Nach dem NATO-Gipfel: Tschechische Radar-Debatte tritt in eine neue Phase

Nato-Gipfel in Bucarest

Der viel diskutierte Vertrag mit den USA über die Stationierung einer amerikanischen Radaranlage in Mittelböhmen ist unterschriftsreif. Das verkündeten am Donnerstag der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg und seine amerikanische Amtskollegin Condoleezza Rice auf dem NATO-Gipfel in Bukarest. Anfang Mai soll das Abkommen in Prag unterzeichnet werden. Ursprünglich sollte die Anlage gemeinsam mit Raketensilos in Polen den europäischen Pfeiler eines US-Raketenabwehrsystems darstellen. Doch die Verhandlungen zwischen Washington und Warschau sind ins Stocken geraten. Und auch sonst gibt es noch so manche Stolpersteine rund ums Radar.

Außenminister Karel Schwarzenberg  (Foto: ČTK)
Tschechien wurde 1999 Mitglied der NATO, 2002 war Prag selbst Gastgeber eines Gipfeltreffens der Allianz. Den NATO-Gipfel in Bukarest Ende vergangener Woche verfolgten die Tschechinnen und Tschechen wieder besonders aufmerksam: Grund: Das geplante US-Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa inklusive Radaranlage in Mittelböhmen stand auf der Tagesordnung. Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg zeigte sich nach dem Gipfel gegenüber Radio Prag zufrieden:

„Ich glaube, der Gipfel ist ein Erfolg. Wir haben den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit den Amerikanern bezüglich einer Radarstation bekannt gegeben.“

Doch das letzte Wort in Sachen Radar ist noch nicht gesprochen. Tschechien und die USA konnten auf dem Bukarester Gipfel zwar ihre Einigung verkünden, aber noch gilt es etliche Hürden zu überspringen. Eine davon betrifft die Einbindung des Raketenabwehrsystems in die Verteidigungsstrukturen der NATO.

„Die Vertreter der Mitgliedstaaten haben anerkannt, dass der europäische Pfeiler, also auch das potentielle Radarsystem in Tschechien, einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der Verbündeten leistet. Es wurde betont, dass dieses Radarsystem ein integraler Bestandteil der zukünftigen Raketenabwehr der Allianz sein wird“, verkündete in Bukarest der tschechische Premierminister Mirek Topolánek von der konservativen Demokratischen Bürgerpartei.

Von links: Vlasta Parkanová,  Václav Klaus,  Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
Für ihn ist dieser Punkt vor allem deshalb von Bedeutung, weil seine Grünen Regierungspartner der Radaranlage nur dann zustimmen wollen, wenn die NATO mit im Boot ist – mit anderen Worten: wenn es sich dabei nicht um eine rein US-amerikanische Veranstaltung auf tschechischem Territorium handelt.

Dass die Bukarester Formulierung den Grünen Abgeordneten ausreicht, wenn das tschechische Parlament über den Vertrag abstimmt, ist derzeit aber fraglich. Die NATO bezeichnet das geplante Raketenabwehrsystem zwar als „Beitrag zum Schutz der Verbündeten“, gleichzeitig aber heißt es, man wolle erst prüfen, inwieweit dieses System überhaupt in die NATO-Strukturen eingebunden werden kann. Der Republikrat der Grünen winkt jedenfalls bereits ab: Unter den aktuellen Bedingungen gibt es für das Radar kein grünes Licht, wie Matěj Stropnický, der Vizevorsitzende des Gremiums, am Sonntag verlautbarte:

„Der Republikrat der Grünen Partei lehnt die Stationierung einer US-Radaranlage auf dem Gebiet der Tschechischen Republik ab und fordert die Minister, Abgeordneten und Senatoren, die für die Grünen gewählt worden sind, dazu auf, gegen die Errichtung dieser Anlage zu stimmen.“

Klare Worte, die den Befürwortern des Systems noch einige Kopfschmerzen bereiten dürften. Die Regierungsmehrheit im Parlament ist nämlich dünn, und sowohl die oppositionellen Sozialdemokraten als auch die Kommunisten sind gegen die US-Anlage in Mittelböhmen. Ohne die Stimmen der Grünen wird die Ratifizierung des Vertrags mit den Amerikanern also schwierig. Außenminister Karel Schwarzenberg, der die Errichtung der Radaranlage unterstützt, ist zwar kein Parteimitglied, wurde aber just von den Grünen für sein Amt nominiert. Auch Parteichef Martin Bursík zeigte sich im Gegensatz zum Republikrat mit dem Verhandlungsergebnis und der Stellungnahme der NATO-Partner zufrieden. In den nächsten Tagen und Wochen sind hier also noch interessante Diskussionen zu erwarten.

