Neue ständige Ausstellung moderner tschechischer Kunst in der Nationalgalerie
Die Tschechische Nationalgalerie ist eine der bedeutendsten Kulturinstitutionen des Landes. An zahlreichen Standorten in und um Prag gibt sie einen repräsentativen Überblick über die böhmische, tschechische beziehungsweise tschechoslowakische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In ihren Kollektionen finden sich zahlreiche einmalige Kunstschätze. Besonders umfangreich ist die Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst, die im Prager Messepalast untergebracht ist. Dort wurde nun die Dauerausstellung der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts komplett neu gestaltet. Aus einer verstaubten und ziemlich lieblos wirkenden Ansammlung von Bildern und Skulpturen ist eine moderne Sammlungs-Präsentation geworden. Ein dicker Katalog und ein umfangreiches Vermittlungsprogramm ergänzen die gelungene Schau.
„Ich erinnere mich noch gut daran, wie die Nationalgalerie Anfang der 1990er-Jahre den Messepalast loswerden wollte. Damals hieß es, das sei ein Haus, das keine Räume für Ausstellungen habe, das nur schwer zu gebrauchen sei. Ja, es ist ein schwieriges Gebäude. Aber gerade das macht es so interessant. In den vielen Jahren, in denen wir nun hier arbeiten, haben wir herausgefunden, was so ein Haus wirklich braucht. Seine Architektur ist so faszinierend, dass die Nationalgalerie keinen besseren Ort für die moderne Kunst haben könnte.“
Nach zahlreichen Sonderausstellungen moderner Kunst und der im Jahr 2005 gestarteten Triennale für Zeitgenössische Kunst sei es jetzt an der Zeit gewesen, die umfangreiche Sammlung moderner Kunst neu zu präsentieren, so Milan Knížak:
„Nun ist es uns tatsächlich gelungen, die tschechische moderne Kunst vom Jahr 1890 bis zur Gegenwart völlig neu zu präsentieren. Wir haben die langen Seitenflügel des Messepalasts geöffnet. Und wir haben erstmals Farbe in die Ausstellungsräume gebracht.“
Waren die Wände in den Ausstellungsräumen bisher weiß, hat nun auch im Prager Messepalast der internationale Trend zum farbigen Hintergrund Einzug gehalten. Der Leiter der modernen Sammlungen der Nationalgalerie, Tomáš Vlček erläutert die Vorteile dieses Konzepts anhand der Bilder des tschechischen Malers František Kupka:
„In Kupkas Werk zum Beispiel gibt es eine sehr große Neigung zu blau. Mit diesem blauen Hintergrund werden jetzt sofort die Verbindungen zwischen den einzelnen Bildern sichtbar. Dadurch ergibt sich eine regelrechte Resonanz.“
František Kupka, 1871 in Opočno in Ostböhmen geboren, ist einer der wichtigsten tschechischen Maler des frühen 20. Jahrhunderts. Als einer der ersten Künstler überhaupt stellte er bereits im Jahr 1912 abstrakte Bilder aus. Der von einigen Kunsthistorikern sogar als Begründer der Abstraktion bezeichnete Künstler studierte an den Kunstakademien in Prag und Wien und verbrachte einen Großteil seines Lebens im Pariser Vorort Puteaux. Zwei Jahre vor seinem Tod stellte er 1955 auf der ersten „documenta“ in Kassel aus.
„Kaum jemand weiß, dass die Prager Nationalgalerie die größte Kupka-Sammlung der Welt besitzt. Und das ist auch gerechtfertigt, denn Kupka war Tscheche. Sein Werk gehört also in die Nationalgalerie, nach Prag“, so Generaldirektor Milan Knížak.
