Einstürzende Neubauten: Streit um die neue Nationalbibliothek

Entwurf der Nationalbibliothek von Jan Kaplicky

Im Kultursalon geht es diesmal zu einem guten Teil um Politik. Denn der geplante Bau der neuen Nationalbibliothek auf dem Letna-Hügel über der Prager Altstadt ist von einem Ereignis für Bücherfreunde und Architekturliebhaber inzwischen zu einem Politikum geworden. Der hypermoderne Bau polarisiert Laien und Experten. Trotz internationalem Architekturwettbewerb und vorherigen Zusagen hat nun auch der ODS-dominierte Prager Magistrat sein "Njet" zu der Bibliothek signalisiert. Aber steht dahinter wirklich die Sorge um das historische Stadtbild?

Wie ein gestrandeter Tintenfisch erhebt sich ein amorph-hügeliger Bau über den Prager Letna - halb Zelt, halb zerfließende Kuppel, große violett schimmernde Bullaugen schauen durch die grünliche Aluminiumhaut auf die Stadt. Ein Auge über Prag - so stellt sich der tschechisch-britische Architekt Jan Kaplicky die neue tschechische Nationalbibliothek vor. Mit seinen provokanten Entwürfen ist Kaplicky gewohnt, nicht nur auf Zustimmung zu stoßen:

"Ich habe damit gerechnet, dass zum Schluss auch darüber diskutiert wird, welche Schuhe ich trage - das gehört dazu, das ist ein Teil des Lebens. Es kann nicht alles allen gefallen, und was bleibt, das kann nur die Zeit zeigen. Beim Klementinum und bei der Karlsbrücke haben am Anfang sicher auch alle gesagt, wie dumm das ist. Alles lässt sich schlecht machen - das ist einfach. Aber etwas tun, etwas entwerfen, etwas bauen, das ist schon schwieriger."

Jan Kaplicky  (Foto: CTK)
Jan Kaplickys avantgardistischer Bibliotheks-Entwurf war im vergangenen März in einem internationalen Architekturwettbewerb unter rund 400 Einsendungen von einer renommierten Jury, unter anderem unter Beteiligung der UNESCO, ausgewählt worden. Eine Entscheidung, die die Öffentlichkeit bis heute polarisiert. Der Staatspräsident und ODS-Ehrenvorsitzende Vaclav Klaus, bekannt dafür, dass er mit bürgerschaftlichem Engagement sonst nur wenig anfangen kann, hatte gar erklärt, den Bau notfalls mit dem eigenen Leib verhindern zu wollen. Nachdem die erste Aufregung abgeklungen, hat sich der ODS-dominierte Prager Magistrat nun offenbar entschlossen, Fakten zu schaffen - und das im Sinne von Vaclav Klaus. Bereits seit Monaten sei klar, dass der Kaplicky-Entwurf so nicht realisiert werden könne, erfuhr die Öffentlichkeit in der vergangenen Woche. Die Meinung von ODS-Übervater Klaus habe dabei aber keine Rolle gespielt, so ODS-Stadtrat David Vodrazka:

"Glauben Sie mir, dass ich wirklich gerne sehen würde, wie sich der Herr Präsident an den Bagger kettet - also darum geht es wirklich nicht. Aber wenn ich oder andere Bürger mit ihren Kindern über die Karlsbrücke gehen, dann sticht da auf einmal neben der Burg ein riesiges Auge hervor - und das ist etwas, das mir und einer Reihe anderer Stadtvertreter quer durch das politische Spektrum nicht gefällt. Und deshalb sagen wir ganz laut, dass wir diesen Bau anders oder woanders haben wollen."

Prager Oberbürgermeister Pavel Bem
Neuer Anführer der Bibliothekskritiker ist Oberbürgermeister Pavel Bem. Das war nicht immer so: Bem hatte selbst in der Auswahljury gesessen, und die hatte sich einstimmig für den kontroversen Kaplicky-Entwurf ausgesprochen. Der Bau werde dem alten Prag selbstbewusst, aber behutsam eine neue Dominante geben, lobte Bem damals. Sechs Monate später klingt das bereits ganz anders: Die Bibliothek stehe in, "arroganter Disharmonie zu der gesamten Umgebung", so der Oberbürgermeister zu Wochenbeginn wörtlich.

"Das ist eine enorme Masse, eine enorme Höhe, sie liegt am Rand der urbanistisch vollendeten Denkmalzone. Wir brauchen keine zweite Prager Burg. Das sind alles Fachmeinungen, die ich höre und denen ich in großem Maße zustimme. Aber noch einmal ganz deutlich: das ist kein politischer Streit, sondern eine rein fachliche Auseinandersetzung."

