Jubiläum: Priester und Exilant Karel Fořt vor 100 Jahren geboren

Pfadfinder, Zwangsarbeiter, Priester der Böhmerwald-Deutschen, Exilant, Begründer des Seelsorgedienstes für in Deutschland lebende Tschechen – und nicht zuletzt auch Redakteur von Radio Free Europe in München. Die Lebensgeschichte von Karel Fořt könnte als Vorlage für einen Abenteuerfilm dienen. Am 8. November hätte der Geistliche seinen 100. Geburtstag begangen.

Karel Fořt | Foto: Paměť národa

Am vergangenen Samstag wurde in der Stadt Horažďovice / Horaschdowitz mit mehreren Veranstaltungen an den Geistlichen Karel Fořt (1921-2014) erinnert. Es ist zwar nicht seine Geburtsstadt, denn zur Welt kam er am 8. November 1921 in Rožmitál pod Třemšínem. Aber in Horažďovice ging Fořt zur Schule, und das historische Städtchen auf halbem Weg in den Böhmerwald hatte er darum in sein Herz geschlossen. Nach der Wende von 1989 besuchte er den Ort oft. Bestattet wurde der Priester, wie er sich gewünscht hatte, auf dem kleinen Friedhof auf dem nahe gelegenen Berg Prácheň / Prachin. Viele der Bewohner der Region erinnern sich an die Begegnungen mit Pater Fořt, der seine Heimat als Exilant erst nach der Wende von 1989 wieder besuchen durfte. So schildert der ehemalige Bürgermeister von Horažďovice, Václav Trčka, wie sie 1992 gemeinsam das 700. Jubiläum der Erteilung des Stadtrechts gefeiert haben:

Václav Trčka | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Fořt verbrachte mit uns das ganze Wochenende. Gern erinnerte er sich an seine Jugend, die er in unserer Stadt verbrachte. Die Stadtverordneten entschieden sich dann, Fořt die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Damals wurde auch beschlossen, neue Glocken für die hiesige Peter-und-Paul-Kirche herstellen zu lassen. Die Idee gefiel Pater Fořt sehr. Es wurde gleich eine Spendensammlung initiiert. Schon ein Jahr später wurden zwei Glocken geweiht: Die eine heißt Václav und die andere Vojtěch. Die dritte Glocke spendete Karel Fořt selbst. Diese erhielt den Namen Gorazd.“

Diese Glocke wurde 1997 geweiht. Trčka zufolge war der Geistliche der Meinung, dass die Ortsbezeichnung Horažďovice vom Namen des Heiligen Gorazd abgeleitet wurde. Dieser war Schüler und Nachfolger des Slawenapostels – des Heiligen Method. Gorazd gilt seit 1997 als Schutzpatron der Stadt. Die vierte Glocke weihte Karel Fořt im Jahre 2000 dann persönlich. Alle vier Instrumente läuteten Ende 2000 das neue Jahrtausend ein, sagt Trčka.

Von der Gestapo verhört

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

In Horažďovice lernte Karel Fořt die Pfadfinderbewegung kennen. Dieser ist er sein ganzes Leben lang treu geblieben. 1940 durchsuchte die Gestapo den Treffpunkt der Pfadfinder in Budweis. Dabei beschlagnahmte sie Broschüren und Bücher, in denen sie auf Losungen gegen das NS-Regime gestoßen waren. Der damals 19-jährige Fořt wurde verhaftet und verhört. Die Gestapo wollte, dass er seine Freunde denunzierte. Für das Zeitzeugenprojekt „Paměť národa“ (Gedächtnis des Volkes) erinnerte sich Fořt vor einigen Jahren:

„Man hat mich auf Deutsch gefragt, wer das geschrieben habe. Ich sagte: ‚Ich‘. Aber es war fast lustig, dass sich der Mann nicht genau merken konnte, was dort in Tschechisch stand. Er musste es sich von einem anderen übersetzen lassen. Und schon bekam ich eine Ohrfeige nach der anderen. Dort stand das Beneš-Zitat ‚Wir bleiben treu.‘ Das gab wieder zwei Ohrfeigen. Einen Zahn haben sie mir herausgeschlagen, und meine Nase blutete.“

