Guten Tag, Radar? Das böhmische Brdy im Fokus der Weltpolitik

In der Ära von Ronald Reagan nahm er erstmals konkrete Umrisse an: Der amerikanische Traum von der Unverwundbarkeit der USA. Reagans nie verwirklichtes, weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem ging unter dem Schlagwort "Krieg der Sterne" in die Militärgeschichtsbücher ein. Nun, fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges, arbeitet Washington erneut an einem Konzept, um angreifende Raketen unschädlich machen zu können. Stationiert werden soll das System jedoch nicht mehr im Weltall, sondern in Osteuropa - genauer gesagt in Tschechien und Polen. Die Partner in der NATO und der EU sind einstweilen lediglich Zaungäste. Und die Tschechen selbst? Sie sind mehrheitlich gegen den Plan.

Ein kleines Militärgelände beim mittelböhmischen Brdy, keine 50 Kilometer südwestlich von Prag. Seit einigen Monaten steht das Areal im Zentrum der Aufmerksamkeit der Medien - und des Pentagon. Grund: Hier in den Wäldern soll ab 2011 die Radaranlage eines US-amerikanischen Raketenabwehrsystems stehen. Die Raketen selbst würden im Ernstfall von polnischem Territorium aus abgefeuert.

Bei Regierungspolitikern beider Länder stößt dieses Ansinnen auf offene Ohren. Die tschechische Verteidigungsministerin Vlasta Parkanova hat US-Präsident George Bush sogar eine CD übergeben, auf der die künftige Radaranlage schon mal freudig begrüßt wird.

Premierminister Mirek Topolanek  (Foto: CTK)
"Guten Tag, Radar, sei willkommen!" heißt es hier. Die Melodie des Songs, in dem die Verteidigungsministerin als Backgroundsängerin auftritt, stammt übrigens von einem Jubellied auf den russischen Kosmonauten Juri Gagarin aus der Zeit der kommunistischen Tschechoslowakei - eine symbolische Kehrtwende um 180 Grad also.

Auch Premierminister Mirek Topolanek macht Werbung für die amerikanische Anlage und zeigt Moskau dabei bewusst den Rücken:

"Russland hat praktisch nie aufgehört, sich nach einer Rückkehr jenes imperialen Einflusses zu sehnen, den es zur Zeit der Sowjetunion hatte. Auch heute gibt es in Russland einflussreiche Kreise, die sich nicht damit abfinden können, dass in den Wäldern rund um Brdy nicht mehr russisch gesprochen wird, und dass wir uns dort nicht mehr nach den Wünschen Moskaus richten."

August 1968 vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks
Deutliche Worte, ausgesprochen am 21. August vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks. Anlass war die traditionelle Kranzniederlegung zum Gedenken an die Opfer des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen vor 39 Jahren. Damals, an jenem 21. August 1968, walzten Panzer unter sowjetischer Führung die Reformbewegung nieder, die als "Prager Frühling" in die Geschichtsbücher einging. Was folgte, waren weitere 20 Jahre unter sowjetischer Vormachtstellung.

Dass diese Zeit nie wiederkehrt, das soll gerade eine möglichst enge Anbindung an die USA und deren Verteidigungspolitik garantieren, meinen Regierungsverantwortliche in Prag. Dabei soll das Raketenabwehrsystem aber gar nicht gegen Russland gerichtet sein, wie die Amerikaner stets beteuern. Ziel sei vielmehr der Schutz vor Angriffen aus anderen Staaten wie etwa dem Iran.

International hält sich die Freude über den geplanten Raketenschutzschild dennoch in Grenzen. Vor allem deshalb, weil weder die NATO noch die EU ernsthaft in das Projekt eingebunden sind. Ein Alleingang Washingtons mit tatkräftiger Unterstützung aus Prag und Warschau würde vor allem jene westeuropäischen Politiker vor den Kopf stoßen, die bereits mit Donald Rumsfelds Unterscheidung zwischen "altem" und "neuen Europa" nicht viel anfangen konnten - oder wollten.


Umstritten ist die US-Radaranlage aber auch in Tschechien selbst. Anfang 2008 soll das Parlament eine Entscheidung treffen, und ein Ja zum Radar ist dabei noch nicht sicher. Die Grünen etwa, immerhin Regierungspartei, sind skeptisch. Zumindest möchten sie das erreichen, was auch im Ausland immer wieder gefordert wird: nämlich eine bessere Abstimmung mit den Partnern in der NATO und der EU.

Laut Umfragen wollen auch die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht so recht in das Jubellied der Verteidigungsministerin einstimmen.

"Die Leute haben vor allem deshalb Angst, weil abermals eine fremde Armee auf tschechischem Territorium stationiert werden soll", meint Jitka Rihova, die Bürgermeisterin einer der an Brdy angrenzenden Gemeinden.

Proteste gegen die Radarstation  (Foto: CTK)
In der Gegend hier ist die Skepsis gegenüber der geplanten Anlage besonders groß. In lokalen Referenden haben sich die Bürgerinnen und Bürger mehrerer Dörfer gegen die Radarstation ausgesprochen. Die Sorgenpalette ist breit: Viele Menschen befürchten, zur Zielscheibe von Terroranschlägen zu werden oder haben Angst vor der Strahlung, die von der Anlage ausgehen wird. Von der Störung des Mobilfunkverkehrs ist die Rede, und auch von möglichen Gesundheitsrisiken für die Menschen in der Umgebung.

Irrationale Ängste oder nicht - die tschechische Regierung hat schnell reagiert und versucht nun, die Menschen vor Ort vermehrt einzubinden. Zumindest symbolisch. Vergangene Woche wurde gar die Kabinettssitzung vom Prager Regierungsamt in die nahe bei Brdy gelegene 2500-Seelen-Gemeinde Spalene Porici verlegt. Für Bürgermeister Jiri Hahner eine Gelegenheit, um auf die schlechte Infrastruktur in der Gegend hinzuweisen.

"Wir haben hier riesige Probleme. Obwohl hier jahrzehntelang ein Militärstandort war, gibt es nicht einmal ein ordentliches Wasserleitungs- und Kanalisationsnetz", beklagt Hahner.

Den Militärstandort, den gibt es hier seit 1926. Seitdem ist die Bewegungsfreiheit der Menschen eingeschränkt, Verkehr und übrige Infrastruktur leiden unter dem weißen Fleck auf der Landkarte. Das gestand nach einem Treffen mit einigen Bürgermeistern aus der Umgebung auch Premierminister Mirek Topolanek ein:

Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International
"Diese Region leidet seit vielen Jahrzehnten, konkret ab dem Jahr 1926, an Unterfinanzierung in den verschiedensten Bereichen. Über dieses grundsätzliche Thema haben wir hier heute diskutiert - und zwar unabhängig davon, ob die Anlage schließlich gebaut wird oder nicht."

Mehrere hundert Millionen Kronen sollten aus den Mitteln des Finanzministeriums in die Region fließen, schlägt Topolanek vor. Und fügt hinzu:

"Ich habe damit lange gezögert, weil ich mir nicht nachsagen lassen wollte, dass ich die Leute kaufen will."

Verteidigungsministerin Vlasta Parkanova hat indes einen anderen Vorschlag geäußert: Sie will diese Woche mit einem Schulchor aus der Umgebung gemeinsam singen. Ob dabei auch "Guten Tag, Radar!" erklingen wird, das blieb zunächst offen.