auf das Publikum an, manchmal wird einfach nur ein Stück auf Tschechisch gelesen, dann in voller Länge auf Deutsch, manchmal wirklich auch parallel. Das Tschechische kommt sehr gut an, die Leute sagen uns immer, dass es sehr schön und sehr musikalisch klingt.“Die Lesereise findet zwischen dem 5. und 8. März statt, Ziele sind Basel und Zürich, Salzburg und Graz, München und Stuttgart, Köln und Dortmund, Leipzig und Rostock sowie Hamburg und Berlin. Weitere Informationen finden sie auch unter www.literaturhaus.net. Die angesprochene Anthologie trägt den Namen „Geschweige den Ostrava… Neue Literatur aus Tschechien“ und ist als Spezialausgabe der Zeitschrift „Die Horen“ im Wallstein-Verlag erschienen.