20 Jahre danach - Wissenschaftler tagten in Prag über die kommunistische Ära

„20 Years After – die kommunistischen Regime Mittel- und Osteuropas als gemeinsames Erbe.“ Unter diesem Titel hat das Prager Institut für das Studium der totalitären Regime eine internationale Konferenz veranstaltet, die am Mittwoch zu Ende ging. An zwei Tagen tauschten sich zahlreiche Wissenschaftler zu verschiedensten Themen des Lebens unter den sozialistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts aus. Aus Deutschland kam die Soziologin Hella Dietz von der Georg-August-Universität in Göttingen.

Frau Dietz, Sie haben hier in Prag über „Polen vor und nach 1989“ gesprochen. Sind Sie beim Studium ihres Themas auch darauf gestoßen sind, dass die polnische Opposition eine Inspiration war für andere kommunistischen Länder?

„Das weiß ich sicher. Es gab auch die Zusammenarbeit zwischen den polnischen Oppositionellen und den tschechischen Dissidenten um die ´Charta 77´, die sich unter anderem im Grenzgebiet zwischen Polen und der damaligen Tschechoslowakei getroffen haben. Es war also eine Inspiration, aber vermutlich beiderseitig. Die Polen haben natürlich Václav Havel gelesen und haben sich bestimmt gegenseitig sehr befruchtet.“

Welche Inspirationen haben die Polen Ihrer Meinung nach bei Havel gefunden?

„Ich glaube, sie haben sich getroffen in der Idee des Lebens in Wahrheit, eines authentischen Lebens oder eines Lebens in Würde. Das wurde dann jeweils unterschiedlich fokussiert, aber ist doch ein sehr ähnliches Konzept: man versucht so zu leben, als ob man bereits in einer Demokratie leben würde, und man versucht, den Beschränkungen des Regimes ein authentisches Leben entgegenzusetzen. In Polen hat das vermutlich auch noch sehr stark katholische Wurzeln und hat damit zu tun, dass es die Annäherung zwischen den polnischen oppositionellen Linken und den reformorientierten Katholiken gab. Bei Václav Havel sind es sicher andere Wurzeln, aber trotzdem haben sich die Oppositionellen in dieser Idee getroffen und sich vermutlich zumindest auch gegenseitig bestärkt.“

Glauben Sie, dass einmal gesagt werden kann: Das Problem der Aufarbeitung oder der Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit ist vollendet?

„Da ich aus Deutschland komme, darf ich vielleicht eine deutsche Perspektive einbringen, obwohl ich damit nicht sagen möchte, dass man das vergleichen kann. So glaube ich trotzdem, dass wir in Deutschland im Moment sehr stark anfangen, die Familiengeschichten in Bezug auf den Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Ich habe das Gefühlt, in gewisser Weise ist das ein letzter Schritt der Aufarbeitung ist. Er ist wohl notwendig und vielleicht aber auch nur möglich, weil diese Zeit mittlerweile schon so lange vorbei ist. Ich glaube aber durchaus, dass es das in Bezug auf die staatssozialistischen Diktaturen auch geben wird, aber dass es noch sehr lange Zeit dauern wird.“

Wozu ist so eine Konferenz wie die in Prag gut?

„Um Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Ländern - und damit auch aus ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten - die Gelegenheit zu geben, sich über bestimmte Begriffe bewusst zu werden. Wir sind uns darüber bewusst geworden, wie unterschiedlich unsere Herangehensweisen sind. Ein interessantes Thema dieser Konferenz war zum Beispiel, dass es den Ostmitteleuropäern sehr wichtig ist, die Aufarbeitung des Kommunismus als gleichberechtigt wichtiges Thema neben der Aufarbeitung anderer Diktaturen zu sehen. Ihnen ist der Begriff des Totalitarismus zum Beispiel sehr wichtig. Dieser Begriff gilt aber in der westlichen Forschung eigentlich als überholt. Ich glaube, man muss ins Gespräch miteinander kommen und zu versuchen zu verstehen, was eigentlich unter den unterschiedlichen Begriffen verstanden wird und wie man versuchen kann, zu einer gemeinsamen Erzählung über die Vergangenheit zu kommen.“