Historischer Fund: Der verlorene Sohn Gottes kehrt auf die Prager Burg zurück

Foto: ČT24

Vielleicht kennen Sie das auch. Sie haben etwas sehr Wertvolles an einem bestimmten Platz in ihrer Wohnung deponiert und können sich aber nicht mehr erinnern, wo. Ähnlich erging es jetzt den Kunsthistorikern auf der Prager Burg. Vor wenigen Tagen fanden sie bei Renovierungsarbeiten in einer Kirche eine rund 600 Jahre alte Skulptur des gekreuzigten Christus wieder. Die Freude der Fachleute war groß. Denn seit Jahrzehnten war sie unauffindbar. Christian Rühmkorf hat sich den wertvollen Fund angeschaut.

„Das ist eines der besten Werke aus der Zeit der Gotik,“ sagt Jaroslav Sojka, als er vor einer 1,10 Meter mal 1,10 Meter großen Skulptur des Gekreuzigten steht. Der Kunsthistoriker der Prager Burg ist glücklich. Denn diese rund 600 Jahre alte Skulptur war seit den 80er Jahren wie vom Erdboden verschluckt. Vor knapp einer Woche haben sie Mitarbeiter der Burg-Verwaltung bei Renovierungsarbeiten in der Allerheiligenkirche in Tüchern gewickelt auf einer Empore entdeckt. Und ahnten noch nicht, wie bedeutend ihr Fund ist. Der Kunsthistoriker Sojka kannte die Skulptur bisher nur von Abbildungen:

„Aus Büchern, aus meiner Studienzeit und auch aus den Unterlagen unserer Abteilung, in denen zu dieser Skulptur auch ein Restaurierungsprotokoll aus den 70er Jahren erhalten geblieben ist.“

Die Skulptur, so meint Sojka, stamme ziemlich genau aus der Zeit um 1400 bis 1420. Sie habe zwar noch Merkmale des so genannten weichen Stils, bei dem der Gekreuzigte als Toter dargestellt wird, dessen Geist bereits entschwunden ist. Dieser Jesus aber hat die Augen geöffnet und sieht den Betenden an. Dieser Jesus leidet noch. Dicke, schwere Bluttropfen hängen fast wie Trauben von seinen Wunden.

„Ja und auch mit schöner ursprünglicher Farbigkeit – so genannte Polychromie. Hier ist es rot. Und die Haare waren ursprünglich schwarz. Und auf dem Kopf ist eine Dornenkrone.“

Über den Künstler selbst kann man nur spekulieren. Der Kunsthistoriker ist sich aber fast sicher:

„Das Werk stammt aus dem Umfeld eines Künstlers, den wir ´Meister der Teynkirchen-Kreuzigungsgruppe´ nennen. Er ist ein wichtiger Vertreter des späten weichen Stils und der Zeit zu Beginn der Hussitenkriege. Prag war damals in Mitteleuropa die Hauptstadt der Kunst. Prag strahlte nach Nürnberg, nach Wien, nach Krakau und andere Städte aus. Und die Kunst in Prag war eine höfische Kunst, also aus der Zeit zwischen Karl IV. und Wenzel IV.“

Nun muss der Gekreuzigte wieder auf Vordermann gebracht, also restauriert werden, denn die Jahrzehnte seit der letzten Restaurierung sind nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Dann soll er seinen unbequemen aber altangestammten Platz in der Georgsbasilika wieder einnehmen. Natürlich am Kreuz. Das ist aber bisher noch nicht wieder aufgetaucht.

Für Jaroslav Sojka ist jedenfalls klar: So ein Fund geschehe wahrlich nicht alle Tage. Die Skulptur sei kunsthistorisch von unschätzbarem Wert. Und welchen Wert – die Frage sei erlaubt – hat der verlorene und wieder auf die Prager Burg zurückgekehrte Sohn Gottes in Zahlen? Der Kunsthistoriker schmunzelt - „Im Auktionshaus etwa um die 100.000 Euro.“