Die Ausstellung „Vergessen“ in Prag – ein zartes und zerbrechliches Thema, das einen sensibleren Zugang braucht.

Ausstellung „Vergessen“

Im Österreichischen Kulturforum in Prag wird zurzeit die Ausstellung  „Zapomnění – Vergessen“ gezeigt. Mithilfe unterschiedlicher Strategien, Konzepte und Dimensionen bringen vier Künstlerinnen aus Tschechien, Deutschland und Österreich das Phänomen des Vergessens dem tschechischen Publikum näher und rufen zum Nachdenken auf.

Collagen von Lena Knilli | Foto:  Tschechisches Zentrum Wien

Vereinfachte Röntgenbilder des Gehirns eines Demenzkranken. Einige von ihnen sind grau, andere dagegen bunt oder mit Mustern. Alle auf weißes Papier geklebt, hier und da eine gezeichnete Fadenspule. So sehen die Collagen von Lena Knilli aus. Die Künstlerin aus Wien beschäftigt sich schon länger mit Collagen sowie mit der Untersuchung und Überlagerung verschiedener bildlicher Systeme. Diesmal hat sie ein „zartes und zerbrechliches Thema“ bearbeitet, wie sie selbst das Phänomen Vergessen beschreibt. Zu ihrer Inspirationsquelle für die Ausstellung „Zapomnění – Vergessen“, die seit Oktober in Prag zu sehen ist, sagt die Künstlerin im Interview für Radio Prag International:

„Es war schon eine Erfahrung aus nächster Nähe. Jetzt nicht: Ich habe den Schlüssel vergessen oder das Bügeleisen abzudrehen, sondern mehr Vergessen in nächster Nähe von Menschen in meiner Umgebung. Dann habe ich versucht, dies mit einem Bild greifbar zu machen.“

Lena Knilli | Foto:  YouTube Kanal des Künstlerhauses Wien

Knilli hat dann Jana Kasalová aus Prag und Sybille Loew aus München angesprochen und zu einer gemeinsamen Ausstellung eingeladen. Alle drei Künstlerinnen kannten sie sich schon – Knilli und Kasalová hatten bereits 2012[1] eine zusammen im Tschechischen Zentrum in Prag. Kateřina Šedá, die vierte der ausstellenden Künstlerinnen wurde von Knilli bei einer Präsentation in Brno / Brünn entdeckt. Šedás Arbeiten seien ihr „eindrücklich in Erinnerung“ geblieben, sagt die Wienerin wörtlich. Die Idee war, Knillis künstlerische Untersuchung des persönlichen Vergessens um weitere Aspekte zu ergänzen.

„Das Eine ist dieses persönliche Vergessen, das individuelle. Das Andere ist natürlich auch das Vergessen und Erinnern der Gesellschaft, das politische Vergessen und Erinnern sowie das Vergessenwerden.“

Landkarten von Jana Kasalová | Foto:  Tschechisches Fernsehen

so Knilli. Gerade das kollektive Vergessen und Erinnern ist ebenso ein Thema von Jana Kasalová. Wie schon mehrmals in ihrer künstlerischen Kariere interpretiert sie auch diesmal das Phänomen anhand von Landkarten:

„Die Landkarten in dieser Ausstellung sind symbolisch gemeint. Denn auch sie sind eine Aufzeichnung unseres Gedächtnisses. Ein menschliches Produkt. Die ewige Sehnsucht des Menschen, sich in Zeit und Raum zu definieren. Aber im Moment ihrer Veröffentlichung sind die Karten schon veraltet, sie sind eine bloße Erinnerung.“

Jana Kasalová | Foto: Tschechisches Fernsehen

In Ihrem Werk „Vlčí jámy“ – oder auf Deutsch „Wolfsgrub“ – hat Kasalová auf einer Karte des gleichnamigen Böhmerwald-Ortes alle geographischen Namen und die Umgebung geschwärzt. Vlčí jámy liegt im ehemaligen Sudetengebiet. Die ursprünglichen deutschen Namen der dortigen Gemeinden sind nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten, was Kasalová eben mit dem Schwärzen darstellt.

„Mit Absicht habe ich einen solch düsteren Namen gewählt. Wer sich ein bisschen in der Geschichte von Wolfsgrub auskennt, weiß, dass es ein negativer Ort war. Dort wurden Wölfe gefangen. Zugleich kam es dort aber auch zur Versöhnung, es ist ein neutrales Territorium. Ein Tscheche, ein Deutscher oder jemand, egal welcher Nationalität, ist hier auf Tiere getroffen. Und diese haben dann später die menschleere Gegend zurückerobert.“

Installation von Sibylle Loew | Foto:  Tschechisches Fernsehen

Kasalovas Werkzyklus „Dissolutio Imperii“, der ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird, kommentiert den Zerfall von zwei machtvollen Reichen: dem Königreich Ungarn und der Österreichisch-Ungarischen Doppel-Monarchie. Kasalova hat die Karten dieser beiden Imperien aus der Zeit des Barock zerknittert und so eine Art Relief geschaffen.

