Prager Kaffeehäuser und ihre Welt

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„Nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft“, so bringt ein Bonmot das Kaffeehaus auf die knappste Formel. Das Kaffeehaus bot Platz für Bürger und Bohemiens, für Studenten, Künstler und Sonderlinge. An die untergegangene Welt der Prager Kaffeehäuser erinnert derzeit eine Ausstellung des Prager Stadtmuseums. Thomas Kirschner hat sich dort für Sie umgeschaut.

Ein zerbrochener Kaffeehaussessel, Schutt und Kehricht in einer Ecke, ein paar Scherben des einstmals stolzen Porzellans - am Anfang der Ausstellung „Prager Kaffeehäuser und ihre Welt“ steht ein Kehraus: das Ende des Café Union, des ehemals bekanntesten Prager Kaffeehauses, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Glanz und Untergang der Prager Kaffeehauskultur stehen sich gleich zu Beginn gegenüber, erklärt Ausstellungsmacher Tomáš Dvořák vom Prager Stadtmuseum:

„Die Ausstellung beginnt mit der Topographie der Prager Kaffeehäuser – eine Karte zeigt, dass es wirklich hunderte von Cafés gab. Dann folgt ein Blick durch die Säle des Kaffeehauses Union und der gleiche Blick nochmals im Jahr 1949, als das Haus abgerissen wurde. Das ist ein symbolisches Datum, denn es fällt überein mit dem Kaffeehaussterben. Cafés passten als private Betriebe und Orte der Diskussion und des freien Denkens nicht mehr in die Zeit und wurden in Speisehallen und Büros umgewandelt. Und wir versuchen hier, die untergegangene Kaffeehauswelt wiederzubeleben.“

Die Goldenen Zeiten des Prager Kaffeehauses enden mit der deutschen Okkupation der Tschechoslowakei 1939, spätestens mit dem Aufstieg des Kommunismus ein Jahrzehnt später. Die Zeiten für Künstler und Lebenskünstler waren vorbei. Voll entfaltet hatte sich die Kaffeehauskultur in Prag ein gutes halbes Jahrhundert zuvor, so Tomáš Dvořák:

„Ende des 19. Jahrhunderts sind viele Vereine und Gesellschaften entstanden, die Räume für ihre Treffen brauchten. Das Kaffeehaus war ein Ort der Diskussion, eine Informationsbörse. Für Journalisten war das zum Beispiel wichtig. Es gab kein Internet, kein Teletext, also haben sich die Menschen im Kaffeehaus getroffen, um die wichtigen Neuigkeiten auszutauschen. Nicht jeder konnte überall sein, und so musste man nur wissen, in welches Kaffeehaus man gehen muss, und da hat man dann die Kollegen aus der Branche getroffen.“

Das galt genauso für Künstler, Bohemiens und Literaten. Die Prager deutschen Schriftsteller rund um Franz Werfel, Max Brod und Franz Kafka trafen sich im Café Arco, Egon Erwin Kisch tanzte abends im Montmarte in der Kettengasse, die tschechische Avantgarde hatte ihren Sitz im Café Union an der Nationalstraße, weiß Dvořák:

"Das Kaffeehaus war ein ausgezeichneter Aufenthalt für Studenten, Künstler und Schauspieler – das hängt auch damit zusammen, dass man im Kaffeehaus für den Preis eines Kaffees viel Zeit verbringen konnte, ohne dass man zu weiteren Bestellungen gezwungen war. Für Studenten und Lebenskünstler, die nicht viel Geld hatten, war das eine Möglichkeit, zum Beispiel die Heizkosten zu sparen. Das Kaffeehaus hat so als Wärmestube und Lesesaal gedient, denn bei den meisten Kaffeehäusern lagen viele Zeitungen und auch Fachzeitschriften auf, so dass sie teils eine echte Alternative zur Bibliothek waren.“

Für die Ausstellung wurden in mühsamer Kleinarbeit aus Museumsdepots, von Sammlern und aus den Familien der ehemaligen Kaffeehausbesitzer hunderte von Exponaten zusammengetragen - von der Menükarte bis zum Espressotässchen entsteht so aus zahlreichen Mosaiksteinchen ein Bild der Prager Kaffeehäuser in der Zwischenkriegszeit.


