Geschichtliches Zeitgeschehen und Sprachentwicklung hängen eng zusammen (Gespräch mit E. E. Metzner, Professor an der Goethe Universität Frankfurt)
Alle Epochen der Geschichte seien ebenbürtig, sagen einige Historiker, räumen aber gleichzeitig ein, es gebe zweierlei Arten von Historie: Eine, die auf der fachwissenschaftlichen Ebene geschrieben wird, und die andere, die als ein Gedächtnisgut der jeweiligen nationalen Gemeinschaft überliefert wird. Aber es gibt auch noch etwas dazwischen, das nicht nur in die eine oder aber in die andere Kategorie hineinpasst. Ein Beispiel, genauer gesagt, mehrere Beispiele dieser Art hat für Sie Jitka Mladkova in der neuen Ausgabe der Sendereihe Kapitel aus der tschechischen Geschichte parat. Gemeinsam mit ihr und ihrem Gesprächspartner Prof. Ernst Erich Metzner von der Goethe-Universität Frankfurt können Sie - wie bereits im Januar dieses Jahres - einen Exkurs in das 13. Jahrhundert machen. In jene Zeit, als ein kraftvolles Tandem zweier Persönlichkeiten die Entwicklung des böhmischen Königreichs prägte - der Premyslidenkönig Premysl Otokar der II. und der Olmützer Erzbischof Bruno von Schaumburg.
"Es gibt zwei verschiedene Beraun - ein mährisches und ein böhmisches. Wann diese beiden Städte zum ersten Mal erwähnt wurden, ist bekannt. Beim mittelböhmischen Beraun in der Nähe von Prag war es eben in der Zeit des Ottokars. Beraun bedeutet nämlich Verona, und so muss man sich fragen: Warum gründete Ottokar eine Stadt, die er nach Verona benannte. Ausgerechnet in Böhmen! Es gibt nur einen Zusammenhang, den man finden kann. Es waren die damals sehr populären Dichtungen von Dieter von Bern. Hinter dem Namen Beraun versteckt sich der Name Bern und Bern ist wiederum die deutsche Form von Verona. Die Deutschen hatten im Mittelalter, wenn sie deutschsprachige Texte verfassten, nie von Verona gesprochen. Den Namen Verona gab es schon im Lateinischen und Deutsch hieß er Bern."
Es gibt aber auch Quellen, die Verona erwähnen, wobei das mittelböhmische Beraun gemeint ist. Anhand dieser Quellen lässt sich also auch die sprachliche Beziehung zwischen Verona und Beraun bzw. Beroun belegen. Nun aber ein weiteres Beispiel für die Entwicklung eines Ortsnamens, in dem sich nicht nur die gegenseitige Beeiflussung unterschiedlicher Sprachen wiederspiegelt, sondern auch das aktuelle Geschehen während seiner Entstehungszeit. Gemeint ist die Gegend der Stadt Osoblaha, auf Deutsch Hotzenplotz, im so genannten Mährisch-Schlesien. Für Professor Metzner war es eine irritierende Erkentnis, dass ein Ort im Hotzenplotzer Ländchen, von Bischof Bruno gegründet, Pitarne heißt.
"Mit dem Namen Pitarne hat man bisher nicht viel anfangen können. Wenn man aber wieder in die deutschen Dichtungen schaut, dann weiß man, dass Pitarne der deutsche Name für das italienische Viterbo ist. Nun, warum aber sollte ein Bischof von Schaumburg ein Dorf in der Nähe von Hotzenplotz Pitarne nennen?"Ja, man muss aber wissen, dass das Otokar-Bruno Tandem ein hohes politisches Spiel zu spielen begann, mit dem Ziel, die eigenen Positionen zu festigen. Der Erstgenannte als ein mächtiger Herrscher über ein Territorium zwischen der Ostsee und der Adria, der Zweitgenannte als hoher Würdenträger der Kirche, nämlich als Erzbischof. Der Plan, über den bereits im Januar in einem Kapitel der tschechischen Geschichte die Rede war, ist gescheitert. Er gefiel dem Papst nicht, der damals im italienischen Viterbo residierte. Doch noch bevor man seiner Absage im Königreich Böhmen kundig wurde, gründete der papsttreue Bischof Bruno im erwähnten Hotzenplotzer Ländchen ein Neu-Viterbo, das von ihm als eine Art Residenz des künftigen Erzbistums mit einem Aktionsradius von der Ostsee bis zur Adria gedacht war. Nun aber zu dem Namen Viterbo, der sich über die deutsche Form Biterne in das heutige Pitarne verwandelte:
"Dieser Name, der so schlecht mit dem Deutschen zu erklären ist, der aber doch die deutsche Form des italienischen Stadtnamens war, ist genau in der deutschen Mundart des Hotzenplotzer Landes verändert worden. Im Schlesischen des Hotzenploter Landes wird jedes "e-r-n" zu "a-r-n". Aus Piterne wir "Pitarne". Ähnlich heißt es im Schlesischen nicht "gerne", sondern "garne". Während die tschechische Form von Pitarne auf der ersten Silbe betont war, betonten aber die Deutschen Pitarne auf der zweiten Silbe, so wie es auch für die Aussprache von Viterbo gilt. Die deutsche Aussprache gilt als die ursprünglichere, und auch in der tschechischen Schreibweise von heute steckt die deutsche mundartliche Ausschreibung (Pitárné), aber das hängt nur damit zusammen, dass man im tschechischen nicht genau wusste, wie man den Namen erklären sollte, so hat man ihn genau so genommen, wie man ihn gehört hat."
