Tschechische Leichtathleten holen drei Medaillen bei Regen-WM in Helsinki

Roman Sebrle, Bryan Clay und Atilla Zivotszky (Foto: CTK)
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Die Leichtathletik wird allgemein als die "Königin unter den Sportarten" bezeichnet. Ganz sicher aus dem Grund, weil sie in all ihren Disziplinen jene Eigenschaftsmerkmale vereint, dank derer die menschliche Leistung messbar ist: Wie schnell läuft der Mensch? Wie hoch und weit kann er springen? Wie weit kann er werfen? Oder aber: Wie ausdauernd und schnell zugleich ist der Mensch? Die Beantwortung dieser Fragen machen immer wieder den Reiz dieser dem Sport ureigensten Wettkampfart aus. Und wo anders sind menschliche Höchstleistungen besser mess- und nachvollziehbar als bei einer Weltmeisterschaft in der "Königssportart"? Daher wirft Lothar Martin im nun folgenden Sportreport noch einmal einen Blick zurück auf die am zurückliegenden Sonntag in Helsinki zu Ende gegangene zehnte Leichtathletik-WM.

Roman Sebrle,  Bryan Clay und Attila Zsivóczky  (Foto: CTK)
In der Leichtathletik zur absoluten Weltspitze zu gehören heißt nicht nur, besondere Veranlagungen bzw. disziplin-spezifische Talente zu haben und diese dann durch professionelles Training auf einem sehr hohen Level festmachen zu können, sondern auch von hartnäckigen, leistungshemmenden Verletzungen möglichst verschont zu bleiben. Da das auf tschechischer Seite weder bei Ex-800-m-Weltmeisterin Ludmila Formanova noch bei Speerwurf-Ausnahmekönner Jan Zelezny der Fall war, ruhten die Medaillenhoffnungen im Land zwischen Eger und Oder vor allem auf drei Athleten: Zehnkämpfer Roman Sebrle, Diskuswerferin Vera Cechlova-Pospisilova und Hochspringer Jaroslav Baba. Insbesondere Zehnkampf-Weltrekordinhaber Sebrle träumte davon, sich nach seinem vorjährigen Olympiasieg in Athen nun endlich auch sein zweites Ziel erfüllen zu können, nämlich den ersten WM-Titel zu holen. Dazu musste er in erster Linie einen schlagen: die neue amerikanische Zehnkampfhoffnung Bryan Clay. Und schon am ersten Wettkampftag zeigte sich, dass der um fünf Jahre jüngere US-Amerikaner zu einem wirklichen Konkurrenten für den 30-jährigen Sebrle herangereift ist. Besonders dank seiner gravierenden Verbesserungen in den Schnellkraft erfordernden Wurfdisziplinen ließ sich der aus Hawaii stammende Clay nicht abschütteln. Im Gegenteil: Nachdem er nach dem ersten Tag bereits einen Vorsprung von 14 Punkten auf Sebrle herausgearbeitet hatte, zeigte er auch am zweiten Wettkampftag kaum Schwächen und ließ den Weltrekordler ein ums andere Mal - mit Ausnahme des abschließenden 1500-m-Laufes - hinter sich. Aber da war die Entscheidung schon zugunsten von Clay gefallen, der bei dem nasskalten Wetter wie alle anderen Athleten auch nur noch heil im Ziel ankommen wollte. Dort empfing er dann vom geschlagenen Sebrle als einem der Ersten die Glückwünsche zum WM-Sieg. Sebrle, der sich als fairer Verlierer erwies, erwiderte auf die Frage nach seinen ihn im Ziel begleitenden Gefühlen:

"Gleich nach dem Wettkampf waren es schöne Gefühle, denn dieser Zehnkampf hatte es in sich, und in ihm war halt einer einfach besser als ich. Das ist Sport, das gehört dazu. Es ist wahr, dass ich auf dem Siegerpodest ganz oben stehen wollte, aber eines Tages will ich meine Medaillensammlung komplettieren. Ich habe mir so wenigstens die Motivation für weitere Wettkämpfe erhalten, ansonsten aber bin ich zufrieden. Das ist Zehnkampf: Bryan war in einer besseren Form als ich, aber ich hoffe, dass es beim nächsten Mal genau andersherum sein wird."

Doch eigentlich wollte Sebrle seinen schon selbstverständlich gewordenen Siegen bei Europameisterschaften und den Olympischen Spielen vor Jahresfrist in Athen bereits in Helsinki auch seinen ersten WM-Titel folgen lassen. Auf die Frage, wo er den neuralgischen Punkt für seine Niederlage gesehen habe, antwortete Sebrle:

"Ganz sicher beim Hochsprung, denn das ist meine Lieblingsdisziplin. Als ich 2,06 m übersprungen hatte, dachte ich, endlich meinen Rhythmus gefunden zu haben, doch dann kam der Regen und der Wettkampf wurde unterbrochen. Nach der Regenpause bin ich jedoch nicht mehr in Tritt gekommen. Aber man kann ebenso sagen, dass der gesamte zweite Tag für den Umschwung sorgte. Es war ganze zehn Grad kälter als tags zuvor. Je älter ich geworden bin, umso weniger liebe ich es, Wettkämpfe in der Kälte zu bestreiten. Solch ein Wetter liegt mir einfach nicht. Aber ich denke, der Gewinn der Silbermedaille ist auch sehr gut. Wenigstens für mich, auch wenn es natürlich schöner ist, um Gold zu kämpfen."