Die offenbar auf allen Ebenen geführt wird. Denn während eifrig die Pläne zum Bau eines Nationalstadions und eines mit Prag nicht gerade eng verbundenen Meerwasser-Aquariums auf dem Letna vorangetrieben werden, entdecken die Stadtväter bei der Bibliothek erstaunliches: Der Entwurf widerspreche dem Flächenplan, er lasse sich nicht mit dem derzeitigen Bau des Stadtautobahn-Tunnels auf dem Letna vereinbaren, und Geld sei im übrigen für die Bibliothek auch keines da. Kurzum: alles spricht gegen den Kaplicky-Bau - rein fachlich gesehen, natürlich. Wie steht der Architekt selbst dazu?

"Mich hat bislang niemand gefragt. Ich weiß nicht: Wo ist das Problem? Wie ist es entstanden? Wenn wir von Änderungen reden: ich weiß nicht, um welche Änderungen es hier gehen soll. Die Farbe? Etwas anderes? Weder öffentlich noch privat habe ich bislang mit dem Oberbürgermeister oder mit anderen Stadtvertretern diskutiert. Ich befürchte, hier wiederholt sich die Geschichte, und alles wird hinter verschlossenen Türen entschieden."

Eine Partei diktiere die Meinung zur Kultur, so Kaplicky mit Blick auf die drückende ODS-Mehrheit in der Prager Stadtvertretung - es sei wie zu bolschewistischen Zeiten. Für den wendigen Oberbürgermeister war das die Vorlage, auf die er gewartet hatte.

"Ich glaube, es kann nicht angehen, hier die grundlegenden demokratischen Rechte der Stadtvertreter anzuzweifeln. Das kommt mir mehr als unglücklich vor, und ich erlaube mir hier zu sagen: Das ist ein Schritt, mit dem Herr Architekt Kaplicky selbst darüber entschieden hat, dass sein Projekt auf dem Letna nicht gebaut wird."

Stattdessen womöglich woanders: Man solle die Bibliothek wenigstens in die Mitte des Letna-Plateaus verschieben, damit sie von allen Seiten gut zu sehen sei, so Bem in einem Artikel für die Tageszeitung Mlada fronta Dnes. Oder wenn das, wie allgemein vorauszusehen, nicht gewünscht werde, dann sollte man das Kongress-Zentrum im Prager Süden abreißen und die Bibliothek dorthin stellen. Ganz klar: so lässt man ein Projekt verbluten. Andere Verlegungsvorschläge werden dagegen tatsächlich diskutiert. Demnach könnte der bunte Bau in etwa in den grauen Vorstadtgürtel ziehen, zwischen die Plattenbauten von Letnany oder Prosek. Auch das Vorschläge von Oberbürgermeister Pavel Bem. Der renommierte Architekt Petr Bilek, ebenfalls Mitglied der Auswahlkommission hält solche Einlassungen aber für unqualifiziert:

Direktor der Nationalbibliothek Vlastimil Jezek
"Die Bibliothek ist in den Letna-Park eingepasst. Als Architekt kann man nicht einfach sagen: das Haus stelle ich hier in den Park oder da auf den Platz - das geht nicht: Gebäude und Umgebung müssen sich gegenseitig zueinander passen. In der Architektur geht es um die Beziehungen zwischen Raum und Funktion. Ich meine, es wäre wirklich ausgesprochen schlecht, die Bibliothek nicht zu realisieren."

Und das nicht nur aus Sicht der Architektur-Avantgardisten. Auch Nationalbibliotheks-Direktor Vlastimil Jezek beteuert, dass der Neubau dringend notwendig ist. Als Bauherr steht er zwischen den Fronten, denn:

"Es ist wirklich undenkbar, dass wir auf dem Letna eine neue Bibliothek gegen den Willen den Stadt Prag errichten. Das geht schlechterdings nicht."

Und so hält Jezek nach außen hin immer noch die Hoffnung auf einen Kompromiss aufrecht:

"Die erste Frage ist, ob es nicht möglich ist, den Entwurf etwa mit Blick auf die Höhe, die farbliche Gestaltung oder sonst etwas noch zu ändern - selbstverständlich mit Zustimmung von Jan Kaplicky - und die überarbeitete Version dann auf dem Platz zu bauen, der jetzt dafür vorgesehen ist. Und erst die zweite Frage kann sein, ob wir wirklich einen anderen Ort für den Bau suchen müssen."

Wie es wirklich steht um die Zukunft der Bibliothek und die Gegenwart in Tschechien, das hatte der Nationalbibliotheks-Direktor dabei schon ganz hellsichtig im März geahnt, unmittelbar nach der Präsentation des siegreichen Kaplicky-Entwurfes:

"Wenn den Bau irgendetwas bedrohen kann, dann nur wir selbst - damit meine ich nicht uns als Nationalbibliothek oder den Architekt Kaplicky, sondern den starken Konservativismus, der hier immer wieder zu spüren ist. Lassen Sie es mich so sagen: Schauen wir bei der Beurteilung des Entwurfs auf Paris, London und andere Großstädte in Ländern mit demokratischer Tradition. Schauen wir nicht mit den Augen unserer Geschichte, in der 40 Jahre lang kein moderner Bau entstehen konnte, weil das nach der kommunistischen Machtergreifung im Februar 1948 eben nicht möglich war."