Gleichzeitig betont Knížak, er wolle mit dieser Ausstellung die Kunst des 20. Jahrhunderts in Beziehung zu „ihrem“ Jahrhundert setzen:
„Neben der Präsentation der wichtigsten Strömungen im künstlerischen und ästhetischen Schaffen des 20. Jahrhunderts wollten wir auch die soziale Tragödie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht außer acht lassen, insbesondere den Ersten und den Zweiten Weltkrieg.“
Es gehe dabei um eine bewusste Konfrontation der Utopie, die die tschechische Kunst stets aufs Neue genährt habe, mit der oft groben Realität der tschechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts:
„Daher stellen wir wohl als erste auf der Welt in einer Kunstausstellung Waffen aus. Und zwar nicht Waffen in irgendeinem speziellen Design. Sondern diese modernen, kalten und perfekten Maschinen zum Töten. Es sind nicht viele, aber sie sagen eine Menge aus über diese Zeit. Vor allem im Zusammenwirken mit den Werken František Kupkas.“
Auch der Co-Kurator und Leiter der modernen Sammlungen der Tschechischen Nationalgalerie, Tomáš Vlček betont die Symbolkraft der Waffen für die Entwicklung der tschechischen Gesellschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts. Immerhin sei Tschechien in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen der zweitgrößte, wenn nicht sogar der größte Waffenproduzent der Welt gewesen:
„Die tschechische Gesellschaft hat sich auch dank einer großen Produktion von Waffen entwickelt. Das ist ein Widerspruch. Und wir haben viele Widersprüche in unserer Vergangenheit und auch in der Gegenwart.“
Ohne die Betrachtung der sozialen Verhältnisse in der damaligen Zeit sei es nicht möglich, die tschechische Kunst des 20. Jahrhunderts zu verstehen, ist Vlček überzeugt:
„Der gesellschaftliche Kontext ist die Ebene, auf der wir die Alternative einer besseren Welt präsentieren können, um die sich die tschechische Kunst stets bemüht hat.“
Neben der Entwicklung der tschechoslowakischen, der slowakischen und der tschechischen Kunst des 20. Jahrhunderts will die Tschechische Nationalgalerie aber auch einen Überblick über die Sammlungstätigkeit seit Ende der 1990er-Jahre geben, sagt Milan Knížak:
„Die Nationalgalerie widmet sich sehr gründlich dem Sammeln von zeitgenössischer tschechischer und slowakischer Kunst. Dazu verwenden wir nicht nur unsere eigenen Mittel, sondern auch Sponsorengelder. So haben wir bisher meherere Tausend Objekte ankaufen können, darunter mehr als Eintausend, die nach 1999 entstanden sind.“
Eine so umfassende Ausstellung wie die kürzlich im Prager Messepalast eröffnete Schau zur tschechischen Kunst des 20. Jahrhunderts will entsprechend präsentiert und auch vermarktet werden. Ein dicker Katalog darf deshalb nicht fehlen, wie Generaldirektor Knížak betont:
„Es ist uns gelungen, zur Ausstellung eine repräsentative Publikation herauszugeben, die 155 Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, die im Eigentum der Nationalgalerie stehen, umfasst; Meisterwerke der tschechischen und der internationalen Kunst. Dieses Buch zeigt auch klar auf, dass die tschechische Kunst dem in nichts nachsteht, was zur gleichen Zeit auf der Welt geschehen ist.“
Die Abteilung für Kunstvermittlung der Nationalgalerie hat ihr Programm ebenfalls ganz auf die neue Dauerausstellung ausgerichtet. Speziell für Schulen werden verschiedenen interaktive Programme angeboten, wie Lektorin Michaela Kabátníková erläutert:
„Wir fokussieren unsere Programme einerseits auf die klassischen künstlerischen Themen wie Raum oder Farbe, die wir anhand der Werke ausgewählter Künstler präsentieren. Aber wir spannen auch den Bogen von der Grafik über bewegte Bilder bis zur Multimedia-Kunst. Dabei lassen wir auch interdisziplinäre Fragen nicht ausgeklammert. So beschäftigen wir uns in einem Programm zum Beispiel mit der Beziehung zwischen bildender Kunst und Literatur. Ein anderes zeigt die Parallelen zwischen Bildern und der Musik auf.“
Doch nicht nur Schulklassen kommen in den Genuss der Kunstvermittlungs-Programme. Auch für die breite Öffentlichkeit bietet die Nationalgalerie im Messepalast Begleitprogramme an. Neben den klassischen Ausstellungsführungen versucht man auch hier neue Wege zu gehen, wie Kunstvermittler Oldřich Bystřický erläutert:
„Das sind kommentierte Führungen mit interaktivem Charakter. Unter dem Motto ‚Kommen Sie, um über Kunst zu diskutieren’ wollen wir die Besucher zum intensiven Austausch über die Kunstwerke animieren.“
Diese interaktiven Führungen werden regelmäßig zu verschiedenen Themen veranstaltet. Anhand von drei ausgewählten Werken wird dabei ein ganz spezielles Thema ausführlich aufbereitet und aufgearbeitet. Die Besucher erhalten dazu ein ausführliches Skriptum und Klappstühle. Die klassischen Ausstellungsrundgänge finden mehrmals pro Monat statt. Jeden ersten Mittwoch im Monat sogar bei freiem Eintritt.
Die neu aufgestellte Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst ist im Prager Messepalast im Stadtteil Holešovice zu sehen. Geöffnet täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr. Nähere Informationen finden Sie auf den Internet-Seiten der Tschechischen Nationalgalerie: