Beat-Poeten in Budweis – ein Literatur-Café knüpft an alte Traditionen an
Moderne Kaffeehäuser sehen manchmal wie Rechenzentren aus: Die Besucher starren auf Bildschirme, surfen im Internet oder widmen sich den mehr oder weniger intelligenten Computerspielen. Vor etwa hundert Jahren war es aber anders: In Cafes trafen sich Literaten, Studenten und Damen aus der „besseren“ Gesellschaft, um zu diskutieren und manchmal auch zu tratschen und zu klatschen. Diese Atmosphäre von damals lässt schon ein paar Jahre lang das Café „Mond am Tag" in České Budějovice / Budweis wieder aufleben.
Ein eigenes Café zu haben und wie ein Café-Faulenzer zu leben - das war ein alter Traum von Eliška Štěpánová. Viele Jahre hat sie zielstrebig gespart, dann konnte sie sich den ersten Teil ihres Wunsches erfüllen: Sie kaufte ein altes Haus unweit vom Budweiser Stadtzentrum und verwandelte es in ein einzigartiges Café, das sich bald auf der kulturellen Landkarte der südböhmischen Landeshauptstadt eingenistet hatte. Der Weg dazu war jedoch nicht einfach, erzählt die Kaffeehausbesitzerin:
„Das Haus war so heruntergekommen, dass es eigentlich nur noch abgerissen werden konnte. Die Stadt wollte aber trotzdem für das Haus möglichst viel Geld bekommen und hat einen öffentlichen Wettbewerb ausgelobt. Ich habe daran teilgenommen, war aber zunächst erfolglos. Dann traten zwei Interessenten, die die besten Preise angeboten hatten, nach der gründlichen Untersuchung des Hauses zurück. Sie hatten festgestellt, dass sich weder der Abriss noch die Renovierung des Hauses lohne. Auf diese Weise kam mein Angebot wieder auf den Tisch: Plötzlich rief mich eine Beamtin des Budweiser Rathauses an und fragte, ob ich noch Interesse an dem Haus hätte. So konnte ich es kaufen und war sehr glücklich.“
Die Aufgabe, noch weitere Millionen Kronen für die Rettung der Ruine zu besorgen, schien am Anfang nahezu unmöglich. Aber Eliška Štěpánová schaffte es: Ihr halfen Freunde und Sponsoren, aber auch die Stadtverwaltung leistete einen Beitrag. So konnte im Jahr 2000 das literarische Kaffeehaus „Mond am Tag“ eröffnet werden. „Mond am Tag“ ist der Titel des Lieblingsgedichts von Eliška Štěpánová - geschrieben von Nanao Sakaki, einem Dichter der Beat-Generation. Der Text des Gedichtes steht auch an der Wand des Cafés.
„Besonders stolz bin ich darauf, dass Ruth Weiss - eine der letzten lebenden Beat-Poeten - unser Kaffeehaus dreimal bereits besucht hat. Sie ist in Berlin geboren, jedoch bald vor den Nazis in die USA geflohen. Die Beat-Literatur steht mir am nächsten und ich hätte nie geglaubt, dass ich eine solche Persönlichkeit kennen lernen könnte. Als Allan Ginsberg und Nanao Sakaki 1990 nach Budweis zu Besuch kamen, hatte ich noch kein Kaffeehaus hier. Ich hätte sie sicher eingeladen, wenn ich damals schon gewusst hätte, wohin“, erzählt Eliška Štěpánová.
