Tschechiens Geste an deutsche Nazi-Gegner: Ein Resümee
Die Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland wurden vor wenigen Tagen um einen neuen und durchaus Aufsehen erregenden Aspekt reicher: Das tschechische Kabinett nämlich hat eine Versöhnungsgeste gegenüber deutschen Antifaschisten gesetzt, die einst als tschechoslowakische Staatsbürger aktiv gegen die Besetzung des Landes aufgetreten sind. Radio Prag hat bereits ausführlich berichtet. In der nun folgenden Ausgabe der Sendereihe Schauplatz, fasst Gerald Schubert die Ereignisse noch einmal zusammen und bringt einige neue Aspekte der Geste an die Deutschen:
So war zuletzt im Juni 2004, als die Regierung des heutigen EU-Kommissars Vladimir Spidla wegen des schlechten Abschneidens bei der Europawahl zurücktrat, klar: Die Bemühungen des damaligen Vizepremiers Petr Mares um die symbolische Entschädigung von Sudetendeutschen, die nach dem Krieg in der Tschechoslowakei Zwangsarbeit leisten mussten, würden fruchtlos bleiben.
Diesmal aber ging es wie gesagt nicht ums Geld. Der sozialdemokratische Premierminister Jiri Paroubek wollte in einer Regierungserklärung jenen Deutschen Anerkennung zollen, die ihrem Heimland Tschechoslowakei einst treu geblieben waren. Gegenüber Radio Prag erläutert er:
"Es handelt sich um eine Geste gegenüber den früheren tschechoslowakischen Bürgern deutscher Nationalität, die eine antinazistische Haltung an den Tag gelegt haben - und zwar sowohl vor Ende September 1938, also vor dem Münchner Abkommen, als auch danach, im Laufe des Zweiten Weltkriegs. Viele von ihnen sind nach Kriegsende, in den Wirren der Geschichte, weggegangen, manche freiwillig, manche weniger freiwillig. Diesen Menschen schulden wir moralische Anerkennung, und dem wollen die Parteien der Regierungskoalition Ausdruck verleihen."
Viele Deutsche seien nach dem Krieg auch im Widerspruch zur damals gültigen Rechtsordnung Repressionen ausgesetzt gewesen. In der Erklärung, die einstimmig von allen Kabinettsmitgliedern verabschiedet wurde, heißt es unter anderem: "Die Regierung der Tschechischen Republik drückt all den auf diese Weise geschädigten aktiven Gegnern des Nazismus, ohne Rücksicht auf ihre spätere Staatsangehörigkeit oder ihren späteren Aufenthaltsort, ihre Entschuldigung aus."
Aus der tschechischen Opposition kamen kritische Töne zu dieser Erklärung. So meint etwa der EU-Abgeordnete und außenpolitische Sprecher der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), Jan Zahradil:
Für den ODS-Ehrenvorsitzenden, Staatspräsident Vaclav Klaus, handelt es sich um eine leere Geste, die die Fragen der Vergangenheit unnötig auf die Tagesordnung setzt.
Während also in Tschechien die Reaktionen geteilt waren, und zwar weitgehend entlang der Grabenlinie zwischen Regierung und Opposition, gab es im Ausland fast nur positives Echo auf den Schritt der Regierung in Prag. Die CDU-Politikerin Erika Steinbach etwa, die Vorsitzende des deutschen Bundes der Vertriebenen, erhofft sich einen direkten Dialog zwischen den tschechischen Politikern und den Sudetendeutschen:
"Ich halte das für einen wichtigen und guten Schritt in die richtige Richtung. Und ich freue mich darüber auch deshalb, weil einer meiner Vorgänger als Präsident des Bundes der Vertriebenen sudetendeutscher Widerstandskämpfer gewesen ist. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass jetzt nicht nur für die tschechischen, sondern auch für die sudetendeutschen Widerstandskämpfer etwas getan wird."
Der außenpolitische Sprecher der deutschen Sozialdemokraten, Gert Weisskirchen, sagte in einer ersten Reaktion:
"Ich finde, es ist ein wundervolles Zeichen, dass in der tschechischen Republik nun endlich in der Regierung angekommen ist, was seit vielen Jahrzehnten in den Dissidentenkreisen und dann später von Vaclav Havel als eine ausdrückliche Entschuldigung gegenüber denen, die vertrieben worden sind, angesprochen wurde. Nun endlich hat die Regierung sich das zu Eigen gemacht. Das zeigt, dass der Prozess der Selbstverständigung innerhalb der tschechischen Gesellschaft weit vorangekommen ist."
Lediglich aus der Sudetendeutschen Landsmannschaft Österreichs kamen kritische Töne. Dort hält man die Geste aus Prag für einen diplomatischen Trick. Mit Erklärungen alleine sei niemandem geholfen, hieß es.
Radio Prag hat sich mit dem bekannten tschechischen Publizisten und ehemaligen Dissidenten Petr Uhl über die Geste der tschechischen Regierung unterhalten. Uhl weist zunächst darauf hin, dass man in diesem Zusammenhang nicht von einer Geste an "Sudetendeutsche" sprechen soll, wie es oft fälschlich heißt:
"In dieser Geste ist von ehemaligen tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher Nation die Rede. Das sind die, die sich für Deutsche hielten und die für Deutsche gehalten wurden, ohne Rücksicht darauf, ob sie im Sudetenland gewohnt haben, in Prag oder in Brünn. Ich selbst habe Prager Deutsche gekannt, und das waren selbstverständlich keine Sudetendeutschen."
Zum wirklichen Erfassen des Problems reicht es jedoch nicht aus, bis zum Zweiten Weltkrieg oder in die unmittelbare Vorkriegszeit zurückzublicken, meint Uhl:
"Meiner Meinung nach ist das ein tieferes Problem dieser Gesellschaft. Auf dem Gebiet der böhmischen Länder begannen bereits im 19. Jahrhundert die Tschechen und Deutschen, oder besser gesagt die tschechische und die deutsche Bourgeoisie, gegeneinander zu wetteifern. Es handelte sich dabei sowohl um ein wirtschaftliches, als auch um ein gesellschaftliches und politisches Wetteifern. Und dieses Wetteifern wurde nationalisiert, es wurde als Kampf zwischen Tschechen und Deutschen dargestellt. Das hat sich dann seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zum Beispiel in dem Mythos der tschechischen Nationalen Wiedergeburt niedergeschlagen und auch generell in der Konzeption des Nationalstaats. Des Nationalstaats als ethnische Gruppe, und nicht als politische Gemeinschaft, wie das überall auf der Welt ist - außer in Mittel- und Osteuropa."
Dass es in der tschechischen Gesellschaft, und hier vor allem aus Oppositionskreisen, auch Widerstände gegen die Geste gab, das verwundert Uhl angesichts solcher Reste tief sitzenden Misstrauens nicht. Aber:
"Ich bin der Regierung von Jiri Paroubek dankbar, die in diesem Fall die nötige Zivilcourage und den nötigen politischen Mut gefunden hat, sich auch um den Preis sinkender Popularität - denn ein paar Prozent wird sie das wohl kosten - zu dieser Geste zu entschließen."