Gemeinsam statt einsam: Die Seniorenhaltestelle

Gemeinsam gegen das Alleinsein im Alter. Wir kommen nach Finnland. Dort wird psychosoziale Gruppentherapie erfolgreich genutzt, um Senioren vom intensiven Empfinden von Einsamkeit zu befreien. Die Organisation Helsinkimissio, eine christlichen Werten verpflichtete Sozialeinrichtung, bietet Senioren unter dem Namen "Seniorenhaltestelle" Gruppentherapien in Helsinki, Tampere und Turku. Untersuchungen zeigen, dass die Gruppentherapie nicht nur das Problem der Einsamkeit lösen hilft, sondern auch die allgemeine Gesundheit der Senioren verbessert. Künftig sollen nach dem Modell der "Seniorenhaltestelle" Gruppentherapien landesweit angeboten werden. Auch im Ausland haben die positiven Erfahrungen Interesse geweckt. Stefan Tschirpke berichtet:

"Einsamkeit ist ein schlimmes Gefühl. Ich fühlte mich beklemmt und hatte sogar Schmerzen", sagt Rauni Korja, knapp 70, eine zierliche, lebhaft wirkende Seniorin. Korja ist seit ein paar Jahren Rentnerin, aber an den Ruhestand konnte sie sich nie gewöhnen:

"Ich war Hebamme und die Arbeit hat mich ausgefüllt. Mit dem Ruhestand komme ich nicht zurecht. Einsamkeit ist für mich ein Gefühl von Nutzlosigkeit."

Korja ist kein Einzelfall unter älteren Finnen. Studien zufolge empfinden vier von zehn Senioren zeitweise Einsamkeit. Jeder zehnte Senior leidet ständig darunter. Kaisu Pitkälä, Fachärztin für Geriatrie in Helsinki:

"Viele Dinge können dazu führen, dass sich der Senior in seinem Zuhause einsam fühlt: Tod der engsten Verwandten und Freunde, Krankheiten, Nachlassen der physischen Leistungsfähigkeit."

Pitkälä ist Forschungsleiterin beim Zentralverband für Altersfürsorge und bearbeitet ein Forschungsprojekt über die therapeutische Behandlung von Einsamkeit. Sie unterstreicht, dass Einsamkeit keine Krankheit sei, aber krank machen könne:

"Senioren, die sich einsam fühlen, leiden zum Beispiel eher an Altersdemenz. Ihre physische Leistungsfähigkeit nimmt schneller ab, ihre Lebenserwartung kann niedriger sein."

Vor Ort in der Helsinkimissio, einer christlichen diakonischen Einrichtung, die sich auch um Altersfürsorge kümmert. Bereits Ende der 90er Jahre erkannte man hier die Dringlichkeit des Problems Einsamkeit. Der stellvertretende Geschäftsführer Ari Marjovuo:

"Hilfe ist dafür schwer erhältlich. Polikliniken für Alterspsychiatrie gibt es nur in ein paar Städten. Andere Kliniken sind überfordert, die Gesundheitszentren überlastet."

Marjovuo startete deshalb im Jahre 2001 die "Senioripysäkki", zu Deutsch "Seniorenhaltestelle" - eine psychosoziale Gruppentherapie für Senioren ab 60, die sich auf das Problem der Einsamkeit konzentriert. Zwei Therapeuten betreuen derzeit neun Gruppen. Die älteste Teilnehmerin ist 92 Jahre alt.

"In der Gruppe sollten Gefühle und Erlebnisse mit anderen geteilt werden. Dies gehört zu den wichtigsten Erfahrungen. Das Sich-Öffnen gegenüber der Gruppe ist ein schwieriger Prozess."

In einem Raum stehen acht bequeme Stühle im Kreis. An der Wand eine Reproduktion von Paul Klee, eine stehen gebliebene antike Uhr, eine tickende moderne Uhr. Symbole für Vergangenheit und Gegenwart, sagt Therapeutin Irene Tummavuori:

"In einigen Gruppen nähern wir uns der Einsamkeit über spezielle Themen: Schreiben, Malerei oder Fotografie. Beim gemeinsamen Betrachten alter Fotos zum Beispiel werden Geschichte, Erinnerungen, das eigene Leben aktiviert."

Eine Therapiegruppe der Helsikimissio wurde von Kaisu Pitkälä in einem Forschungsprojekt begleitet und analysiert. Die positiven Resultate überraschten. Nicht nur, dass zwischen den Senioren zahlreiche feste Bekanntschaften entstanden und auch nach der Therapiezeit hielten. Auch ihr allgemeines Wohlbefinden verbesserte sich. Im Vergleich zu einer Referenzgruppe nahmen die Teilnehmer seltener einen Arzt in Anspruch:

"Einsame Menschen leiden häufig an psychosomatischen Symptomen. In der Geborgenheit der Gruppe fühlt sich der Senior verstanden und akzeptiert. Die Schmerzen verschwinden."

Die erfolgreiche Gruppentherapie der Helsinkimissio hat sich unter Senioren im Großraum Helsinki herumgesprochen. Die Nachfrage ist groß. Zwei bis drei Monate wartet man auf einen Gruppenplatz. Rentnerin Rauni Korja ist froh, Hilfe bekommen zu haben.

"Ich habe noch viele Freunde aus der Gruppe. Oft erkundigt sich jemand, wie es mir geht oder was ich gerade mache. Man spürt, dass man so wie man ist akzeptiert wird. Das ist ein schönes Gefühl."