Karel Fořt | Foto: V. Černý,  Paměť národa

Fořt wurde ins Gefängnis geschickt. Am schlimmsten war damals seinen Erinnerungen nach die Unsicherheit. Noch im selben Jahr wurde er aber freigelassen. Im Gefängnis habe er sich endgültig für den Priesterberuf entschieden, erklärte er später:

„Im Gefängnis war ich allein und fing an nachzudenken. Zuvor wollte ich Partisan oder Soldat werden, um zu kämpfen. Auf einmal schien mir aber, dass das Morden keinen Sinn hat. Ich stellte mir vor, dass ich als Partisan einen Zug in die Luft sprengen sollte, in dem aber Kinder sitzen, mit denen ich gestern noch spielte. Es wurde mir bewusst, dass Krieg keine Lösung ist – damals waren Hitler und Stalin sogar noch Verbündete. Ich dachte an Jesus, der ein anderes Programm hatte und kein Blut vergießen wollte. So entschied ich mich für den Beruf, den ich heute habe.“

Treffen mit Hitler

Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-H06156,  CC BY-SA 3.0

Angehende Geistliche konnten während des Kriegs in Priesterseminaren studieren. Diese ersetzten die vom NS-Regime geschlossene theologische Fakultät. Im Herbst 1942, als die Mehrheit der jungen Deutschen und Österreicher schon an der Front war, mangelte es in der Schwerindustrie an Arbeitskräften. Karel Fořt und seine Freunde vom Seminar wurden zur Zwangsarbeit in die Reichswerke „Hermann Göring“ ins österreichische Linz geschickt. Dort kam es 1944 zu einem Treffen mit Adolf Hitler. Dieser besuchte mit einem Filmstab die Eisenwerke, um den Deutschen zu zeigen, dass die Produktion auf vollen Touren lief. Zu der Zeit standen die Russen jedoch schon vor Budapest, und die US-Truppen befreiten Italien. Fořt dazu:

„Ich führte damals das sogenannte Rapportbuch, in das Daten jeder Art eingetragen werden mussten. Jemandem fiel ein, dies Hitler zu zeigen. Ich musste das Büro aufschließen und zog mich dann in eine Ecke zurück. Hitler kam mit dem ganzen Stab, die Kameras liefen. Ich sah ihn aus der Nähe. Er erinnerte mich an eine Mumie: kein Ausdruck, ganz blass, das Gesicht wie aus Stein. Es war ein Mensch, der vermutlich wusste, dass sich das Ende näherte. Ein halbes Jahr später beging er Selbstmord. Er sagte kein einziges Wort, nur der Direktor erzählte ihm etwas. Es wurde für die Propaganda gefilmt, um zu zeigen, dass immer noch gearbeitet und gekämpft wird. Denn die Soldaten starben weiterhin, und wie sie starben!“

„Tief drin im Böhmerwald“

Horažďovice | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Nach dem Krieg setzte Fořt das Theologiestudium fort. 1948 wurde er zum Priester geweiht und begann, in der Pfarrei in Vimperk / Winterberg zu arbeiten. Als junger Geistlicher war er mit dem Motorrad unterwegs oder besuchte kleine entfernte Böhmerwaldorte auf Skiern. Dort half er Deutschen, die noch nicht vertrieben worden waren. Als er eine Kirche betrat, habe ihn das erste Mal niemand gegrüßt, erinnerte sich Fořt:

„In der Predigt sagte ich: ,Fragt ihr, wer ich bin? Ich bin ein Tscheche, aber vor allem ein Priester.‘ Ich sagte, Tscheche zu sein ist genauso eine Sünde, wie Deutscher zu sein – niemand kann etwas dafür. Im Übrigen komme ich aus Horažďovice. Das Städtchen haben die Leute gekannt, denn dort gab es den nächst gelegenen Viehmarkt. Es war Anfang August und schönes Wetter. Zum Schluss begann ich, in der Kirche das Lied ,Tief drin im Böhmerwald‘ zu singen. Mir fiel ein, dass ich nur die ersten Sätze kannte. Wenn sich die Besucher nicht anschließen, wird es eine Blamage sein, dachte ich. Aber sie stimmten in den Gesang ein – zuerst die Kinder, dann auch die Frauen und Männer. Und als ich die Kirche verließ, haben sie mir die Hände geküsst.“