Eine weitere Unbekannte beim Thema Radar ist derzeit noch ein zweiter Vertrag mit den USA. Er betrifft nicht die Errichtung der Anlage an sich, sondern die rechtliche Stellung der amerikanischen Soldaten, die dort stationiert werden sollen. Verteidigungsministerin Vlasta Parkanová zum Stand der Dinge:

Nato-Gipfel in Bukarest  (Foto: ČTK)
„Was diesen zweiten Vertrag betrifft, so ist noch nicht ganz klar, wann die Verhandlungen abgeschlossen werden können. Am Dienstag tagt der Nationale Sicherheitsrat, der das Mandat der tschechischen Unterhändler festlegt, und bereits am Mittwoch werden die amerikanischen Unterhändler in Prag erwartet. Danach werden wir dann mehr wissen.“

Im Zusammenhang mit der Stationierung ausländischer Soldaten in Tschechien wird derzeit aber ein noch viel heikleres Thema diskutiert: Nur zwei Tage nach dem Gipfel von Bukarest haben George Bush und Vladimir Putin in der Schwarzmeerstadt Sotschi über die russische Position zur Raketenabwehr in Mitteleuropa verhandelt. Ergebnis: Moskau ist gegen das System, könnte sich aber durch eine dauerhafte Präsenz russischer Experten in den Anlagen umstimmen lassen. Zwar müsste es dazu natürlich die Zustimmung Prags geben heißt es. Doch knapp 18 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist die Anwesenheit russischer Militärs mitten in Böhmen kaum mehrheitsfähig.


Mirek Topolánek und Karel Schwarzenberg  (Foto: ČTK)
Für Radio Prag hat Alexis Rosenzweig von unserer Französischen Redaktion den NATO-Gipfel in Bukarest verfolgt:

Alexis, das Ergebnis ist wie gesagt vom tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg und auch von Regierungschef Mirek Topolánek positiv beurteilt worden. Die Grünen wiederum haben anders reagiert. Sie meinen, die NATO müsse im Zusammenhang mit der Radaranlage eine klarere und stärkere Rolle spielen. Wie ist das jetzt zu verstehen? Mit welchen Gefühlen ist die tschechische Delegation nach Hause geflogen?

Alexis Rosenzweig
„Ziel der Tschechen war die so genannte ‚Natoisierung’ – auf Tschechisch ‚natoizace’. Sie wollten wie bereits erwähnt auch aus innenpolitischen Gründen, dass die NATO-Staaten anerkennen, dass die Radaranlage in dem Raketenabwehrsystem wesentlich zum Schutz der Alliierten beitragen werde. Einige Stimmen hatten vor dem Gipfel diese potentielle Natoisierung kritisiert – vor allem in der Slowakei, wo Regierungschef Robert Fico sich gegen die Radaranlage in der Tschechischen Republik ausgesprochen hatte. Aber Mitglieder der tschechischen Delegation haben uns während des Gipfels gesagt, dass die Diskussion über diese Natoisierung dann gar nicht so lange gedauert hat. Ich glaube also, dass die, die in Bukarest waren, ziemlich zufrieden sind, dass ein Kompromiss gefunden wurde. Auch wenn er Platz für Interpretationen lässt.“

Nato-Gipfel in Bukarest  (Foto: ČTK)
Es war der größte Gipfel in der Geschichte der NATO. Er war auch insofern „historisch“, weil es der letzte Gipfel von George Bush als US-Präsident war, und auch Vladimir Putin, der in Bukarest zu Gast war, tritt in den nächsten Tagen von seinem Amt zurück. Was war noch bemerkenswert an dem Gipfel? Wie war die Gesamtatmosphäre?

„Insgesamt war die Atmosphäre schon allein wegen der Lokalität eigenartig, also diesem riesigen Parlamentsgebäude mit 6000 Räumen, das noch Ceausescu hatte bauen lassen. Aber außerdem war es für die Tschechen ein spezieller Gipfel, weil sie diesmal eine besondere Rolle hatten. Es gab viel Interesse für das Abkommen mit Washington. Für mich war es das erste Mal, dass französische Journalisten zu uns kamen, um zu fragen, was Außenminister Schwarzenberg oder Präsident Klaus gesagt haben. Und während der tschechischen Pressekonferenz war der Raum voll – ein bisschen Spannung war da zu fühlen.“