Niederösterreichische Landesausstellung: Umfassende Schau zur österreichisch-tschechischen Geschichte

Stefan Karner (Foto: Autor)

„Österreich. Tschechien. geteilt – getrennt – vereint.“ Das ist der Titel der Niederösterreichischen Landesausstellung, die am Freitag feierlich eröffnet wurde. An drei Schauplätzen – in den niederösterreichischen Städten Horn und Raabs sowie im tschechischen Telč – wird bis zum 1. November die gemeinsame Geschichte der beiden Länder präsentiert. 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zeigt die umfangreiche Schau vor allem die historischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts: vom Zerfall der Monarchie über die Besetzung des Sudetenlandes durch Hitlerdeutschland, die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren und das Schicksal der deutschsprachigen Zivilbevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur vier Jahrzehnte langen Teilung Europas und ihrer Überwindung im Jahr 1989. Gerald Schubert hat kurz vor der Eröffnung den Kurator der Ausstellung, den Historiker Stefan Karner, in Wien getroffen.

Stefan Karner  (Foto: Autor)
Herr Professor Karner, wir sitzen in einem Wiener Kaffeehaus, aber unsere letzten Begegnungen haben allesamt in Prag stattgefunden, wo Sie öfter zu Gast sind. Sie sind Herausgeber eines zweibändigen Werks über die Geschichte des Prager Frühlings, und Sie sind Kurator der Niederösterreichischen Landesausstellung, die sich mit der österreichisch-tschechischen Geschichte auseinandersetzt. Pflegen Sie persönlich eine intensive Beziehung zur Tschechischen Republik, oder hat sich das beruflich einfach so ergeben?

„Es entwickelt sich eine Beziehung. Das erste Mal war ich 1990 in Tschechien, das heißt knapp nach der Wende. Damals habe ich natürlich noch die ČSFR kennen gelernt. Daraufhin habe ich mir dann Mähren angesehen, das ist uns ja sehr nahe. Als Historiker weiß man über das Großmährische Reich Bescheid, man weiß über Böhmen Bescheid, und als Österreicher kennt man auch die Nachbargebiete ein wenig, also Feldsberg / Valtice oder Iglau, und man kennt und schätzt das gute tschechische Bier. Meine Beziehung zu Tschechien hat sich also langsam entwickelt, und ich muss sagen, sie entwickelt sich sehr gut. Ich besuche immer wieder Prag, aber natürlich auch Telč, diese wunderschöne Stadt, in der ein wesentlicher Teil unserer gemeinsamen Ausstellung stationiert ist.“

Sie sprechen von der Niederösterreichischen Landesausstellung. Die anderen beiden Städte, in denen die Ausstellung stattfindet, sind Horn und Raabs in Niederösterreich. Nach welchem Prinzip sind Sie vorgegangen? Ist es jetzt eine Ausstellung, oder sind es drei?

„Es ist eine gemeinsame Ausstellung, die an drei Orten stattfindet. Es war eine nicht ganz einfache Aufgabe, sie so zu konzipieren, dass jeder Teil für sich selbst eine Ausstellung ist, aber doch Bezüge zu den anderen Orten hat. Das heißt, wenn jemand nach Horn kommt, dann ist es ganz gut, wenn er auch Raabs und Telč sieht. Ich sage immer: Nach Horn musst du gehen, um die Ausstellung insgesamt zu verstehen. Nach Raabs musst du gehen, um Horn zu verstehen. Und nach Telč gehen wir zur Freude, zur Erbauung, zur Kunst – just for fun. Aber jeder Ort ist für sich selbst sehenswert.“

Insgesamt geht es um Geschichte, um Kultur und um das Motto Grenzen. Wie haben Sie diese Bereiche aufgeteilt?

