Sarkozy, fliegende Eier und Klaus in Ketten - aktuelle Pressestimmen
Im Medienspiegel werfen wir nun einen Blick auf die Themen, die die Nation und damit auch die tschechischen Medien in den letzten Tagen bewegt haben. Hören Sie tschechische Pressestimmen zu der Präsidentschaftswahl in Frankreich, zu den Schülerdemonstrationen gegen das staatliche Zentralabitur und zu den Äußerungen von Präsident Vaclav Klaus über den umstrittenen Entwurf zur neuen tschechischen Nationalbibliothek.
Unter dem Titel "Hat Paris seine Margaret Thatcher gewählt?" vergleicht Lenka Zlamalova in der wirtschaftlich orientierten Tageszeitung "Hospodarske noviny" Sarkozy mit der britischen Ex-Premierin. Der Kommentatorin zufolge könnte Sarkozy für Frankreich dasselbe bedeuten, was Margaret Thatcher in den achtziger Jahren für Großbritannien oder Jose Maria Aznar ein Jahrzehnt später Jahren für Spanien bedeutet haben. Allerdings merkt sie an:
"Der erste Gegner von Sarkozy im Präsidentenamt wird sicher das Volk auf der Straße sein. Streiks, Demonstrationen und das Anzünden von Autos gehören in Frankreich zum politischen Kampf. Gerade der Druck der Straße hat in Frankreich alle vorangehenden Reformversuche vom Tisch gefegt. Noch ist schwer abzuschätzen, wie sich Sarkozy im Angesicht eines streikenden Millionenheeres verhalten wird."
Im Leitartikel in der Tageszeitung "Lidove noviny" wurde darauf hingewiesen, dass der neu gewählte Präsident einen historischen Wandel für Frankreich bedeute. Als realistisch bezeichnete die Zeitung Sarkozys Plan, den EU-Vertragsentwurf auf ein vernünftiges Minimum zusammenzustreichen.In der Mlada fronta Dnes erinnerte Viliam Buchert daran, dass Frankreich in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 den EU-Vorsitz innehaben wird. In Fragen der EU-Verfassung werde sich ein Kompromiss finden lassen, meint der Kommentator. Allerdings:
"Im Unterschied zu vielen anderen EU-Ländern lehnt Sarkozy aber nachdrücklich eine vollwertige Mitgliedschaft der Türkei in der EU ab und schlägt nur eine ´privilegierte Partnerschaft´ vor. Er geht sogar noch weiter und fordert, dass man in Zukunft klar sagen soll, wer Europäer ist und wer nicht. Das aber ist in Europa nicht sehr populär. Die Wahl von Sarkozy zum französischen Staatsoberhaupt kann somit in Europa viel mehr ändern, als es heute scheint."
Zu unserem zweiten Thema: In Prag sind in der vergangenen Woche an die 10.000 Schüler auf die Straße gegangen, um gegen die ihrer Meinung nach unzureichend vorbereitete Einführung eines staatlichen Zentralabiturs zu protestieren. Mit Erfolg - unmittelbar vor der Kundgebung hat die Koalition beschlossen, das Zentralabitur erst einmal aufzuschieben. Es gab also eigentlich nichts mehr, gegen das man demonstrieren konnte, meint Pavel Verner in der linksliberalen Pravo:
"Aber was soll´s, draußen war es schön und Demonstrationen müssen nicht nur Protest sein, sondern lassen sich auch einfach als Party nehmen. Viele Studenten haben sich auf dem Weg betrunken und die arme Ministerien (die bezüglich der Abiturtermine keine Schuld trägt) mit Eiern beworfen. Wie aber können die Studenten auch ohne Zentralabitur dazu gebracht werden, in den Jahren auf der Mittelschule auch wirklich studieren? Soll man sich auf ihr persönliches Verantwortungsbewusstsein verlassen? Das haben gestern viele durch Vandalismus, Sachbeschädigung und Flaschenwerfen demonstriert."
