Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereinen – die bildende Künstlerin Renata Kudlacek
Sie fertigt Siebdrucke und Fine-Art-Prints an. In ihrer Arbeit verbinden sich barockes Kunstverständnis und heutige Wissenschaft. Renata Kudlacek stammt aus Mähren, betreibt aber mittlerweile eine Galerie in Berlin. Das Tschechische Zentrum in Berlin hat letztens mit ihr gesprochen – und zwar im Rahmen einer Podcast-Reihe mit dem Titel „Contemporary Czech Art in Berlin“, die Simona Binko ins Leben gerufen hat.
Renata Kudlacek wurde im mährischen Zábřeh / Hohenstadt an der March geboren. Als Künstlerin arbeitet sie Fotografie und Druckverfahren. Ihre Arbeit erforscht die uralte Geschichte unserer Vertreibung aus dem Garten Eden im Licht der wissenschaftlichen Erkenntnisse, durch welche wir heute das Leben, den Tod und den Traum von der Unsterblichkeit verstehen. Sie interessiert sich für den ewigen Kampf zwischen Ethik und Wissenschaft, zwischen Glauben und Fakten sowie alten Standards und dem neuen Unbekannten. Renata Kudlacek hat in London am Royal College of Art studiert. Seit 2017 gehörte sie zur „Art and Ethics Research Group“ an der Universität von Edinburgh. Ihre Arbeiten wurden in ganz Europa ausgestellt, sie arbeitet aktiv für verschiedene Kunst- und Bildungsinitiativen, einschließlich Projektmanagement und Kuratorentätigkeit. Kudlacek ist ebenso Mitbegründerin und Direktorin der BBA Gallery in Berlin, in der im Oktober ihre Ausstellung „Quest to Bloom“ zu sehen war.
Um unseren Hörern einen ersten Eindruck der Künstler*innen zu vermitteln, frage ich immer dieselbe Frage: Wie sieht Dein Studio aus, Dein Ort, an dem Du arbeitest und kreativ bist?
„Das ist eine spannende Frage, weil ich keinen solchen Ort habe. Das Ganze beginnt mit Fotografien, die ich immer unterwegs mache, und Zeichnungen. Die werden erst einmal eingescannt und am Computer bearbeitet. Ich habe ein Atelier, sozusagen für die Drecksarbeit. Aber wenn dann alles zusammenkommt, dann geschieht dies am Computer. Und das kann man genauso zu Hause machen wie hier in unserem Büro oder eben im Atelier. Daneben ist der Hauptarbeitsplatz das Printstudio, also die Druckwerkstatt im Kunstquartier Bethanien. Man mietet sich dort ein und hat den ganzen Tag Zeit. Dort mache ich meine klassischen Siebdrucke, es ist daher eigentlich mein Hauptarbeitsplatz und hat eine ganz tolle Atmosphäre. Professionelle Künstler arbeiten dort, und man kann sich sehr gut konzentrieren. Außerdem gibt es einen schönen Austausch zwischen den Künstlern.“
Heute möchte ich mit Dir über die aktuelle Ausstellung „Quest to Bloom“ sprechen. Wenn man hier den Raum betritt, dann muss man gleich an die alten Vanitas-Stillleben denken. Man sieht auch die klassische Symbolik mit Fliegen und kleinen Lebewesen auf den Blüten. Kannst Du uns etwas über die Ausstellung erzählen? Und wie ist der Bezug zu aktuellen Themen?
„Beim Titel – ‚Quest to Bloom‘ – habe ich mich fürs Englische entschieden, weil dies mehr Aussage hat. Für mich ist es das Streben nach Blüte, nach Überleben, nach Unsterblichkeit. Dies verbindet sich für mich zu dem Kampf zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Zwischen Gegenwart und Zukunft. Aber auch zwischen Religion und Wissenschaft sowie dem Glauben und der Wissenschaft. Dabei geht es nicht um den Glauben selbst, sondern auch um die Philosophie und Mythologien. Natürlich habe ich immer auch zurückgeschaut, weil ich Kunst und Kunstgeschichte studiert habe. Als ich mit meiner Forschung an der Universität in Edinburgh begann, war gerade der Rückblick wichtig. Beschäftigt habe ich mich mit dem Altern, der Sterblichkeit und wie mit diesen Themen in der Wissenschaft umgegangen wird. Denn wir leben ja immer länger und wollen auch immer länger leben. Wenn man zurückblickt, war zum Beispiel in der Renaissance der Tondo, also das Rundgemälde, ein Symbol für das ewige Leben. Die Tondi waren zunächst Teller für die Nachgeburt der Frauen und wurden dann als Memento mori aufgehängt. Und erst später wurden sie auch bemalt. Für mich sind sie zum einen ein Symbol für das ewige Leben und die Vergangenheit und zum anderen für die Wissenschaft, die Petri-Schale. Und so versuche ich immer wieder, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzubringen.“
Diese Forschungsarbeiten in Edinburgh scheinen ein wichtiger Moment für Dich gewesen zu sein. Mit wem hast Du da zusammengearbeitet?
„Wir waren eine Gruppe von Wissenschaftlern und Künstlern, zu der ich eingeladen wurde. Es ging um aktuelle Themen aus der Medizin, aus der Philosophie und der Gesellschaftskunde. Mein Aspekt war die wissenschaftliche Betrachtung des Alterns unserer Gesellschaft und welchen Einfluss das Altern auf unsere Gesellschaft hat. Wir haben in der Gruppe über Jahre in unterschiedlicher Weise zusammengearbeitet. Mir ging es auch darum herauszufinden, wie weit die Wissenschaft ist, um zum Beispiel das Leben zu verlängern. So habe ich einen wissenschaftlichen Einblick bekommen, was auch meine Arbeiten bereichert hat. Ich bin immer tiefer und tiefer hineingegangen und habe dadurch auch herausfinden können, was Wissenschaft heutzutage alles schon entwickelt hat. So tief wäre ich alleine gar nicht gekommen.“
Gerne möchte ich auch etwas über die Galerie erfahren, die Du hier in Berlin mitbegründet hast. Worauf spezialisiert sie sich, und wie ist die Idee entstanden?
