Auf den Spuren Albert Schweitzers in der Tschechoslowakei
Albert Schweitzer, Arzt, Professor, Theologe, Musikkenner, Orgelinterpret und Inhaber des Friedensnobelpreises ist weltweit bekannt für seine Aufbauarbeit der Krankenstation Lambarene im afrikanischen Gabun. Er veranstaltete Orgelkonzerte in ganz Europa, um Gelder für sein Afrika-Projekt zu sammeln. Der gebürtige Elsässer bereiste zweimal in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Prag. Dies war der Beginn einer lebendigen Partnerschaft, die auch nach seinem Tod fortwirkte und Schweitzer zu einer angesehenen und bekannten Persönlichkeit in der damaligen Tschechoslowakei machte. Im heutigen Geschichtskapitel hören Sie Originalaufnahmen von Albert Schweitzers Prager Bach-Orgelkonzerten und Auszüge aus dem Archiv des Tschechischen Rundfunks über Albert Schweitzer.
„Just am Tage des Ablebens Schweitzers nahm ich dieses Buch in die Hand“ - 4. September 1965, A. H., Prag. Diese dünn mit Bleistift eingetragene Bemerkung eines unbekannten Lesers fand ich in einem Buch über Schweitzer aus der Prager Stadtbibliothek. Die wenigen Worte drücken tiefe Bewunderung und Verbundenheit mit dem Menschen und dem Lebenswerk Albert Schweitzers aus. Kaum jemand, der eines der vielen von Schweitzer verfassten Bücher und Schriften gelesen hat, kann sich seinen mitreißenden Gedanken entziehen - als stünde der Leser selbst im tiefen Urwald, umgeben vom Leid der Armen und dem Mut, etwas dagegen zu unternehmen. Albert Schweitzer hatte die Gabe, Verbundenheit herzustellen: zwischen Armen und Reichen, Kranken und Gesunden, Farbigen und Weißen, selbst zwischen Völkern, die sonst verfeindet waren und im Krieg miteinander lagen. Sein Leben, das am 14. Januar 1875 in Kaysersberg im Elsass bei Colmar begann, fand 90 Jahre später im afrikanischen Gabun sein Ende.
In der gesamten Tschechoslowakei trauerten damals, 1965, die Menschen. Zu Ehren Schweitzers wurde ein Konzert der Bach-Messe im Veits-Dom in Prag gegeben, an der namhafte Künstler teilnahmen. Die Zeitung „Volksdemokratie“ brachte am folgenden Tag die Meldung:
„Das Konzert weckte außergewöhnliches Interesse. Der Dom war bis auf den letzten Platz besetzt und überfüllt mit Zuhörern, vor allem Jugendlichen. Noch lange nach Einbruch der Dunkelheit standen im Vorhof kleine Grüppchen derer, die keinen Platz mehr drinnen gefunden hatten.“
Zu den Trauernden um Schweitzer zählte auch Radim Kalfus. Der tschechische Arzt und enge Freund Schweitzers war dessen Ruf 1960 nach Afrika gefolgt und schloss sich dem internationalen Ärzteteam an, das Schweitzer bei der Arbeit in der Krankenstation in Lambarene unterstützte. Vier Jahre verbrachte er in der Nähe des „Großen Doktors“, wie die Einwohner Schweitzer nannten. 1966 fasste er seinen Eindruck der besonderen Persönlichkeit Schweitzers zusammen:
„Unsere Zusammenarbeit oder Freundschaft verband mich mit Albert Schweitzer, der vor einem Jahr gestorben ist, und der für die ganze Welt einen Höhepunkt des Humanismus darstellt in unserer Zeit. Auch in der Tschechoslowakei hat er eine Reihe von Freunden.“
Radim Kalfus war nur einer von mehreren tschechischen Ärzten, die den schwierigen Weg von Prag nach Gabun auf sich nahmen. Unter der Leitung des tschechischen Arztes Petr Bartůnek brach im Januar 1968 ein Team aus Mechanikern, Übersetzern und Journalisten zur „Expedition Lambarene“ auf. Ausgangsort war der Altstädter Ring in Prag, Zielpunkt die Krankenstation in Lambarene. Es war eine Abfahrt ins Ungewisse, vergleichbar jener von Albert Schweitzer, der im Frühjahr 1913 mit seiner Frau Helena nach Afrika aufbrach, um den Armen zu helfen:
„Die Glocken hatten gerade zu Mittag geläutet. Ich stand auf dem letzten Eisenbahnwagon und winkte meinen Nächsten zu, die zurückblieben. Damals habe ich nicht geahnt, was mein Entschluss, nach Lambarene zu gehen, für ein Echo haben wird. Wie viele Menschen im Geiste mit mir ziehen, und wie viele in einem Jahr, in zehn Jahren, in 50 Jahren nach mir kommen werden“, so Schweitzer damals über seinen Aufbruch.
Die Menschen erfahren vor allem dank der Reiseaktivitäten und dem großartigen Orgelspiel von seiner Arbeit im fernen Afrika. Im Januar 1923 wird er nach Prag eingeladen, um Vorträge zu halten und Orgelkonzerte in den Kirchen St. Michael und St. Kliment zu geben. Orgelkonzerte führten ihn nach Marianské Lázně / Marienbad und Děčín / Tetschen. Bei seiner zweiten Pragreise, fünf Jahre später, wird Schweitzer die Ehrendoktorwürde der Prager Karls-Universität überreicht. Am 8. Dezember hält er vor breitem Publikum ein Orgelkonzert im Smetana-Saal des Prager Gemeindehauses. Er trifft auf der Burg mit dem damaligen Präsidenten Masaryk zusammen, in dem er glaubt, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben.
Der im Jahr 1952 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Schweitzer war vor allem wegen seines bescheidenen Auftretens beliebt. Anlässlich der Veranstaltung „105 Jahre seit der Geburt Albert Schweitzers“ erzählte 1980 der Redakteur Vladimír Tyl eine Begebenheit, die sich in Prag abgespielt haben soll und die Bescheidenheit Schweitzers illustriert:
„Damals trat bei einem der Konzerte eine Dame zu ihm und sagte: ´Aber Herr Professor, ich sehe Sie wieder in ihrer obligaten schwarzen Krawatte, auch auf allen Photographien haben sie diese schwarze Krawatte an. Warum tragen Sie immer nur diese eine Art?´ Und er antwortete: ´Na ja, das ist meine einzige Krawatte, eine andere habe ich nicht.´ Und sie fragte: ´Und ihr ganzes Leben lang haben sie nur diese eine Krawatte?´ Und er sagte: ´Was heißt da das ganze Leben, ich habe sie von meinem Vater geerbt.´“
Der Zweite Weltkrieg und die Arbeit in der Krankenstation machten eine dritte Reise nach Prag für Schweitzer unmöglich. Dennoch vergaß er seine Partnerschaft und Verbundenheit mit den Menschen aus der Tschechoslowakei die folgenden Jahrzehnte nicht. Zu seinem 90. Geburtstag lud er seinen Freund und Kollegen Radim Kalfus zum letzten Mal ein, nach Lambarene zu kommen. Er bat ihn, zu seinem Geburtstag ein Programm mit tschechischer Musik vorzubereiten. So kam es, dass wenige Monate vor Schweitzers Tod die Musik von Smetana, Novák und Dvořák im Urwald von Lambarene ertönte. Albert Schweitzer war beeindruckt. Nach einer Zeit der Stille stand er auf und umarmte Kalfus mit den Worten: „Das war ein großes Ereignis, morgen könntest du das Konzert fortsetzen. Děkuju ti! Danke!“