Aromaschutzhüllen oder Tropenfruchtaufkleber - Tschechen sind passionierte Sammler
Wissen Sie, was Schlüsselanhänger, Postkarten und Figuren aus Überraschungseiern miteinander verbindet? Sie werden gesammelt, getauscht, sortiert und archiviert. Wen die Sammelleidenschaft einmal gepackt hat, den lässt sie so schnell nicht wieder los. Sammeln hat in Böhmen und Mähren eine lange Tradition. Bereits Karl IV. hortete sein ganzes Leben lang Reliquien und Kaiser Rudolf II. war bekannt für seine Kunst- und Kuriositätensammlung. In der kommunistischen Zeit wurde das Sammeln gar zu einer Art Volkssport. Als im postrevolutionären Tschechien weitere Märkte zugänglich wurden, gelangten neue Gegenstände in die Hände der Sammler. Eines blieb jedoch in allen Zeiten unverändert: die Lust am Sammeln.
Die sonnendurchfluteten Räume der Mensa der Prager technischen Universität sind an diesem Samstagmorgen frei von Tellergeklapper und Gläserklirren. Stattdessen liegen auf den Tischen aufgeklappte Kästen, die bis an den Rand mit Postkarten gefüllt sind. Die etwa 100 Männer und Frauen, die an der Postkartenbörse teilnehmen, eint eines: Sie suchen nach einer weiteren Errungenschaft für ihre Sammlung. Konzentriert und ruhig suchen sie. Hier und da wird ein Preis verhandelt, öfter fallen die Namen von Städten, die auf den Postkarten abgebildet sein sollen. Selbst dem außen stehenden Besucher wird schnell klar, dass hier Experten versammelt sind. Sammeln will gelernt sein und je älter der Sammler ist, desto besser. Dies bestätigt auch Ladislav Likler, Vorsitzender des Klubs der Kuriositätensammler in Tschechien:
„Wir sind ein Klub der Spitzenklasse, der Topsammler unter seinem Dach vereint. Zur Spitze gelangt man erst mit der Zeit. Sammeln ist ein Langstreckenlauf, darum ist es wohl eher eine Sache der Älteren. Aber wir freuen uns auch, wenn Junge hinzukommen. Sie bringen neue Sammelobjekte ein, wie zum Beispiel in den letzten Jahren Teebeutel-Aromaschutzhüllen oder Aufkleber auf tropischem Obst und Gemüse.“
Der Klub der Kuriositätensammler ist bereits seit 1965 fester Bestandteil der tschechischen Sammlerszene. Er organisiert Sammlerbörsen verschiedenster Art. Ladislav Likler erklärt, wie sich die Situation nach der Wende 1989 verändert hat:
„In den ersten Jahren nach der Revolution gab es eine Abwendung vom Sammeln, überhaupt vom Ausüben von Hobbys. Die Leute hatten nun die Möglichkeit, ins Ausland zu fahren und es gab ein größeres Angebot im Fernsehen. Ihre Zeit haben die Leute also für etwas anderes gebraucht. Dennoch haben wir die Zahl von etwa 1000 Mitgliedern bis heute halten können. Zwar treten jedes Jahr etwa fünf Prozent der Leute aus, doch nehmen wir auch fünf Prozent Neumitglieder auf. Im Wesentlichen hat sich die veränderte Situation in den Preisen bemerkbar bemerkt gemacht. Zu unseren Aktionen kamen nach der Wende auch Sammler aus dem Ausland, die weitaus bessere finanzielle Möglichkeiten hatten. Das hat die Preise für Sammelmaterial, zum Beispiel für Postkarten, um das Zehn- bis Zwanzigfache nach oben getrieben.“Puppen, Spieluhren, die Figuren aus Überraschungseiern oder Bierdeckel, Käseaufkleber und Kalenderkärtchen – sind die Preise auch gestiegen und ist die Zeit weniger, denn tschechische Bürgerinnen und Bürgern haben immer noch Lust an diesen Dingen. Gesammelt wird, was gefällt. Ivan Fedorov, seit 30 Jahren Mitglied im Klub der Kuriositätensammler, verrät. was seine Sammelleidenschaft ausgelöst hat.
„Mich hat ein Schlüsselanhänger mit Metermaß zum Sammeln gebracht. Den schenkte mir ein Freund aus Australien. Der Schlüsselanhänger hat mir so gut gefallen, dass ich mir dachte, ich könnte auch noch andere auftreiben. So hat´s dann angefangen. Ungefähr 5000 Schlüsselanhänger hatte ich in den besten Zeiten und war Sechster oder Siebter in der Tschechischen Republik. Dann musste ich meine Sammlung aus Platzgründen reduzieren. Jetzt sammle ich nur noch Luxusmodelle, etwa aus dem Ausland, und die haben einen recht hohen Wert.“
Wer sich wie Ivan Fedorov bis an die Spitze gesammelt hat, investiert in der Regel viel Zeit und Geld in sein Hobby. Wer sammeln will, kann dies auch tun, ohne einen Cent auszugeben. Studentinnen der Hochschule für Kunstgewerbe in Prag haben im Rahmen des Projektes „Vom Sammeln und der Sammelleidenschaft“ die unterschiedlichsten Phänomene untersucht. Überraschend war vor allem, dass auch jenseits materieller Sammlungen mit Lust gesammelt wird, so die Leiterin der Studien, Martina Pachmanová:
„Sammeln ist eigentlich eine natürliche Sehnsucht des Menschen nach einer geordneten Welt. Ich denke, dass viele Leute nicht mit dem Ziel sammeln, eine wertvolle Sammlung aufzubauen, sondern, dass es kurz gesagt, darum geht, eine Welt im Kleinen zu schaffen.“
Im Katalog zu dem wissenschaftlichen Projekt kommt unter anderem ein Sammler von Geschmackserlebnissen zu Wort und es wird erklärt, was Abfallsammler bei ihrem Tun bewegt. Der Titel des Katalogs „Haben und Sein“ verweist auf einen besonderen Aspekt der Lust am Sammeln
„Der Titel deutet vor allem darauf hin, dass das, was wir sammeln, in gewisser Hinsicht auch wir selbst sind. Das Was und Wie des Sammelns verleiht dem Menschen in bestimmter Art und Weise einen Wert und Identität“, so Martina Pachmanová.
Kuriositäten-Sammelfachmann Ladislav Likler schätzt am Sammeln vor allem den hohen Erholungswert und die Fülle neuer Begegnungen. Das bestätigt die junge, hübsche Bulgarin, die auf der Postkartenbörse im Mensagebäude ihre Raritäten anbietet. Die Lust am Sammeln hat sie mit ihrem tschechischen Ehemann zusammengebracht, der sie im Antiquitätenladen bei der Suche nach neuen Postkarten ansprach. Jetzt sammeln sie zusammen.