Dieser Name sei hundertfach in den mittelalterlichen deutschen, jedoch nicht lateinischen Urkunden zu finden, sagt Professor Metzner. Dass er den Namen als Historiker gefunden hat, glaubt er dem Zufall zu verdanken, dass er zugleich auch Germanist ist. In diesem Zusammenhang fügt er aber hinzu:"Es ist keineswegs so, dass ich bloß, weil ich ein Germanist bin, jetzt alles aus dem Deutschen erklären will. Die meisten Namen in den Ebenen haben slawischen Ursprung, und Hotzenplotz liegt ja genau an dem Übergang aus dem Gebirge in die Ebene. Die Gegend ist dort kein Hochgebirge, immerhin gibt es dort einen Berg, der sich gut für die Verteidigung eignete und den schon die Slawen, die vor den Deutschen hier gesiedelt hatten, benutzten. Sie haben auch dem Fluss, der hier fließt, einen Namen gegeben: Osablaga. Die Deutschen, die dorthin gelangten, konnten mit dem tschechischen Namen nichts anfangen und haben versucht, ihn mundgerecht zu machen."
Wie geschieht es also, dass aus Osoblaga bzw. Osablaga - es gibt nämlich eine tschechische und eine polnische Form dieses Namens - Hotzenplotz entsteht?
"Diese Umformungen entstehen nicht willkürlich. Man versucht die Namen, die man sprachlich nicht versteht und die auch schwer auszusprechen sind, an das vorhandene Vokabular, an die Wörter oder die Namen, die man kennt, anzugleichen."
Und jetztz konkret: Was verbirgt sich hinter dem Namen Hotzenplotz, der offensichtlich wesentlich älter ist als der gleichnamige Buchheld - der Räuber Hotzenplotz. Prof. Metzner erläutert: "Da gibt es eine Landschaft in Süddeutschland, am Schwarzwald, die Hotzenwald heisst. Also der Wald der Hotzen, einer kleinen Gruppe von Menschen. Ich habe dann aber beide Stellen zusammengesucht, die darstellen, dass Hotzenplotz nach dem deutschen Muster mit einem schönen lang rechteckigen Markt in einer Zeit gegründet wurde, die eigentlich der einzig mögliche Zeitpunkt war. Genau in dieser Zeit wollte der böhmische König Wenzel/Vaclav der Erste, Vater von Otokar II., demonstrieren, dass er mit dem Kaisergeschlecht von damals politisch zusammengehen wollte, und heiratete daher die Tochter des deutschen Königs Philipp von Schwaben. Das war eine Stauferin und die Staufer waren in Schwaben beheimatet. Es ist naheliegend, dass diese Schwäbin, die böhmische Königin wurde, auch Schwaben ins Land geholt hat. Sie lebte bis zum Jahr 1248."
Die Schlußfolgerung von Professor Metzner: Es waren die Schwaben, die an dem Ort mit dem für ihre Ohren seltsam klingenen Namen Osablaga eine Stadt mit dem eingedeutschen Namen Hotzenplotz gegründet haben dürften. Er verweist dabei auf die Tatsache, dass Hotzenplotz bei den ersten Nennungen als Stadt schon den süddeutschen Klang mit "P" statt "B" hatte, und bis heute hat. Schließlich heiße der Räuber Ottfried Preußlers auch Hotzenplotz und nicht Hotzenblotz. Metzner untermauert seine Theorie wie folgt:
"Ich bin der Meinung, dass vieles darauf hin deutet, dass der böhmische König Wenzel I., als er schon mit der Stauferin verheiratet war, Hotzenplotz und eine ganze Reihe von anderen Orten gründete. Es gibt nämlich im Osten des Hozenplotzer Landes Dörfer, die im Testament von Bruno nicht als seine eigenen Gründungen bezeichnet werden. Das heißt, Bruno hat sie nicht gegründet. Irgendjemand anders muss sie gegründet haben!"
Unser Gespräch über Otokar, Bruno, die deutsch-tschechische und tschechisch-deutsche Beeinflussung einschließlich des Sprachbereichs, hat Prof. Metzner mit folgender trefflicher Feststellung abgerundet:
"Die Geschichte ist zu trocken, wenn man sie allein betrachtet. Man muss versuchen, sie in irgendeiner Weise zu verpacken."
Und ich gehe davon aus, dass es ihm gelungen ist, in der uns kurz bemessenen Zeit auch Sie davon zu überzeugen.