Für Martin Komarek von der auflagenstärksten tschechischen Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" geht der Streit um das Abitur an den eigentlichen Problemen des tschechischen Bildungssystems vorbei:
"Staatliches oder nicht staatliches Abitur? Das ist völlig egal. Die Nervosität vor dem Abitur wird sich dadurch nicht ändern. Außerdem ist allgemein bekannt, dass das Abitur praktisch jeder schafft, der nicht vor ihm davonläuft. Tschechien hat unter den entwickelten Ländern die höchste Abiturientenrate. Zugleich haben wir fast die niedrigste Zahl von Hochschülern. Der Staat sollte deshalb Abitur Abitur sein lassen und sich lieber darum kümmern, für die Studenten die Möglichkeiten zu erweitern, an die Hochschulen zu gelangen. Die Regierung hat unter dem Druck der Lehrer und Studenten das staatliche Abitur verschoben. Sie sollte es lieber ganz abschaffen, weil es herausgeworfenes Geld bedeutet, etwas zu reformieren, was funktioniert."
Kommen wir zu unserem letzten Thema. Auf dem Prager Letna soll das neue Gebäude der Tschechischen Nationalbibliothek entstehen. Der futuristische Entwurf des tschecho-britischen Architekten Jan Kaplicky, der aus dem internationalen Architekturwettbewerb als Sieger hervorgegangen ist, spaltet aber die Tschechen. Für die einen ist das biomorph gerundete Objekt ein Geniestreich, für die anderen eine gigantische Goldblech-Qualle, die die Stadt verschandelt. Im Streit um den Neubau hat nun auch Präsident Klaus Partei ergriffen - mit markigen Worten. Wie die Atomkraftgegner in Temelin, so sei auch er bereit, sich selbst auf dem Letna anzuketten, um mit dem eigenen Leib den Kaplicky-Bau zu verhindern, so der Präsident in der vergangenen Woche einmal ganz unpräsidial. Dazu meint Petr Kolar in den "Lidove noviny":
"Solche Worte, gerade aus seinem Mund, sind erstaunlich. Denn es ist doch gerade der Präsident, der keine Gelegenheit auslässt, um vor der `Postdemokratie´ zu warnen. Die versteht er hauptsächlich als ´Druck der Nichtregierungs-Organisationen, als Ausdruck eines künstlichen Multikulturalismus, eines radikalen Menschenrechtismus oder aggressiven Ökologismus´. Für Klaus sind Aktivisten ohne reguläres Wählermandat eine Gefahr für die Demokratie. Nun hat er sich - zwar mit Übertreibung, aber dennoch - selbst entschieden, Aktivist zu werden. Nicht wegen seiner Weltanschauung, sondern weil ihm das, was aus einem regulären Wettbewerb hervorgegangen ist, nicht gefällt. Soll sich doch der Präsident ruhig auf dem Letna-Plateau anketten. Im Unterschied zu ihm selbst wird das niemandem undemokratisch vorkommen."
Der Politologe Jiri Pehe weist darauf hin, dass Klaus nicht zum ersten Mal den Rahmen seines Amtes überschreitet:
"Interessant ist das unstillbare Bedürfnis dieses Präsidenten, sich zu Angelegenheiten zu äußern, von denen er entweder nichts versteht oder die ihn schlicht nichts angehen", schreibt Pehe in der linksliberalen "Pravo". Es habe ein ordentliches Auswahlverfahren gegeben, betont der Autor und fährt fort:
"Ein bisschen Respekt gegenüber den Spielregeln, auf denen jede demokratische Ordnung aufbaut, wäre hier am Platze."
Der Kommentator der Mlada Fronta Dnes, Michal Musil, stellt sich die Frage, welches Gewicht der Meinung von Klaus vor diesem Hintergrund eigentlich noch beigemessen werden kann. Die Zeiten, als Klaus ein fast absolutistisches Prestige hatte, sind jedenfalls lange vorbei, meint Musil:
"Sein negatives Urteil über das Projekt der Nationalbibliothek in Prag vermittelt uns etwas anderes: Es zeigt uns, was aus diesem Politiker werden kann oder was er derzeit bereits wird. Nämlich ein Präsident mit Glöckchen an der Narrenkappe, dessen Drang zu allem Stellung zu nehmen dazu führt, dass man ihn nach einiger Zeit in kaum einer Frage mehr ernst nehmen kann."