Flucht im letzten Moment

Karel Fořt | Foto: František Štěch,  Paměť národa

Für Fořt und seine Freunde begann sich der kommunistische Geheimdienst StB zu interessieren. Der Kampf gegen die Kirche wurde nach sowjetischem Vorbild geführt. Es gab inszenierte Schauprozesse gegen Ordensmitglieder sowie hohe Würdenträger, und dann sollten auch die Geistlichen vom Lande an die Reihe kommen. Eine Postangestellte, die ein Telefongespräch der Geheimdienstler mit anhörte, warnte Fořt einen Tag vor der geplanten Verhaftung:

„Sie sagte mir, dass ich in der Nacht eingesperrt werden sollte. Allerdings so, dass es die Menschen nicht sehen würden. Ich bin dann mit zwei anderen Priestern mit dem Motorrad fortgefahren. Am Abend hatten wir schon ein Nachtlager auf der andren Seite der Grenze.“

Seelsorger und Redakteur

Karel Fořt | Foto: Archive von Karel Fořt

Genau wie andere Tschechen lebte Karel Fořt zuerst im Flüchtlingslager Valka. Er hätte ins Exil in die USA können, weil er dort einen Onkel hatte. Schließlich entschied er sich aber für Algerien, das damals noch unter französischer Verwaltung war. Fořt war fortan in der Stadt Batna tätig und hatte Freunde unter Europäern wie auch Arabern. Auf Urlaubsreisen nach München besuchte er seinen Freund Alexander Heidler, ebenfalls Priester und zudem Redakteur von Radio Free Europe. Als Fořt 1962 Algerien verließ, übernahm er von Heidler den tschechischen Seelsorgedienst in Deutschland. 1968 wurden die Grenzen durchlässiger. Es habe viele Tschechen in ganz Europa gegeben, so Karel Fořt:

„Ich hatte Bekannte aus Afrika, die für die tschechische Schuhfabrik Baťa arbeiteten. Sie reisten immer nach Kärnten, und ich besuchte sie dort. Die Alpen waren voll von Tschechen. Plötzlich sagte uns eine Frau auf Deutsch, dass es ihr so leidtue. Auf meine Nachfrage hin berichtete sie, dass die Russen die Tschechoslowakei besetzt hätten. Ich wusste sofort, dass ich nach München zurück musste. Dort standen dann auch schon viele tschechische Autos, und ich musste mich kümmern. Die Menschen überlegten, ob sie in die Tschechoslowakei zurückreisen oder lieber bleiben sollten. Viele entschieden sich gegen die Rückkehr.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Karel Fořt kümmerte sich um die Exilanten. In deutschen Großstädten errichtete er tschechische Pfarreien. Von Papst Paul VI. wurde er zum Monsignore ernannt. Nach Alexander Heidlers Tod wurde Fořt auch Redakteur von Radio Free Europe. Er gestaltete Sendungen über Religionsthemen und organisierte Übertragungen von Gottesdiensten. Karel Fořt starb 2014 im Alter von 92 Jahren in einem Priesterheim in Budweis.

Während der Gedenkveranstaltung in Horažďovice erinnerte sich einer der Teilnehmer an den Priester, mit dem er mehrmals zusammentraf:

„Wenn ich mich von ihm verabschiedete, hatte ich immer das Gefühl, dass ich während der gemeinsam verbrachten Zeit in der Sonne saß. Es war aufmunternd, mit Pater Karel zusammen zu sein und zu plaudern. Bis zum letzten Moment hatte er ein glänzendes Gedächtnis. Er hat sich auch nach Jahren alles gemerkt, worüber ich mit ihm gesprochen habe.“