Was haben Sisyphos, Skeptiker und ein Findling gemeinsam?

Franz von Stuck (1920)

Die Geschichte des armen Sisyphos, der zur Strafe einen Felsbrocken immer wieder von neuem bergauf zu rollen versucht, ist allgemein bekannt: Der Stein kullert jedes Mal kurz vor dem Ziel hinunter. Der mythologische Sisyphos ist somit zum Symbol einer nicht nur mühsamen, sondern unter Umständen auch sinnlosen Arbeit geworden. Letzteres aber hatte eine Gruppe tschechischer Akademiker, die im Frühjahr 1995 den so genannten Tschechischen Klub der Skeptiker mit dem Namen Sisyphos aus der Taufe hob, ganz und gar nicht im Sinne. Das hat Jitka Mladkova herausgefunden, als sie sich auf die Spuren dieser kuriosen Organisation machte:

Foto: Zdenek Valis
Tschechischer Klub der Skeptiker - Sisyphos. Hinter diesem etwas kurios klingenden Namen wird manch einer vielleicht einen Verein lebensüberdrüssiger Happeningveranstalter vermuten. Tatsächlich aber handelt es sich dabei um eine Gemeinschaft durchaus seriös und rationell denkender Menschen. Die Mehrheit der rund 400 Mitglieder zählenden Basis bilden Akademiker, vor allem Naturwissenschaftler, Techniker und Ärzte, die in ihrem Statut die Verteidigung und Verbreitung empirisch nachweisbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse festgeschrieben haben. Die Skepsis, zu der sich die Sisyphos-Mitglieder bekennen, ist gegen die in unserer heutigen Welt boomenden Pseudo- und Parawissenschaften gerichtet:

Poltergeister, morphogenetische Felder, pathogene Zonen, gegen diese und viele andere Phänomene, die uns angeblich auf Schritt und Tritt begleiten und gegen die uns hilfsbereite Parapsychologen, Kryptozoologen und wie sie alle heißen, ihre Wunderheilrezepte anbieten - treten die tschechischen "Sisyphos -Skeptiker" auf: In den Medien oder in Vorträgen, die regelmäßig unter dem Dach der Akademie der Wissenshaften veranstaltet werden. Und nicht zuletzt auch durch ihren Jahrespreis, den so genannten "Findling". Die Preisverleihung durch das Komitee zur Irreführung der tschechischen Öffentlichkeit und zur Förderung des matschigen Denkens - so der offizielle Titel - gleicht einer humor- und zugleich ironievoll gestalteten Zeremonie. In diesem Jahr gab der bekannte Astrophysiker Jiri Grygar den Beschluss des Komitees kund - auf dem Boden der mathematisch-physikalischen Fakultät der Karlsuniversität, wohlgemerkt:

"Sehr geehrte Sympathisanten der Paraphysik, unsere Erzfeinde, die Physiker, haben das Jahr 2005 zum Jahr der Physik ausgerufen. Ihr Guru Albert hat genau vor 100 Jahren ein paar völlig zweifelhafte Arbeiten publiziert, die die Physik des 20.Jahhrunderts auf die Sandbank und in den Sumpf führten. Unser Komitee hat beschlossen, direkt hier in der Hölle der verknöcherten Physik das Weltjahr der Paraphysik 2005 auszurufen, mit dem Ziel, der Menschheit Trost zu spenden, denn diese hat unter dem unerträglichen Joch der Naturwissenschaften zu leiden, welche für sich einen Wahrheitsanspruch in Fragen erheben, die von der Paraphysik schon längst gelöst wurden."

Foto: Zdenek Valis
Die Preisverleihung stößt traditionsgemäß auch bei den Medien auf Interesse. Kein Wunder! Nicht selten werden nämlich auch Journalisten mit einem der wenig begehrten Preise "ausgezeichnet"! Dieses Jahr war es nicht anders.

Ein Findling für das Jahr 2004 ging auch an Marek Janac, Redakteur der Infowelle "Radiojournal" im Tschechischen Rundfunk, und zwar für seine Serie über die tschechoslowakischen und tschechischen Staatspräsidenten. Janac hatte darin die Aussagen seriöser Historiker mit graphologischen Analysen der Handschrift des jeweiligen Staatsoberhauptes untermauert, vorgenommen von einer Graphologieexpertin, die z.B. der Handschrift von T. G. Masaryk entnahm, dass dieser - Zitat - "über eine natürliche Autorität" verfüge. Dass der erste Arbeiterpräsident der kommunistischen Tschechoslowakei, Klement Gottwald, gelernter Tischler war, wurde seinerzeit jedem Schulkind eingetrichtert. Welch Überraschung also, wenn ihm die Grafologin 50 Jahre später handwerkliche Geschicklichkeit bescheinigte. Kurzum, unser Kollege Marek Janac ist auf diese Graphologin reingefallen, die immerhin auf der Webseite des Justizministeriums zitiert wurde. Doch im Unterschied zu vielen anderen Preisträgern hatte Janac den Mut, den Findling 2004 persönlich zu übernehmen. In seiner Dankesrede zog er folgende Konsequenz für sich:

"Als Redakteur darf ich nicht auf Experten setzen, die auf Internetservern, von welchem Ministerium auch immer, zu finden sind."

Gegen die Verleihung eines Findling-Preises ist laut Statut des Tschechischen Klubs der Skeptiker keine Berufung möglich. Sollte aber ein Ausgezeichneter einen Nobelpreis erhalten, dann ist er verpflichtet, seinen Findling dem Sisyphos-Komitee unverzüglich. zurückzugeben. Aus dem Register der Findling-Laureaten wird er ein für alle Mal getilgt.