Doch nur zwei Tage nach dem Medaillengewinn mussten Sebrle und Zehnkampf-Teamgefährte Tomas Dvorak, der den achten Platz belegte, auf einmal an einer ganz anderen Front kämpfen. Sie mussten sich der Vorwürfe des finnischen Athleten Jaakko Ojaniemi erwehren, der Augenzeuge dessen war, wie den beiden tschechischen Zehnkämpfern anderthalb Stunden vor dem kräftezehrenden 1500-Meter-Lauf von Teamarzt Petr Sikora je eine Glukose-Spritze injiziert wurde. Sie diente jedoch einzig und allein dem Zweck, den aufgrund des missliebigen Wetters stark gesunkenen Blutzuckerspiegel bei Sebrle und Dvorak auszugleichen und damit die Gesundheit der beiden Athleten zu wahren. Daher reagierte Dvorak auch ziemlich ungehalten auf die in der finnischen Presse geschürte Attacke:

"Ich zitiere meine Frau: ´Was ist das für eine Dummheit, Zucker ist doch kein Doping!´ Schon aus diesem Grund kommt mir das wirklich absurd vor."

Als sachliche Begründung dieser Maßnahme ergänzte der 33-jährige Dvorak:

"Ich habe in meiner Karriere einen solchen Wettkampf noch nicht erlebt, in dem man so durchgefroren ist. Ich will nicht darauf verweisen, dass wir im Feld die beiden ältesten Athleten waren, die diese Bedingungen etwas anders fühlen. Es gab ganz einfach den Grund, unsere Gesundheit zu schützen."

Auch Weltrekordler Sebrle wies den Dopingvorwurf vehement zurück:

"Also, wir haben auf keinen Fall Doping zu uns genommen. Außerdem denke ich, dass wir auch keine Regeln gebrochen haben, denn wir erhielten Glukose, die nicht dazu da ist, um die Leistung zu erhöhen. Keiner von uns beiden hat das nötig. Wir waren nach den neun an beiden Tagen absolvierten Disziplinen jedoch stark erschöpft, fühlten uns so elend, dass wir einfach nur durchkommen wollten."

Die von den Finnen beim Leichtathletik-Weltverband IAAF eingereichte Beschwerde wurde letzten Endes zurückgewiesen, da auch die Doping-Tests der beiden Zehnkämpfer negativ waren. Nach einer Sitzung bestätigte IAAF-Sprecher Nick Davies, dass es sich bei der Injektion um keinen Regelverstoß gehandelt habe.

Nach all dem Hickhack um die beiden Zehnkampf-Matadoren war es für die tschechische Mannschaft umso erfreulicher, dass sie dank zweier pfiffiger Frauen noch zu zwei weiteren Medaillen kam. Die eine davon, die Bronzemedaille durch Diskuswerferin Vera Cechlova-Pospisilova, war durchaus erwartet worden, war doch die 26-Jährige als Jahres-Weltbeste in ihren Finalwettkampf gegangen. Doch in diesem erwies sich, dass ihr gegenüber Weltmeisterin Franka Dietzsch aus Deutschland und die Russin Natalija Sadowa noch einiges mehr an Wettkampferfahrung haben. Doch die "ewige Vierte" freute sich trotzdem:

"Ich bin überglücklich, dass es endlich mit einer Medaille geklappt hat. Auch wenn es in Anführungszeichen ´nur´ die bronzene ist. Aber auch darüber freue ich mich riesig und bin sehr stolz. Ich freue mich ebenso wahnsinnig darüber, dass ich für unser schönes Land eine Medaille gewonnen habe. Denn dadurch ist unsere Republik nicht ´unter ferner liefen´ gelandet, sondern hat sich in einem guten Licht gezeigt. Und darüber freue ich mich sehr."

Wesentlich überraschender als der Medaillengewinn von Diskuswerferin Cechlova war hingegen der Gewinn der Bronzeplakette durch ihre Zimmernachbarin und Freundin Pavla Hamackova im Stabhochsprung. Die 27-Jährige, kein Talent von Gottes Gnaden, aber eine willenstarke und emsige Athletin, kommentierte ihre Platzierung wie folgt:

"Dies ist höchstwahrscheinlich meine wertvollste Medaille. Erstens aus dem Grund, weil ich sie nach einer Verletzung gewonnen habe. Ich fühle zudem, dass nun vielleicht die letzte Etappe meiner Sportkarriere begonnen hat. Zweitens, und vor allem deshalb ist das Resultat so wertvoll, weil ich es bei einem sehr schweren Wettbewerb erzielt habe. Ich bin froh, dass ich bei einem solchen Wettbewerb imstande war, meine Konkurrentinnen zu besiegen."

Was Pavla Hamackova meinte, waren die äußeren nasskalten Bedingungen, die die Stabhochkonkurrenz wie einige andere Wettbewerbe auch zunächst buchstäblich ins Wasser fallen ließen, ehe sie zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt wurden. Aber auch die Regen-WM von Helsinki gehört mittlerweile der Geschichte an. Der tschechischen Leichtathletik aber brachten die Titelkämpfe mehr Positives als Negatives, denn gegenüber der vorangegangenen Weltmeisterschaft 2003 in Paris konnte sie auf zwei (Bronze-)Medaillen mehr verweisen. Und zudem auf die erfreuliche Tatsache, einige junge, hoffnungsvolle Talente für die Zukunft in der Hinterhand zu haben.