Wie Ettlingen im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild des böhmischen Schlackenwerth umgebaut wurde
Die badische Markgräfin Franziska Sibylla Augusta hat Ettlingen geprägt. Vor 300 Jahre ließ sie die Stadt nahe Karlsruhe nach dem Vorbild von Ostrov nad Ohří / Schlackenwerth in Nordböhmen umbauen.
Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts gab es eine enge Verbindung zwischen Böhmen und der Markgrafschaft Baden-Baden. Der Schlüssel dazu ist Franziska Sibylla Augusta von Sachsen-Lauenburg, die 20 Jahre lang Regentin im Badischen war.
Ulrich Arnswald lehrt an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Eigentlich Philosoph, hat er sich mit der historischen Verbindung seiner Heimatstadt Ettlingen und Ostrov nad Ohří, auf Deutsch Schlackenwerth, in Nordböhmen auseinandergesetzt. Im Interview für Radio Prag International sagt er:
„Sibylla Augusta wurde zwar in Ratzeburg geboren, was damals zum sachsen-lauenburgischen Territorium gehörte, verbrachte aber ihre gesamte Jugend in Ostrov. Und in Böhmen heiratete sie auch den sogenannten Türkenlouis, den badischen Markgraf Ludwig Wilhelm. Das lag daran, dass zu dem Zeitpunkt als Folge des pfälzischen Erbfolgekriegs das Schloss in Baden-Baden zerstört war. In der Folge verbrachte man die ersten Ehejahre in Ostrov und – das ist eine Besonderheit der europäischen Geschichte – regierte von Böhmen aus die badische Markgrafschaft, bis das neue Residenzschloss in Rastatt fertiggestellt war.“
Mit der Hochzeit wurde Schlackenwerth zu einem Lehen der Markgrafen von Baden. Es blieb dies fast einhundert Jahre lang, auch weit über den Tod von Markgraf Ludwig Wilhelm hinaus. Schon 1707 starb nämlich der „Türkenlouis“ an einer Kriegsverletzung, seinen Spitznamen hatte er sich übrigens als siegreicher Feldherr in den Türkenkriegen gemacht. Da die gemeinsamen Kinder noch zu jung waren, übernahm Witwe Sibylla Augusta die Regentschaft. Erst 1727 übergab sie die Geschäfte an ihren Sohn Ludwig Georg Simpert.
Während ihrer Herrschaftszeit erwies sich die Markgräfin laut den Historikern als geschickt in finanziellen Dingen, und sie startete auch eine rege Bautätigkeit. Dabei wurde unter anderem die Stadt Ettlingen nach ihren Wünschen umgestaltet. Gerade diese Initiative hat Ulrich Arnswald in einem Beitrag für den tschechisch-deutschen Sammelband „Ostrov in Europa, Europa in Ostrov“ untersucht, das Buch ist dieses Jahr erschienen. Arnswald vermutet, dass Sibylla Augusta am liebsten im Alter nach Schlackenwerth zurückgekehrt wäre, doch aus Gründen der Staatsraison im Badischen blieb und daher dort einen Ort für ihre Altersresidenz suchte…
„Als Mutter des neuen Markgrafen musste sie immer noch staatspolitische Pflichten erfüllen und regelmäßig an Empfängen in Rastatt teilnehmen. Dadurch war der Radius, der maximal möglich war, praktisch eingegrenzt. Sie musste einen gewissen Abstand haben zur Residenzstadt, sodass der Sohn als Markgraf auch im eigenen Glanz erblühen konnte und sie ihm nicht hineinregierte. Gleichzeitig musste sie so nah an der Residenzstadt sein, dass sie jederzeit für protokollarische Empfänge und ähnliche Verpflichtungen anreisen konnte“, so der Wissenschaftler.
Dieser Radius habe 30 bis 50 Kilometer betragen. Letztlich entschied sich Sibylla Augusta für Ettlingen, obwohl laut Arnswald auch noch weitere Schlösser in der Markgrafschaft in Frage gekommen wären:
„Ettlingen war schon seit dem 15. Jahrhundert offiziell der Witwensitz für die Markgrafschaft Baden, wurde aber bis zum Zeitpunkt von Sibylla Augusta nie dafür genutzt. Sie war also die erste, die ihren Alterssitz dorthin verlegte. Das dortige Renaissanceschloss war zwar hübsch anzusehen, entsprach aber nicht mehr dem Komfort der Zeit.“
Deswegen ließ die ehemalige Markgräfin die Residenz umbauen.
