Prag 1968: Original-Töne und Sendungen zum Jahrestag des Einmarschs
In der nächsten Woche jährt sich der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei zum 40. Mal. Er bedeutete das Ende der reformsozialistischen Versuche der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei unter Generalsekretär Alexander Dubček. Radio Prag war während der damaligen Ereignisse eines der wichtigsten Sprachrohre ins Ausland. In unseren Archiven und denen zahlreicher anderer europäischer Radiostationen finden sich noch Tondokumente dieses vorerst letzten Aufbäumens einer freien Medienlandschaft.
Demokratisierung, Pluralismus, Meinungsfreiheit – das waren die Schlagworte des Prager Frühlings. Diese Reformbewegung von 1968 ließ die Menschen in der damaligen Tschechoslowakei auf einen Umbau des kommunistischen Systems hoffen. Dann walzten aber am 21. August die Panzer der Warschauer-Pakt-Truppen die Reformansätze nieder: eine erschütternde Erfahrung für die Menschen dieses Landes. Zehntausende tschechoslowakische Bürger emigrierten - auch in die nahen deutschsprachigen Länder. Radio Prag ist im Besitz zahlreicher Tondokumente vom 21. August 1968 und den Tagen unmittelbar danach, einige davon sind in deutscher Sprache. Radio-Prag-Chefredakteur Gerald Schubert kennt sie genau.
Gerald, was alles befindet sich unter den Tondokumenten?
„Von den Originaltönen in deutscher Sprache haben wir viel aus unseren eigenen Sendungen, denen der deutschsprachigen Redaktion von Radio Prag, aus dem August 1968. Zudem haben wir viele Reaktionen von westdeutschen Politikern, zum Beispiel vom damaligen Außenminister Willy Brandt und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger.“
Was liegt Radio Prag denn Weiteres auf Deutsch noch vor?„Die Sendungen zahlreicher westdeutscher Radiostationen. Die sendeten damals Analysen und Korrespondentenberichte, von denen sich viele auch auf Radio Prag beziehen. Radio Prag war damals für viele deutsche Kollegen die Hauptnachrichtenquelle. Dies illustriert zum Beispiel ein eindrucksvoller Auszug aus einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks vom 21. August 1968, in der ein Korrespondent am Telefon die zeitgleich in unserem Rundfunkgebäude ablaufenden Ereignisse schildert.“
In welchen anderen Sprachen liegt uns Material vor? Sind darunter besondere Highlights?
„Wir haben Material in allen Sprachen, in denen Radio Prag sendet, das heißt auf Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Tschechisch und Deutsch. Darunter sind natürlich viele Highlights. Um nur einige zu nennen: Auf Englisch gibt es eine Reaktion des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson oder Aufnahmen aus der Sitzung des UN-Sicherheitsrates, die sich mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei befasst hat. Wir haben auf zum Beispiel Originaltöne tschechischer Demonstranten, die auf dem Wenzelsplatz auf Russisch mit russischen Invasionstruppen diskutieren. Und wir haben einen Aufruf auf Russisch des tschechischen Senders im südböhmischen České Budějovice / Budweis, mit dem die russischen Truppen aufgefordert werden wieder nach Hause zu fahren. Natürlich liegt uns auch viel Material auf Tschechisch vor, wovon ich Eines besonders hervorheben möchte. Der Österreichische Rundfunk hat damals auch auf Tschechisch gesendet, denn es sind damals viele tschechische und slowakische Emigranten nach Österreich gekommen. Diese Sendungen waren die Hauptnachrichtenquelle für die Tschechen in Wien und in anderen Teilen Österreichs.“
Wie ist Radio Prag an dieses Material herangekommen?
„Zum einen sind das Materialien, die wir in unserem eigenen Archiv gefunden haben. Zum anderen haben wir Rundfunkstationen in ganz Europa angeschrieben und sie gebeten, für uns in ihren Archiven zu stöbern und uns Ton-Dokumente zu schicken, die sie aus dieser Zeit haben. Diesen Partnerstationen aus allen möglichen europäischen Ländern gilt mein besonderer Dank. Sie haben wirklich viel gefunden, uns sehr großzügig geholfen und uns mit Materialien überhäuft, die wir dann hier ausgewertet haben. Das wird nun in unseren Sendungen verwertet. Außerdem wird es in jeder Sprachversion auf unseren Internetseiten eine Tongalerie geben, die laufend ausgebaut wird und auf der man sich Archivmaterial außerhalb des gewohnten Sendungszusammenhangs anhören kann.“
Auch in unseren täglichen Sendungen werden wir bei Radio Prag ab kommender Woche ausführlich an den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei erinnern. Wir haben dies bereits in einer Ausgabe des Medienspiegels erwähnt. Nun steht das Programm auch im Detail und dazu nun ein Gespräch mit Till Janzer, dem Leiter der deutschen Redaktion von Radio Prag.
Till, was erwartet unsere Hörer in den nächsten Tagen zum Thema Niederschlagung des Prager Frühlings vor 40 Jahren?
„Vor allem starten wir ab Montag, dem 18 August eine zehnteilige Serie zu dem Jahrestag. Dabei beleuchten wir das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven. Zeitzeugen kommen zu Wort und Historiker, und wir werden natürlich auch aus dem umfangreichen Fundus der Originaltöne von damals schöpfen. Ein paar Themen nenne ich einfach mal: Zum Beispiel haben wir den ehemaligen Leiter des Militärflughafens im ostböhmischen Hradec Králové / Königgrätz interviewt, der am 21. August nach der Landung russischer Düsenjäger passiven Widerstand leistete. Und wir werden ein Porträt von Marta Kubišová und ihres Lieds „Modlitba pro Martu“, auf Deutsch „Gebet für Marta“, senden. „Modlitba pro Martu“ war praktisch die Hymne des Prager Frühlings. Kubišová hatte dann 30 Jahre lang Auftrittsverbot und sang erstmals wieder im November 1989 live – und zwar bei den Demonstrationen gegen die Kommunisten und das natürlich viel umjubelt. Aber auch die Reaktionen auf deutscher und die österreichischer Seite auf den Einmarsch werden nicht zu kurz kommen. Zum Beispiel hat mein Kollege Christian Rühmkorf mit dem Pfarrer Heinz Eggert gesprochen, der nach dem Einmarsch 1968 mit dem Regime in der DDR gebrochen hat. Das sind nur drei Beispiele. Alle unsere Sonderbeiträge werden im Übrigen mit einem einheitlichen Jingle eingeleitet. Die zehnteilige Sonderserie von Radio Prag läuft im Übrigen dann bis Freitag, 29. August – und das jeweils unter der Woche.“Und am 21. August – also dem konkreten Jahrestag des Einmarsches – was bieten wir da unseren Hörern?„Zuviel will ich dazu nicht verraten. Nur soviel: Wir wollen an dem Tag unser ganzes Programm dem 40. Jahrestag des Einmarschs der Warschauer-Pakt-Truppen widmen. Ausgenommen sind natürlich die Nachrichten und falls etwas anderes Wichtiges geschieht, wobei das dann hoffentlich etwas Angenehmes sein wird wie zum Beispiel eine Goldmedaille für das tschechische Team bei Olympia. Neben den beiden genannten Elementen – unserer zehnteiligen Sonderserie und dem Sonderprogramm am 21. August - werden wir natürlich vor allem in unserer Sendereihe Kapitel aus der tschechischen Geschichte in der nächsten Zeit immer wieder auf das Jahr 1968 eingehen. Aber nicht nur dort, das kann ich an dieser Stelle schon sagen.“