Der wachsende Einfluss der tschechischen Kommunisten dominiert die diesjährigen Mai-Feiern

Eines der Themen des laufenden tschechischen Wahlkampfes, wie auch der traditionellen Kundgebungen der Parteien zum 1. Mai, ist der wachsende Einfluss der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens auf das politische Geschehen im Land. Der Dachverband der ehemaligen politischen Häftlinge rief am ersten Mai-Tag etwa zu einer Großkundgebung auf dem Prager Letna Plateu auf - und zwar nicht zufällig, denn an diesem Ort hielten in den vergangenen Jahren immer die Kommunisten ihre Feiern zum 1. Mai ab.

Wie in den meisten europäischen Ländern, ist auch in Tschechien der erste Mai traditionell nicht nur ein willkommener Feiertag, sondern auch ein Tag, an dem es an vielen Orten hochpolitisch zugeht. Nicht nur in Vorwahlzeiten, wie in diesem Jahr, halten politische Parteien an verschiedenen Orten ihre Kundgebungen ab. Egal ob es sich dabei um rechte, oder linke Gruppierungen handelt; ob die Veranstaltungen eher als Familienfeste konzipiert, oder ganz kämpferisch, mit Brandreden, abgehalten werden. Die Parteien versuchen oft auch mit gratis Bier und Würstchen die Teilnehmer anzulocken.

Die größten tschechischen Parteien halten ihre Kundgebungen in Prag an traditionellen Orten ab. Die bürgerlichen Parteien laden oft in einen der vielen Prager Stadtgärten; die Sozialdemokraten feiern auf dem Prager Messegelände und die unreformierten tschechischen Kommunisten trafen sich in den letzten Jahren traditionell auf einem der besten Plätze Prags - dem Letna-Plateau im siebenten Prager Stadtbezirk.

Dieses Jahr mussten die Kommunisten jedoch ausweichen: Für den 1. Mai 2006 sicherte sich das Plateau rechzeitig die Konföderation der politischen Häftlinge, also der Dachverband aller politisch Verfolgter, die dort den ganzen Tag eine Großveranstaltung abhalten wollte. Über die Motive sagt deren stellvertretender Vorsitzender Mirko Stastny im Gespräch mit Radio Prag:

Stalin-Denkmal
"Schauen sie, dafür gab es mehrere Gründe. Der wichtigste aber war, dass wir es satt hatten, dass ausgerechnet an der Stelle, wo es im November die großen Kundgebungen gegen die Kommunisten gab, sich schon seit Jahren am ersten Mai eben die Kommunisten versammelten. Wir wollten also verhindern, dass sie das Letna Plateau weiterhin für ihre Propaganda ausnutzen."

Fast auf den Tag genau einen Monat nach dem ersten Mai, werden in Tschechien Parlamentswahlen stattfinden. Kann man also in dem Happening auf dem Letna-Plateau auch eine Art Vorwahlveranstaltung sehen? Wie ist heute die Sensibilität der tschechischen Öffentlichkeit gegenüber den Verbrechen des Kommunismus? Bedeutet das, dass die Anliegen der Konföderation heute stärker unterstützt werden? Mirko Stastny:

"Das würde ich nicht sagen. Uns wurde von einigen Menschen in diesem Land immer wieder vorgeworfen, dass wir als ehemalige politisch Verfolgte unmittelbar nach der Wende keine eigenständige politische Partei gegründet haben, die vielleicht heute eine gewisse Rolle spielen könnte. Damals haben wir uns aber anders entschieden. Heute sind wir eine relativ überschaubare Gruppe von ca. 3500 Mitgliedern, die meisten davon sind über achtzig Jahre alt. Das bedeutet nicht, dass wir aber resignieren würden."

Mirko Stastny  (Foto: Theresa Kuglin)
Wird die Konföderation der politischen Häftlinge auch in den kommenden Jahren am 1. Mai auf dem Letna-Plateau ein vergleichbares Happening abhalten? Dazu sagt Mirko Stastny:

"Diese Veranstaltung knüpft an unsere regelmäßigen Treffen auf der Prager Sophieninsel an, wo wir jedes Jahr zusammenkommen und wo auch zahlreiche öffentliche Vertreter zu uns sprechen. Das waren also die Anfänge. Das, was wir aber jetzt veranstalten, ist wirklich etwas ganz Neues, was es aber nur in diesem Jahr geben wird, weil unter dem Letna Plateau in naher Zukunft mit dem Bau eines Tunnels begonnen werden soll und die Fläche somit für die Öffentlichkeit gesperrt wird. Das wollten wir noch schnell nutzen, damit wir als Letzte dort unsere Kundgebung abhalten können."