„Ich komme aus London. Dort habe ich mehrere Jahre lang studiert und gearbeitet. Wir haben dort bereits selbst große Ausstellungen organisiert. Dies war also immer ein Teil meiner Karriere. Wir sind dann unter unterschiedlichen Umständen in Berlin gelandet. Und natürlich bin ich auch hier wieder mit Künstlern zusammengekommen. Zuerst dachten wir daran, einen ‚Artist Showroom‘ zu gestalten. Aus diesem heraus hat sich irgendwann die Idee einer klassischen, kommerziellen Galerie entwickelt, in der auch ernsthaft gearbeitet wird. Wir waren zu zweit, meine Partnerin Nele Ouwens und ich. Später kam noch Vishal Shah dazu. In England besteht mehr Freiheit für Künstler. Es gibt mehrere Möglichkeiten auszustellen oder sich zusammenzuschließen. Es ist eine ganz andere Community. Als ich hier nach Berlin kam, dachte ich: Wir müssen irgendetwas machen. Es geht dabei nicht um junge Künstler, sondern um Talente, die nicht entdeckt worden sind – egal welchen Alters und mit welchem Hintergrund. Das ist anders als typischerweise in Deutschland. Da geht es darum, wer unter wem studiert hat. Wir haben Künstler in jeder Altersstufe, internationale Künstler. Ich wollte nicht einen ‚Berlin-Pot‘ entstehen lassen. Für mich ist der internationale Austausch sehr wichtig.“
Wie ist eigentlich Deine Beziehung zu Tschechien? Kannst Du kurz Deine Geschichte erzählen, wieso es dazu kam, dass du zwar dort geboren wurdest, aber im Ausland lebst?
„Es ist eine intensive und wichtige Geschichte für mich. Mein Vater war Tscheche, meine Mutter Deutsche. Und vor dem Zweiten Weltkrieg lebten beide Familien in Mähren zusammen. Alle haben beide Sprachen gesprochen, also Deutsch und Tschechisch. Das war völlig normal. Später nach dem Krieg gab es diese Auseinandersetzung, in diese Zeit wurde ich hineingeboren. Meine Schwester floh dann nach Deutschland, sie ist 20 Jahre älter als ich. Ich habe sie in den ersten Jahren gar nicht mitbekommen, weil die kommunistische Tschechoslowakei ihr damals nicht erlaubte, uns zu besuchen. Irgendwann sind wir dann nach Deutschland ausgewandert. Aber mit 18 oder 20 Jahren beschloss ich, dass ich zurück nach Prag muss, weil ich dort nach wie vor meinen Cousin und einen Teil meiner Familie habe. Ich wollte ‚back to the roots‘ und unbedingt Prag nochmal kennenlernen. Eine Weile habe ich an der Karlsuniversität studiert und sehr viele Kontakte geknüpft. Aber irgendwann hat es mich dann wieder hinausgetrieben, und ich bin in London gelandet. Dort habe ich dann aber mit dem Tschechischen Zentrum zusammengearbeitet und dabei etwa meine Ausstellung ‚Lost in translation‘ gezeigt. In dieser ging es um das Sprachliche, um die Tschechen, die in England landen, und dass vieles durch die Sprache und durch die Kultur missverstanden wird. Da hatte ich weiterhin viele Kontakte.“
Nimmst Du hier in Berlin auch die Künstler*innen mit tschechischem Hintergrund wahr?
„Ja, total. Wir haben auch hier in der Galerie tschechische Künstler ausgestellt. Dafür gab es einen Austausch mit den Galerien in Prag. Ich finde das immer spannend. Meine Familie freut sich jedes Mal, wenn es einen Austausch gibt, vor allem meine Schwester. Weil sie 20 Jahre älter ist, sind ihre Wurzeln in Tschechien auch stärker. Leider habe ich nicht so viel Zeit, mich dort hineinzuversetzen und jeden tschechischen Künstler, den ich kennenlerne, auch hier auszustellen.“
Dazu eine abschließende Frage: Wie stark sind Deiner Meinung nach Künstler aus Tschechien oder mit tschechischen Wurzeln in Deutschlandvertreten?
„Das ist für mich schwierig zu beurteilen. In London war ich stärker in die Szene integriert. In Berlin habe ich das Gefühl, dass alles generell eher versteckt ist. Selbst habe ich aus zeitlichen Gründen nicht so viele Kontakte, wie ich sie gern hätte. Vielleicht kommen aber ab jetzt auch mehr tschechische Künstler zu uns, wir sind offen.“
„Contemporary Czech Art in Berlin“ ist eine Podcast-Reihe des Tschechischen Zentrums Berlin zur zeitgenössischen Kunst in Zeiten von Corona. In Interviews werden dabei Künstlerinnen und Künstler mit Wurzeln in Tschechien und/oder der Slowakei vorgestellt, die schon länger oder erst kurz in Berlin leben. Radio Prag International bringt in Kooperation mit dem Tschechischen Zentrum Berlin einige der Interviews.
https://berlin.czechcentres.cz/de/blog/2021/10/3x3-contemporary-czech-art-in-berlin-renata-kudlacek
Verbunden
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Contemporary Czech Art in Berlin
Es gibt zahlreiche Künstlerinnen und Künstler mit Wurzeln in Tschechien und/oder der Slowakei, die in Berlin leben.