Auch eine Installation von Sibylle Loew lenkt die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich. Die Künstlerin aus München hat die Namen, das Sterbedatum und das Alter derjenigen auf weiße Schulterklappen gestickt, die im Jahr 2005 in München in Einsamkeit gestorben sind – ohne feierliche Beerdigung, ohne Familienangehörige und ohne Freunde. Diese Schilder hängen an roten Fäden mitten im Raum von der Decke und fordern uns auf, uns an diese Menschen zu erinnern.

Zeichenprojekt von Kateřina Šedá und ihrer Großmutter Jana | Foto:  Tschechisches Fernsehen

Es lohnt sich auch, in die zweite Etage des Österreichischen Kulturforums hochzugehen. Denn dort ist das gemeinsame Zeichenprojekt von Kateřina Šedá und ihrer Großmutter Jana zu sehen. Auf den ersten Blick wirken die Arbeiten wie Kinderzeichnungen. Abgebildet sind aber keine Häuser, Tiere oder misslungene Autos, sondern Zangen, Sägen, Bürsten, Schraubenschlüssel und weitere Werkzeuge in verschiedenen Größen und Ausführungen. Kateřina Šedá ist auf diese Weise in einen Dialog mit ihrer Großmutter getreten und hat diese dazu gebracht, sich an ihre Arbeit in einem Werkzeuglager zu erinnern. Denn die Großmutter war nach dem Tod ihres Mannes antriebslos geworden. Durch das Bilderzeichen hatte sie wieder ein Ziel im Leben. Gemeinsam zeichneten sie bis zum Tod der Großmutter das gesamte Sortiment des Werkzeuglagers, insgesamt 650 Verkaufsartikel.

Bevor die Ausstellung ins Prager Österreichische Kulturforum kam, wurde sie im Februar und März dieses Jahres im Künstlerhaus in Wien gezeigt.

Österreichisches Kulturforum in Prag | Foto: VitVit,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

„Die Ausstellung in Wien war sehr speziell, sie musste verschoben werden wegen Covid. Es war erstaunlich, dass es wieder möglich war, mit Maske und Regeln die Ausstellung zu besuchen. Wir hatten ein sehr positives Feedback. Die Menschen waren froh, in eine Ausstellung gehen zu können, und sie haben sich interessiert.“

In Wien haben Künstlerinnen mit Promenz, einer österreichischen Selbsthilfegruppe für Menschen mit Demenz, zusammengearbeitet und für diese Menschen eine Führung durch die Ausstellung angeboten. Nach der Führung baten die Künstlerinnen die Teilnehmer um ein Feedback.

„Sie haben uns gesagt: ,Da hallt es‘, ,Das ist schwierig‘, ,Da muss ich sitzen‘, ,Nicht so viel Information auf einmal‘. Ich glaube, meine Wahrnehmung hat sich durch diese Begegnungen verändert.“

Da es zur Zeit der Ausstellung in Wien kaum möglich war, ein Begleitprogramm für die breitere Öffentlichkeit zu veranstalten, suchte Jana Kasalová nach einer digitalen Alternative:

MemoryMap Wien

„Ich hatte einen tollen Programmierer kennengelernt, mit dem ich die App ‚MemoryMap Wien‘ zusammen entwickelt habe. Dort kann man seine Erinnerungen an Wien einfügen. Die App bekam eine sehr positive Rückmeldung. Man muss sich vorstellen, dass in Österreich damals einige Corona-Maßnahmen schon wieder gelockert worden waren, aber in Tschechien ein harter Lockdown herrschte. Und die App war eine perfekte Therapie. Ich erhielt Dutzende Dankesmails und Dankesschreiben. Es war rührend. Die Leute waren eingesperrt zu Hause, konnten nicht nach Wien fahren und haben sich in solcher Art an die Stadt erinnert. Man kann Punkte in der Karte markieren und dazu ein Text der Erinnerung schreiben. Der Text wird dann in etwa zehn Sprachen übersetzt.“

Ist eine solche App auch für die Ausstellung in Prag vorgesehen?

„Wir möchten natürlich auch eine App für Prag entwickeln, aber es mangelt uns an Zeit und Finanzen. Vielleicht klappt es dennoch.“

Lena Knilli resümiert, dass ihr die Ausstellung auch persönlich viel gebracht habe. Die Vergesslichkeit ist laut ihr kein endgültiges Urteil. Man wird vielleicht unkonventioneller, kann aber mit Unterstützung von Anderen seine Wege gehen, so Knilli.

Die Ausstellung „Vergessen-Zapomnění“ wird im Österreichischen Kulturforum am Jungmann-Platz in Prag gezeigt, und zwar noch bis 26. Januar. Die Öffnungszeiten sind montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr. An tschechischen und österreichischen Feiertagen ist geschlossen. Der Eintritt ist frei.

Autor: Václav Štěpán
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