„In Horn zeigen wir die Zeitgeschichte der Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien, vor allem im 20. Jahrhundert. Dort ist also Geschichte das eigentliche Thema. Das Thema in Raabs ist die Grenze. Die Grenze im physischen, aber auch im übertragenen Sinn, die Grenze in den Köpfen, die Ideologien, die Religionen – alles das, was unser Zusammenleben letztlich geprägt hat. Und in Telč zeigen wir vor allem die Kunst und die Kultur. Die Kultur als Alltagskultur, als höfische Kultur und natürlich auch als bürgerliche Kultur, die in dem Raum über lange Strecken ebenfalls sehr stark verbreitet war. Und wir zeigen jene Künstler, die in dem Raum gewirkt haben: Egon Schiele, Gustav Mahler, die Wiener Schule, Josef Hoffmann und so weiter.

Telč
Überhaupt zeigen wir in der Ausstellung sehr viel über die Menschen dieser Region, auf beiden Seiten der Grenze. Wir sind der Meinung, dass wir eine solche Ausstellung auf jene Menschen abstellen müssen, die in dieser großen Region Tschechien- Österreich gelebt haben. Wir haben dazu eine große Sammelaktion gemacht und die Leute gebeten, uns all das zu bringen, was sie an interessanten Gegenständen zu Hause haben – und sie haben ihre Dachboden und Schränke geöffnet! Wir haben tausende Zuschriften und Exponaten bekommen. Das geht von einfachen Ausweisen bis zu hochinteressanten Tagebüchern, diversen Gegenständen, Fotos und so weiter.“

Das ist aber nur eines der ästhetischen Mittel. Sie haben aber auch andere Mittel gesucht, um den Menschen die Atmosphäre der österreichisch-tschechischen Geschichte näher zu bringen. Können Sie verraten, was die Besucher da erwartet?

„Für unsere Beziehung wesentlich war die Grenze als Eiserner Vorhang. Die Menschen auf der österreichischen Seite haben bei weitem nicht alles von dem mitbekommen, was auf der tschechischen Seite vor sich ging. Und umgekehrt. Menschen auf der tschechischen Seite haben von dem, was in Österreich vor sich ging, noch weniger erfahren. Wir haben überlegt, wie wir das in die Ausstellung bringen können, und wir haben einen Kunstgriff gemacht. Ohne jetzt zu viel zu verraten: Wir haben diesen Eisernen Vorhang in Form einer Wand gestaltet, durch die man nur schemenhaft sehen kann. So bekommt man einen Eindruck davon, wie wenig durchlässig diese Wand war, wie wenig auch über das Radio und über das Fernsehen gekommen ist, wie wenig die Menschen vom Nachbarn gewusst haben. In der Ausstellung haben Sie aber die Chance, letztlich doch alles mitzubekommen. Sie können ein zweites Mal auf der anderen Seite durchgehen, und dann haben Sie plötzlich zwei Sichtweisen.“

Wie haben Sie die tschechische Sicht eingebracht? Es handelt sich ja um eine niederösterreichische Ausstellung. Hat es eine Zusammenarbeit mit tschechischen Historikern gegeben?

„Es ist eine gemeinsame Ausstellung. Mein Partner ist Dr. Michal Stehlík von der Karlsuniversität Prag und sein ganzes Team. Wir haben die Ausstellung von Anfang an gemeinsam konzipiert, alle Inhalte gemeinsam besprochen, die Fotos gemeinsam ausgesucht. Wir haben, wenn Sie so wollen, die Ausstellung gemeinsam gebaut. Bei einigen Themen konnten wir uns nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Diese Themen sind allgemein bekannt: Es geht um die Beneš-Dekrete, um die Vertreibungen, zum Teil auch um das Atomkraftwerk (Temelín, Anm.). Da haben wir eben zwei Sichtweisen. Nachdem wir mit den tschechischen Kollegen wirklich gute Gespräche hatten und beide Positionen gut argumentieren können, aber es halt noch keine Einigung gibt, haben wir uns dazu entschlossen, hier jeweils beide Sichtweisen einzubringen.“


Einen Bericht von der Ausstellungseröffnung bringen wir am Montag in unserem Tagesecho.