Tschechien macht ersten Schritt zur Schreibschriftreform
Nicht nur das Erwerben neuer Kenntnisse und Informationen in der Schule sei wichtig, sagte der neue Schulminister Josef Dobeš am 1. September in der traditionellen Ansprache zum Schulbeginn. Wichtig sei auch, die Zähne zusammenbeißen zu können und festen Willen zu haben. In der Tat, beides braucht man gleich von der ersten Klasse an, wenn das Lesen und Schreiben erlernt werden muss. Das ist für viele Kinder eine harte Nuss. Ein Teil der Erstklässler soll es aber leichter haben. Das behaupten zumindest die Verfechter der nagelneuen Schreibschrift, die im Rahmen eines Pilotprojektes zum ersten Mal im Schulunterricht eingeführt wurde.
„Ich war damit drei Jahre lang im Rahmen meines Doktoratsstudiums an der Hochschule für Kunstgewerbe beschäftigt. Bei einigen Buchstaben gibt es mehr Schreibvarianten und die Kinder können selbst eine davon wählen. Ebenso ist die Neigung der Buchstaben, die vielen Kindern große Probleme bereitet, nicht strikt vorgeschrieben. Wesentlich einfacher ist zum Beispiel auch das Schreiben des Großbuchstabenalphabets geworden. Dieses Konzept bietet insgesamt die Möglichkeit, einfacher zu schreiben. Noch dazu in einer Schrift, von der die Kinder auch im späteren Leben Gebrauch machen können, ohne dass man daran in der Pubertät viel ändern müsste.“
Die Comenia-Schrift erinnert in vielem an die Druckbuchstaben und verzichtet auf mehrere Elemente der lateinischen Schreibschrift wie etwa Schwünge und Kurven, aber auch auf die Verbindung der Buchstaben, die kontinuierliche Drehrichtungswechsel beim Schreiben erfordert. Das alles macht nach Meinung vieler Comenia-Befürworter den tschechischen Kindern zu schaffen. Doch neben Begeisterung stößt die neue Schrift auch auf Ablehnung. Ihre Gegner vermissen das traditionelle flüssige Schreiben der lateinischen Schrift, das ihrer Meinung nach schneller ist. Eines der Argumente der Reformgegner ist: In der druckbuchstabenähnlichen Comenia-Schrift, die ein Absetzen auch innerhalb des Wortes zulasse, werde der Schreibfluss unterbrochen. Dies könnte sich bei der Formulierung komplexerer Gedanken als Hindernis erweisen. Oder sogar als Bremsfaktor für die Entwicklung des Gehirns. Nicht wenige klagen, anstatt über eine neue Schreibschrift nachzudenken, hätte man sich lieber den Kopf darüber zerbrechen sollen, wie man die Wissenslücken der Schüler im Bereich der tschechischen Grammatik füllen kann. Die verbundene lateinische Schreibschrift wurde bislang mehreren Generationen von Tschechinnen und Tschechen beigebracht. Kein Wunder also, dass sich an der Comenia Script die Geister scheiden. Auch die Lehrer sind geteilter Meinung. Ivana Ullmanová, Schulleiterin aus Prag, sagt:„Eine unserer ersten Klassen bekommt den Schreibunterricht im neuen Programm. Wir freuen uns alle darüber und ich persönlich besonders, weil ich bei den Kindern viele Schreibprobleme beobachten kann. Insbesondere in den Klassen der Oberstufe. Daher glaube ich, dass sich die neue Schreibschrift gut bewährt und auch in anderen Schulen mit Begeisterung aufgenommen werden wird.“
Renata Pasovská, Schulleiterin im ostböhmischen Pardubice, meint hingegen:„Meiner Meinung nach ist das vorgeschriebene Buchstabenverbinden einer der Gründe, warum die jüngsten Schulkinder im Fall einer Wahl der bisher gültigen Schreibschrift Vorzug geben würden. Anders könnte es aber bei den Schülern und Schülerinnen der Oberstufe sein. Ich kann mir vorstellen, dass sie gerne die Wahl haben möchten, einschließlich der Möglichkeit, in Druckschrift zu schreiben. In unserer Schule habe ich Kolleginnen, die sogar die Schreibschrift schon ab der dritten Klasse abschaffen würden.“
In Tschechien wird auf der Primarschulstufe der Schönschrift immer noch große Aufmerksamkeit gewidmet. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen auf PC-Schreiben umsatteln, sei dies unnötig, sagen viele Kritiker. Sie sprechen auch von einer Traumatisierung der Kinder. Jiřina Říhová, Schulleiterin in Pilsen / Plzeň, bestreitet das aber entschieden:„Was unsere Schule anbelangt, werden die Kinder bestimmt nicht dadurch traumatisiert, dass die Pädagogen von ihnen verlangen, sich an die standardisierte Schönschrift zu halten. Von der dritten oder vierten Klasse an müssen wir natürlich damit rechnen, dass sich zunehmend individuelle Tendenzen im Schreibstil der Schüler manifestieren. Früher oder später findet jeder ungeachtet des vorgegebenen Schreibmodells zu seiner persönlichen Handschrift und passt sie seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen an.“
Traumatisierte Kinder gibt es aber nachweislich mehr denn genug. Bei Weitem sind es nicht nur diejenigen, die an Lernstörungen wie Dyslexie und Agrafie oder aber an unzureichender Fingerfertigkeit leiden. Schlechte Noten für das Schriftbild machen viel mehr Kinder unglücklich als nur jene mit einem physiologisch bedingten Handicap. Daher plädiert die Autorin der Comenia-Schrift. Radana Lencová, dafür, den Schulkindern „die Qual des Schreibens“ im Rahmen des Möglichen abzunehmen:„Vielleicht werden einmal Zeiten kommen, in denen die Kinder nicht einmal in der einfachsten Schreibschrift schreiben werden. Wir sollten ihnen aber schon jetzt, wenn möglich, das Schreiben leichter machen - unterhaltsamer und vor allem funktionsorientiert.“