Regel No. 1: Kinder gehören nicht ins Kaffeehaus. Wenn sie aber da sind, müssen sie sich anständig benehmen. Wenn sie sich nicht anständig benehmen, sind nicht sie schuld, sondern die Eltern, die sie nicht anständig erzogen haben. Solche Eltern gehören nicht ins Kaffeehaus.“


„Sehr schön sind etwa die Aushänge und Hinweise, die Kaffeehausbesitzer Suchanek vom Café Arco hat drucken lassen – das sind dankbare Objekte, denn der Mann hatte offensichtlich Sinn für Humor. Er hat strenge Regeln aufgestellt, was man in seinem Cafe darf und was nicht. Aus wenn das im Scherz gemeint war, spiegelt es doch eine Realität, in der eben manche Gäste aus dem Kaffeehaus ihr Büro gemacht haben oder ihre Nagelpflege dort vorgenommen haben.“


„Regel. No. 7: Kommt ein Gast ohne Kragen und Krawatte ins Kaffeehaus, möge er sich liebenswürdigerweise an den Oberkellner wenden, der ihm beides ausleiht. Kragen und Krawatte befinden sich in einem Beutel mit der Aufschrift ´Zur gefälligen kostenfreien Benutzung.´ Beutel ohne Aufschrift sind als Fälschung zurückzuweisen.“


Auch die zeitgenössische Fachpresse wurde für die Ausstellung ausgewertet. Übernommen hat diese Aufgabe die Prager Geschichtsstudentin Šarka Kořínková:

„Insgesamt habe ich rund 15 Jahrgänge des ´Hostimil´ durchgesehen, das war die Zeitschrift des Kaffeehausbesitzer-Verbandes, in der es um Miete und Betrieb ging, um Ärger mit Gästen und dem Gesetz – also um Dinge, die man aus anderen Quellen, aus Memoiren und Erinnerungen nicht erfährt. Daraus ist eine Seminararbeit entstanden, und ein Teil ist auch in die Ausstellung eingegangen, die die Besucher hier sehen können.“

Die Zeitschriften dokumentieren nicht zuletzt den Alltag, die großen und kleinen Schwierigkeiten und Probleme des Kaffeehausbetriebes, so Tomáš Dvořák vom Prager Stadtmuseum:

„Die Gäste hatten zum Beispiel das Recht darauf, nach einem Kaffee gratis Wasser nachgeschenkt zu bekommen - und so konnten sie dann den ganzen Tag im Kaffeehaus sitzen und haben immer wieder ein neues Glas Wasser bekommen. Die Kaffeehausbesitzer haben dagegen natürlich öfter protestiert – das ist eine solche Geschichte.“

„Und es geht sogar noch weiter – ein Gast hat nämlich nicht nur ein Glas Wasser bekommen, sondern gleich zwei Gläser, zwei Gäste dann drei Gläser und so weiter – nur damit immer ein Glas als Reserve bereit stand!“, fügt Šarka Kořínková an.

Nebenbei werden so in der Ausstellung zahlreiche Geschichten aus der Geschichte der Prager Kaffeehäuser lebendig - Kurator Dvořák erzählt etwa die vom Café Nizza, das mit einer reichen Auswahl von elegantem Tafelzubehör vertreten ist.

„Der Besitzer des Café Nizza, Emil Wiener, hatte seine Gäste so gern, dass er oft mit ihnen angestoßen und sie eingeladen hat – und das in dem Maße, dass das Café schließlich bankrott gegangen ist. Weil seine Frau ihren Mann kannte, hatte sie das Geld auf einem Sperrkonto in Verwahrung. Aber Herr Wiener hat mit dem Direktor der Bank Karten gespielt, und weil der wollte, dass er weiter spielen kann, hat er ihm schließlich das Passwort verraten. So ist es dann letztlich zur Zwangsversteigerung gekommen, aber Frau Wiener war sehr energisch und hat einen Teil des Inventars für sich ersteigern können. Sie wollte damit ein eigenes Kaffeehaus eröffnen. Aber dazu ist es nie gekommen, und so sind die Gegenstände jahrzehntelang in der Familie geblieben, die sie uns dann zum Kauf angeboten hat, so dass wir eine sehr interessante Sammlung bekommen haben.“

Eine Sammlung, die genau wie die Ausstellung im Prager Stadtmuseum die untergegangene Welt des klassischen Prager Kaffeehauses repräsentiert. Denn auch wenn einige große Namen wiedererstanden sind, auch wenn es wieder ein Café Louvre, ein Montmarte, ein Savoy oder ein Slavia gibt - eine bruchlose Tradition bis in die Vorkriegszeit kann keines der heutigen Prager Kaffeehäuser aufweisen.