Vom Streichholzetikett zum Retro-Plakat: Liebhaberprojekt stellt Grafikdesign der Tschechoslowakei vor
Das aktuelle Grafikprojekt Czechoslovakian Ink stellt ein oft übersehenes Kapitel der tschechoslowakischen Designgeschichte vor: Die Gestaltung von Streichholzschachteln in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Neben Plakaten, die die Entwürfe von anno dazumal reproduzieren, bringt das junge Unternehmen auch Bildbände heraus – jüngst etwa zum tschechoslowakischen Verpackungsdesign der 1950er bis 1970er Jahre.
Jiří Kubík hat ein besonderes Hobby. Er ist Phillumene. Das heißt: Er sammelt Streichholzschachteln, oder genauer gesagt, die bunten Etiketten, mit denen die Schachteln früher beklebt waren. Den Anreiz dazu gab ihm sein Großvater, der eine umfangreiche Briefmarkenkollektion sein eigen nennt…
„Ich wollte es meinem Opa nicht nachmachen und habe deshalb etwas anderes gesammelt: Streichholzetiketten. Ich habe sie aus unterschiedlichen Nachlässen zusammengetragen und auf Auktionsseiten im Internet bestellt. Und irgendwann habe ich festgestellt, dass ich zuhause eine ganze Menge davon herumliegen habe.“
In der Tschechoslowakei entstanden zwischen den 1950er und 1970er Jahren rund 9000 verschiedene Designs für die Zündholzschachteln. Kubíks Sammlung von Etiketten zählt heute über 30.000 Exemplare. Zu dieser hohen Zahl tragen auch Stücke aus dem Ausland und Dopplungen bei.
„Ich habe mein Konvolut meinen Kollegen gezeigt, die so wie ich Grafikdesigner sind. Sie hatten so etwas noch nie gesehen. Das führte zu der Idee, dieses längst vergessene Kapitel der tschechischen Designgeschichte den Menschen von heute näherzubringen.“
Aus historischen Streichholzetiketten werden Vintage-Plakate
Czechoslovakian Ink heißt das Projekt, das Kubík und seine Kollegen zu diesem Ziel ins Leben gerufen haben. Als erstes brachten die Grafikdesigner ein Buch heraus. Der Schutzumschlag hat die Form einer Streichholzpackung, und für dieses Design haben die Macher dann auch 2022 den Red Dot Design Award bekommen. Czechoslovakian Ink bietet aber auch Drucke ausgewählter Motive an. Die Jahrzehnte alten Designs werden dazu digitalisiert und anschließend vergrößert. Gedruckt werden die Entwürfe auf Papier mit einer extra hohen Grammatur. Jedes der Plakate erscheint in einer limitierten Edition von 240 Stück – genauso viele Zündholzer befanden sich nämlich früher in einer großen Packung. Aber wie haben Kubík und sein Team aus den Tausenden Motiven jene ausgewählt, die nun als Plakate angeboten werden?
„Das war eine ganz schön große Herausforderung. Für das Buch hatten wir uns für 600 Motive entschieden. Bei den Plakaten kamen aber nur etwa 60 in Frage. Lange Abende haben wir beieinander gesessen, umgeben von Tausenden dieser klitzekleinen Bildchen. Wir haben sie dann nach und nach aussortiert und jene ausgewählt, die grafisch von besonders hoher Qualität waren, oder die mit einem besonders lustigen Spruch versehen waren, der vielleicht sogar heute noch aktuell ist.“
„Dick werden heißt alt werden“, ist ein solcher Slogan, aber etwa auch „Niese und huste ins Taschentuch“ oder „Kinder nicht unbeaufsichtigt lassen“. Das Angebot der Plakate umfasst zudem eine Sammlung, die verschiedene Wildtiere zeigt und einst für den Prager Zoo entstanden ist. Im Sortiment finden sich ebenso Werbegrafiken von Streichholzetiketten, etwa für das Hotel Transit in Prag oder den Hühnerzuchtbetrieb Xaverov.
Auch Radio Prag ist mit einem Plakat vertreten
Am beliebtesten sei das Motiv der Gothaer Salami, sagt Kubík im Interview. Er zeigt sich sichtlich überrascht darüber, dass diese Zervelatwurst, die in der Tschechoslowakei zahlreiche Abnehmer fand, scheinbar auch heute noch begeistern kann. Aber welches Motiv gefällt dem Firmengründer selbst am meisten?