Der wachsende Einfluss der Kommunisten auf die tschechische Innenpolitik ist auch ein Thema, mit dem sich in den letzten Wochen und Monaten intensiv auch viele Politikwissenschaftler und Soziologen befasst haben. Im Vordergrund stehen dabei vor allem zwei Fragen. Die eine betrifft die Wählerstruktur der früheren tschechischen Staatspartei, welche aus mittelfristiger Sicht nicht besonders zukunftsweisend ist, wie der Politikwissenschaftler Josef Mlejnek jr. von der Prager Karlsuniversität gegenüber Radio Prag erläutert:

"Bei den Kommunisten ist zu bedenken, dass sie zwar stärker in der Kommunalpolitik verankert sind, vor allem in kleinen Gemeinden. Aber dennoch stellt sich die Frage, wie sich diese Partei weiter entwickeln wird. Dabei geht es um nichts geringeres, als deren weiteren Fortbestand. Man hat nach 1989 immer gemeint, dass die Anhänger dieser Partei allmählich aussterben werden. Faktum aber ist, dass es den Kommunisten nach der Wende dennoch gelungen ist sich einen Platz in der demokratischen politischen Landschaft zu sichern. Sie sammeln kontinuierlich Proteststimmen, sind Ansprechpartner für diejenigen, die keine Arbeit haben und für Menschen, denen generell eine Perspektive fehlt. Gerade in den Augen von sozial schwächeren Gesellschaftsschichten werden dadurch Erinnerungen an frühere, vermeintlich einfachere und problemlosere Zeiten vor der Wende wach. Das zieht auch neue und jüngere Wähler an. Für die weitere Existenz der Kommunisten wird also ein Zusammenspiel demographischer Faktoren und der Fähigkeit der Kommunisten entscheidend sein, ihre Wählerschaft beizubehalten und sich dementsprechend zu profilieren."

Die zweite große Frage hängt mit der künftigen Rolle der Kommunisten in der tschechischen politischen Landschaft zusammen. In den letzten Wochen half die Kommunistische Partei den regierenden Sozialdemokraten immer wieder wichtige Vorlagen im Parlament durchzudrücken - wie das neue Arbeitsgesetzbuch, und zwar oft auch gegen den Willen der sozialdemokratischen Koalitionspartner. Bedeutet das also, dass die Kommunisten allmählich ihre Rolle als Daueropposition aufgeben und sich für eine, wenn auch zunächst stille Regierungsbeteiligung, warmlaufen? Der Politikwissenschaftler Josef Mlejnek jr. wagt abschließend einen Ausblick:

"Bei den ersten freien Wahlen erhielten die Kommunisten in allen Ländern nach dem Fall des Kommunismus um die zehn Prozent. Das entsprach dem harten Kern der übrig gebliebenen Mitglieder, wie auch deren Familienangehörigen, die irgendwie vom früheren System profitiert haben. Die tschechischen Kommunisten konnten bei den ersten freien Wahlen ebenfalls gut zehn Prozent erlangen; bei den letzten Wahlen waren es aber schon zwanzig Prozent. Das ist meiner Meinung nach eine Folge dessen, dass die Kommunisten heute für viele die einzige Protestpartei sind. Wenn wir deren frühere Ergebnisse zu jenen der rechtsradikalen Republikaner in den 90er Jahren dazuzählen, kommen wir ungefähr auf die heutigen zwanzig Prozent. Das macht auch die Einzigartigkeit der tschechischen Kommunisten aus, denn nirgendwo ist eine unreformierte kommunistische Partei so stark wie in Tschechien. Es ist fraglich, welche Strategie die Kommunisten künftig einschlagen werden. Entweder werden sie sich mit dem bisher Erreichten und damit auch der Rolle als Protestpartei zufrieden geben, oder aber sie werden versuchen an die Macht zu gelangen. Sie müssen vor allem sehen, dass der Widerstand in der Öffentlichkeit gegen die mögliche Tolerierung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung durch die Kommunisten außerordentlich stark ist."