Fast alle bedeutenden tschechischen Schriftsteller waren schon „im Mond“, wie die Budweiser das Kaffeehaus kurz nennen, zu einer der Literatur-Diskussionen: Ludvík Vaculík, Ivan Klíma, Michal Viewegh (sogar mehrmals), um nur einige zu nennen. Darüber hinaus veranstaltet Eliška Štěpánová Programme für Autoren aus der Gegend und solche, die erst mit dem Schreiben beginnen. Sie hätten sonst kaum eine Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Am vergangenen Wochenende gab es hier zum Beispiel schon zum sechsten Mal ein südböhmisches Poesiefestival. Daran nimmt regelmäßig der Literaturkritiker Mirek Kovářík teil, der den jungen Poeten wertvolle Ratschläge gibt und für manches gutes Werk als Geburtshelfer gedient hat. Kovářík hat jedes Mal auch einen eigenen Auftritt im Rahmen des Festivals, bei dem er seine Lieblingsautoren präsentiert. Es ist jedoch nicht nur Literatur, die in dem Literatur-Café eine Rolle spielt, wie Eliška Štěpánová erklärt:
„Wir haben auch eine Galerie im Kaffeehaus, in der wir ungefähr zehn Ausstellungen pro Jahr veranstalten. Der Raum dient auch einigen nicht-kommerziellen Organisationen, die sich üblicherweise keine Saalmiete leisten können. Beispielsweise veranstaltet der Umweltschutz-Verein ´Calla´ hier regelmäßig seine ´grünen Donnerstage´. An diesen Donnerstagen halten verschiedene Persönlichkeiten Vorträge, die ich selbst interessant finde und auch besuche. Daneben veranstalten wir jedes Jahr eine Weihnachtsausstellung der Produkte von so genannten ´geschützten´ Werkstätten. Das sind Werkstätten, in denen Behinderte arbeiten. Zum dritten Mal schon planen wir zum Beispiel eine Modenschau, bei der Behinderte selbst ihre Eigenkreationen präsentieren.“
Behinderte sind hier übrigens täglich anzutreffen. Vor zwei Jahren hat sich Eliška Špěpánová entschlossen, noch ein „Café im Kaffehaus“ zu gründen. Es heißt „Auf halbem Wege". Die Gäste werden hier von geistig Behinderten bedient und angeboten werden - neben Getränken und Konditoreiware - auch Fair-Trade-Produkte und Erzeugnisse der Behinderten. Marek Molnár ist einer der drei Kellner, die hier abwechselnd bedienen:
„Ich konnte lange keine Arbeit finden. Dann hat man mir diese Stelle angeboten, wofür ich sehr dankbar bin. Ich fühle mich sehr gut, wenn ich jemanden selbst bedienen kann und er dann zufrieden ist. Am besten ist es im Herbst, da kommen die meisten Gäste. Manchmal ist hier total voll.“
Den Behinderten steht bei der Arbeit Kateřina Horáčková als Assistentin zur Seite. Ihre Aufgabe besteht darin, den Betrieb zu überwachen und die behinderten Mitarbeiter zur Selbständigkeit zu führen.
„Ich denke, die Behinderten, die hier tätig sind, haben schon viel gelernt. Hier können auch geistig behinderte Jugendliche lernen. Sie besuchen die so genannte ´Praxis-Schule´, wo sie verschiedene kleinere Arbeiten üben können. Aber nur bei uns können sie in Kontakt mit der Öffentlichkeit treten und die Aufgaben von echten Angestellten erfüllen. Sie bedienen nicht nur, sondern bereiten auch die Eisbecher, die Getränke, die Cocktails und anderes vor“, erläutert Kateřina Horáčková.
Beide Kaffeehäuser sind für ihre Eigentümerin Eliška Štěpánová eher Hobby als Einnahmequelle. Was sie im „Mond am Tag" täglich verdient, das investiert sie in kulturelle Projekte, die in der südböhmischen Landeshauptstadt ohne Konkurrenz sind. Das Café „Auf halbem Wege“ ist kein gewinnorientierte Betrieb - es wird aus öffentlichen Mitteln unterstützt, aber der Beitrag ist bescheiden. Eliška Štěpánová hat deshalb noch ihre eigene Werbeagentur. Aus deren Gewinn unterstützt sie das Café „Auf halbem Wege“. Viel Arbeit also, die sie sich da aufgeladen hat. Eliška Štěpánová träumt aber immer davon, später ihre Rente im Café zu verprassen und den Ruhestand als echte Café-Faulenzerin zu genießen.
Fotos: www.mesicvedne.cz