„Für mich steht wirklich das reine Grafikdesign im Vordergrund. Ich verbinde die Motive nicht mit der damaligen Zeit. Das liegt wohl auch daran, dass ich erst nach 1989 geboren wurde. Am meisten gefallen mir die sehr kräftigen und farbigen Plakate, etwa eines auf dem es „Práci čest“ heißt. Nun ja. Aber visuell gefällt es mir nun einmal am meisten.“
„Práci čest“, das heißt auf Deutsch so viel wie „Ehre der Arbeit“. Der Spruch diente zur Zeit des Kommunismus als Begrüßungsformel unter Genossen. Auf dem Plakat steht er in dicken Lettern, die etwa die Hälfte des Motivs ausmachen. Ein kräftiges Rot, Schwarz und Weiß dominieren das Bild. Die Silhouetten von Schornsteinen und Fabrikgeländen sind darauf zu erkennen. Ähnliche Designs mit eindeutig kommunistischer Botschaft finden sich unter den Plakaten von Czechoslovakian Ink so einige – sei es der Aufruf zur Kartoffelernte, die Lobpreisung der ersten Sputnik-Mission oder die Lobrede auf die Erbauer des Sozialismus. Auch die deutschsprachigen Auslandssendungen des Tschechischen Rundfunks sind mit einem Motiv vertreten: Auf blauem Grund schwebt vor einem Sendemast in der Höhe eine weiße Friedenstaube, eine der Rundfunkwellen mündet in einen roten Stern, und über all dem wird Radio Prag als „hlas míru“, also als „Stimme des Friedens“ beworben.
Wegen dieser kommunistischen Sprüche und der Reproduktion überwundener politischer Ansichten wird Jiří Kubík öfter auch mit Kritik an seinem Projekt konfrontiert.
„Solche Kommentare habe ich schon öfters vernommen. Für mich ist unser Projekt aber ein absolut apolitisches Vorhaben. Mir geht es schlichtweg um das Grafikdesign und darum, wie dieses Handwerk im vergangenen Jahrhundert in der Tschechoslowakei ausgeführt wurde.“
Liebhaberprojekt leidenschaftlicher Grafikdesigner
Die Firma, die hinter Czechoslovakian Ink steht, heißt Oliver & Parents. Neben Kubík sind noch ein weiterer Grafikdesigner und eine PR-Kraft Mitglied des Teams. Kubík sagt:
„Tatsächlich ist dieses Projekt mein Hobby. Ich mache das wirklich nur zum Spaß an der Freude, es gibt keinen Klienten und keine Deadlines. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich hingegen mit Visualisierungen für die Automobilindustrie. Das hat zwar auch mit Grafikdesign zu tun, geht aber in eine andere Richtung.“
Dass keiner im Team den Anspruch habe, mit Czechoslovakian Ink das große Geld zu verdienen, sei von Vorteil, meint Kubík. So würde das junge Unternehmen Zeit und Energie in die Entwicklung stecken, die sonst wohl kaum jemand investieren würde. Für die Buchpublikation habe man etwa eigens ein über 50 Jahre altes Papier aufgetrieben, das früher tatsächlich für die Etiketten von Streichholzschachteln verwendet wurde. Bei dem Bildband ziert es nun den Schutzumschlag. Aber wer hat eigentlich die Rechte an den ganzen alten Bildern, mit denen Czechoslovakian Ink ja nun doch die ein oder andere Krone verdient?
„Mit dieser Frage haben wir uns auch sehr lange beschäftigt. Wir haben den Zündholzhersteller Solo Sušice kontaktiert. Das Unternehmen hat aber nur die Rechte an jenen Motiven, die als geschützte Marken eingetragen sind und auch heute noch verwendet werden, also etwa ‚The Two Eggs‘, ‚The Pipe‘ und ‚The Scissors‘. Man wusste dort keinen Rat, wer die Rechte an den anderen Bildern vertritt. Wir haben deshalb weitergesucht und sind in Kontakt mit der Familie von Vilibald Weinzettl getreten. Er war einer der wichtigsten Designer der Zündholzetiketten. Doch auch seine Nachfahren wussten nicht, bei wem die Urheberrechte liegen könnten.“
Da die Nachforschungen keinen Erfolg hatten, zahlen Kubík und sein Team nun Gebühren an die Organisation OOA-S, also die Verwaltungsgesellschaft für Autoren visueller Werke hierzulande.
Neue Buchpublikation zu Verpackungsdesign
Die Auseinandersetzung mit den Streichholzschachteln stellt allerdings nur einen Aspekt der Arbeit von Czechoslovakian Ink dar. Vor kurzem haben die Macher nämlich ein weiteres Buch auf den Markt gebracht, das thematisch in eine andere Richtung geht.
„In dem zweiten Band steht das Verpackungsdesign im Fokus. Die Entwürfe stammen aus derselben Zeit, aber es handelt sich eben um Umverpackungen von Waschmittel, Zucker, Mehl, Bauteilen oder Elektrogeräten.“
Passend spielt auch die Verpackung dieses Buches auf den Inhalt an: So wird der Bildband in einem Karton geliefert, der an eine historische Waschmittelverpackung erinnert. Und wie geht es weiter? Welche Projekte geht Czechoslovakian Ink als nächstes an? Es gebe bereits erste Ideen, so Kubík…
„Dieses zweite Buch ist ja erst letzte Woche Freitag erschienen, und ich denke, wir werden uns noch eine Weile damit beschäftigen. Aber wir würden uns in Zukunft gern mit tschechoslowakischen Logos von den 1950er in die 1970er Jahre auseinandersetzen und diese in irgendeiner Art und Weise vorstellen.“
Und so könnte dann schon bald der dritte Band von Czechoslovakian Ink erscheinen.