Böhmischer Barock in Baden
Mit der Leitung der Arbeiten beauftragte Sibylla Augusta einen Fachmann aus ihrer böhmischen Heimat: Johann Michael Ludwig Rohrer. Er stammte aus Tisová / Tissau, südwestlich von Karlovy Vary / Karlsbald. Schon 1697 siedelte er nach Rastatt über und wurde Hofbaumeister der Markgräfin. Unter anderem entwarf er Schloss Favorite in Förch bei Rastatt. Ab 1727 war er dann für den Umbau in Ettlingen zuständig. Dabei habe Rohrer Maß genommen am Schloss in Schlackenwerth, sagt Ulrich Arnswald und begründet dies:
„Erstens liegt das Schlossareal ähnlich an der Stadt an wie in Ostrov, es ist also direkt übergehend. Das ist zum Beispiel in Rastatt nicht der Fall, dort gab es eine große Distanz zwischen Stadt und Schloss. Zweitens ist die Gestaltung der Schlossgärten ähnlich. Genauer gesagt, lehnt sich der Ettlinger Schlossgarten an den Ostrover an. Die Innenausstattung in Ettlingen hat wiederum starke Bezüge zu Böhmen. Das ist schon deswegen erstaunlich, weil auch Frankreich eine Option gewesen wäre – dabei von der Qualität her nicht unbedingt schlechter und nur wenige Kilometer von Ettlingen entfernt. Dennoch hat Sibylla Augusta alles aus Böhmen herschaffen lassen. Dies zeigt, dass sie das Schloss nach ihrem Geschmack, den sie aus Böhmen kannte, einrichten wollte.“
Als besonders starkes Argument für seine These hält der Wissenschaftler die Neugestaltung der Fassade des Ettlinger Schlosses.
„Das Renaissanceschloss wurde in ein Barockschloss umgebaut. Aber nicht, wie es zu dieser Zeit in Baden üblich war, im Stil des französischen Spätbarock – der ähnlich wie Versailles schon klassizistische Züge hat und den ihr Mann und sie umgesetzt haben beim Residenzschloss Rastatt, und wie man es auch in unmittelbarer Umgebung in Bruchsal und Karlsruhe vorfindet. Stattdessen griff Sibylla Augusta zurück auf das Böhmische Barock, was damals gut und gerne 30 oder 40 Jahre hinterherhinkte und eigentlich aus der Zeit gefallen war. Und dieses Böhmische Barock war der Baustil ihrer Jugend – also sozusagen das, was sie aus Ostrov kannte. Das kann aber nicht zufällig entstanden, sondern muss mit Absicht geschehen sein“, findet Arnswald.
Des Weiteren finanzierte Sibylla Augusta den Wiederaufbau der Stiftskirche St. Martin in Ettlingen aus eigenen Mitteln – und zwar ebenfalls im Stil des Böhmischen Barock. Zudem verfügte die ehemalige Markgräfin in ihrem Testament, dass die Schlosskapelle in der badischen Stadt von Franziskanern geleitet werden solle.
„Damit hat sie den Einfluss der Jesuiten, die bis dahin der einzige Glaubensorden in Ettlingen waren, massiv zurückgedrängt. Und das stand wiederum in Einklang mit der Politik, die schon ihr Großvater und ihre Eltern verfolgt haben: dass kein Glaubensorden zu dominant werden solle“, schildert der Experte.
Arnswald macht zudem darauf aufmerksam, dass der Ettlinger Hof sehr stark von Menschen aus Böhmen geprägt gewesen sei. Sibylla Augusta habe diese zunächst von Schlackenwerth nach Rastatt und erst dann an ihren Alterssitz geholt:
„An der Spitze sicherlich der Hofbaumeister Johann Michael Ludwig Rohrer, der auch bekannt ist für das Böhmische Barock, und der Hofkapellmeister Johann Caspar Ferdinand Fischer, ein sehr bekannter Komponist, von dem leider viele Werke verloren gegangen sind. Allerdings kamen auch weitere Mitglieder des Hofes aus Böhmen, bis hin zu den Kammerzofen. Man kann wirklich sagen, dass die Kultur am Ettlinger Hof ganz auf die böhmische Heimat von Sibylla Augusta ausgerichtet war. Das hätte sich vermutlich noch stärker niedergeschlagen, wenn sie nicht wegen einer Krebserkrankung in einem auch schon für die damalige Zeit recht frühen Alter von 58 Jahren gestorben wäre. Man hätte gut und gerne mit zehn weiteren Lebensjahren rechnen dürfen. Und es gibt auch Pläne, dass sie die Stadt dann weiter umgebaut hätte.“
All das hat den Wissenschaftler zu folgender These gebracht:
„Bedingt dadurch, dass Sibylla Augusta nicht in ihre Stadt der Jugend, ihre Heimatstadt Ostrov zurückkehren durfte, hat sie offenkundig versucht, Ettlingen möglichst stark an Ostrov zu modellieren.“
Allerdings bestehen keine Schriftquellen, die diesen Bezug zu Schlackenwerth direkt beschreiben. Doch die Haushaltsbücher würden beispielsweise offenlegen, dass relativ viele Zahlungen des Hofs an Menschen aus Böhmen gegangen seien, so Arnswald.
