1956: Der Ungarn-Aufstand im Blick der Tschechoslowaken

Budapest (Foto: CTK)

Nicht nur in Budapest erinnern sich die Menschen dieser Tage an den 50. Jahrestag des blutig niedergeschlagenen Ungarn-Aufstandes gegen das kommunistische Regime. Vor genau einem halben Jahrhundert, am 23. Oktober 1956 gipfelte die angespannte Situation in Ungarn im offenen Widerstand gegen die kommunistische Staatsmacht. Wie haben die Menschen in der damaligen Tschechoslowakei das Geschehen wahrgenommen? Thomas Kirschner sprach mit dem Politologen Bohumil Dolezal von der Prager Karlsuniversität:

Budapest  (Foto: CTK)
"Die Informiertheit der tschechischen Öffentlichkeit war selbstverständlich relativ beschränkt, denn Regierung und kommunistische Partei hatten kein Interesse daran, dass die Leute wissen, was eigentlich in Ungarn vor sich geht. Dennoch kam es zu einzelnen Zeichen der Sympathie von den Leuten auf der Straße, aber das hatte keinen großen, auf den ersten Blick sichtbaren Umfang."

Die Situation in beiden Ländern sei Mitte der 50er Jahre grundverschieden gewesen, betont Politologe Bohumil Dolezal Während in Ungarn die Ablehung des Regimes stieg, war die Lage in der Tschechoslowakei ruhig:

"De soziale Situation war verhältnismäßig gut und die Kommunisten hatten noch einen verhältnismäßig starken Einfluss in der Bevölkerung- viel stärker jedenfalls als in Ungarn."

Budapest 1956  (Foto: CTK)
Den vorhandenen Willen zum Protest hatten die Tschechen und Slowaken zudem bereits im Frühjahr 1956 verbraucht:

"In dieser Zeit war es zu gewissen Unruhen gekommen, aber im Herbst war schon wieder alles pazifiziert - auf die Art und Weise, wie es die Kommunisten machen, selbstverständlich."

Die tschechoslowakischen Kommunisten reagierten auf die Nachrichten aus Ungarn dennoch mit einer Mischung aus Nervosität und Aggressivität - für den Krisenfall waren die Koffer gepackt; zugleich aber bot man Militärhilfe an:

Ungarische Flüchtlinge 1956  (Foto: CTK)
"Die Kommunistische Partei unter dem damaligen ersten Sekretär Novotny haben Chrustschow zweimal angeboten, dass die tschechoslowakische Armee den Russen bei der Unterdrückung der Revolution helfen wird. Chrustschow war aber Realist und hat es zweimal abgelehnt, weil er sich vorstellen konnte, wie diese Hilfe letztlich aussehen wird."

Für die Tschechoslowakei wurde der Ungarn-Auftstand und sein blutiges Ende zwölf Jahre später nochmals aktuell, als im Sommer 1968 russische Panzer auch nach Prag rollten. Die Parallelen zwischen dem ungarischen Herbst und dem Prager Frühling sah man aber erst im Nachhinein. Bis dahin, so Dolezal, waren die tschechoslowakischen Reformer der Ansicht gewesen, mit einem weniger radikalen Auftreten die Sowjetunion im Zaum halten zu können:

"Sie haben geglaubt, dass sie es klüger machen können als die Ungarn, und das war natürlich Unsinn. Die Russen habe sie davon auch gleich mit 2000 Panzern und einer halben Million Soldaten überzeugt."