Ein weiterer erstaunlicher Bezug ist der Prager Brückenheilige Nepomuk. Ausgangspunkt war auch da Sibylla Augusta. Sie setzte sich intensiv dafür ein, dass Nepomuk vom Papst heiliggesprochen wurde, wozu es 1729 kam. Und sie weihte die Schlosskapelle in Ettlingen eben gerade diesem böhmischen Heiligen. Ausgehend davon griff auch auf die Markgrafschaft Baden-Baden der Nepomuk-Kult aus Böhmen über…
„Ein Kollege hat aktuell nachgezeichnet, wie der Nepomuk-Kult durch die gesamte Markgrafschaft Baden gegangen ist – also nicht nur an einzelnen Orten wie Ettlingen und Rastatt. Das war bisher so noch nicht bekannt und wird jetzt nach und nach der Öffentlichkeit in Form von Büchern und Artikeln vorgestellt werden“, so Ulrich Arnswald.
Wunsch nach Städtepartnerschaft
Der Erkenntnisgewinn über Ettlingens historische Bezüge zu Böhmen weitet sich also immer weiter aus. Am Beginn dieser neuen Entwicklung standen eine private Wandertour von Ulrich Arnswald mit einem Freund und das große Interesse vonseiten der Stadt Ostrov an dem Thema. So schildert der Hochschullehrer, dass er mit dem Freund letztlich einen ganzen Tag an dem Jugendort von Sibylla Augusta verbracht und man sich unter anderem die ausgedehnte Schlossanlage angeschaut habe. Und weiter:
„Der Zufall hat ergeben, dass wir dann auch ins Gespräch mit der persönlichen Referentin des Bürgermeisters von Ostrov gekommen sind. Sie hat uns von den historischen Symposien berichtet, die dort gemacht werden, und dass man seit langer Zeit Kontakt nach Ettlingen suche. Irgendwann hat mich die Referentin über die Monate, in denen wir uns regelmäßig geschrieben haben, davon überzeugt, mich des Themas mal zu widmen. Sie hatte einfach keinen anderen Ansprechpartner. Und als jemand, der im Studiengang ‚Europäische Kultur und Ideengeschichte‘ gelehrt hat, wenn ich auch vom Hintergrund her Philosoph bin, liegt es mir sozusagen nahe genug, mich der Geschichte widmen zu können. Nicht zuletzt habe ich auch schon für Geschichtszeitschriften geschrieben und evaluiert, mir war dies also nicht fremd. So bin ich dann schrittweise hineingeraten in den Versuch darzustellen, was die Verbindung zwischen Ostrov und Ettlingen ist.“
Letztlich entstand der Sammelband-Beitrag mit dem Titel „Ettlingen als badisches Schlackenwerth. Der sachsen-lauenburgische Stammsitz als Modell des Witwensitzes der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden“.
Mittlerweile zeichnet sich aus den Erkenntnissen sogar eine politische Dimension ab. Wie Ulrich Arnswald in einer ergänzenden E-Mail an Radio Prag International schrieb, hat nun der ehemalige Ettlinger Oberbürgermeister Erwin Vetter (CDU) eine Städtepartnerschaft mit Ostrov angeregt. Der jetzige OB, Johannes Arnold (parteilos), sei dazu grundsätzlich bereit, so der Text der Mail, wünsche sich dafür aber eine gewisse Basis an Beziehungen. Deswegen strebe aktuell die katholische Gemeinde in Ettlingen eine Partnerschaft mit der katholischen Gemeinde in Ostrov an. Es sei wohl nicht oft so, dass historische Recherchen zur Entstehung einer Partnerschaft zwischen zwei Städten führten, schließt Ulrich Arnswald.