Weihnachten unserer Urgroßmütter auf Schloss Chvaly
Das Schloss Chvaly befindet sich am Stadtrand von Prag. Von Černý Most, der Metro-Endstation der Linie B, fährt man noch eine Haltestelle mit dem Bus. Auf der rechten Seite von ihr ist der Turm der Heiligen-Ludmila-Kirche zu sehen. Gleich dahinter steht das Schloss von Chvaly.
Die Gemeinde Chvaly ist mittlerweile ein Teil von Prag. Sie liegt im 20. Stadtbezirk und gehört zum Stadtteil Horní Počernice. Der Ort Chvaly wurde zum ersten Male im 11. Jahrhundert erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit dem Kollegiatkapitel von Vyšehrad, erzählt die Leiterin der Schlossverwaltung, Růžena Beránková.
„Die erste schriftliche Erwähnung der Festung von Chvaly stammt vom Anfang des 15. Jahrhunderts. Sie war im Besitz reicher Prager Kaufmanns- und Adelsfamilien. Etwa 200 Jahre lang wechselte die Festung verhältnismäßig oft den Besitzer. 1652 ging die Residenz an die Jesuiten vom Prager St.-Clemens-Kolleg über. Diese errichteten in Chvaly ein Bildungszentrum und sorgten für einen wirtschaftlichen Aufschwung der Gemeinde. Die Jesuiten ließen das Gebäude in ein Schloss umbauen. Wenn man sich heute das Schloss genau anschaut, erkennt man einige Bauelemente aus der Barock- und Renaissancezeit. Die Jesuiten verwalteten das Schloss bis zur Auflösung des Ordens im Jahre 1773. Danach wurden der Gutshof sowie das Schloss an den k. u. k.-Studienfonds übertragen. Diesem gehörte es bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.“
Deckenmalereien über dem Orchestrion
Nach 1945 begann der Kastellanin zufolge eine traurige Zeitetappe, in der das gesamte Areal zerfiel. Es war damals im Besitz des Staates. Das Schloss diente als Unterkunft für Saisonarbeiter. Im Erdgeschoss und im Schlosshof wurden landwirtschaftliche Maschinen gelagert. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts gelang es, die Residenz gründlich zu renovieren und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jetzt sei das Schloss das ganze Jahr über geöffnet, merkt Růžena Beránková beim Rundgang in einem der historischen Säle an:
„In der obersten Etage befinden sich einige Salons. Diese nutzt die Gemeinde zu feierlichen Anlässen. In diesem Saal sind alle Deckenmalereien gut erhalten. In den anderen Räumlichkeiten waren die Malereien stark beschädigt und wurden daher neu übermalt. Von den Originalmöbeln ist nichts mehr erhalten. Die Säle sind deswegen mit Repliken historischer Möbel oder teilweise mit Antiquitäten ausgestattet, die jedoch nicht aus Chvaly stammen. In der Ecke dieses Salons steht ein Orchestrion aus der Epoche des Jugendstils.“
Der Musikautomat wurde von einem Privatsammler geliehen, der das Orchestrion geerbt hat. Derartige mechanische Musikinstrumente standen der Kastellanin zufolge früher in Gaststätten, die sich Musikanten nicht leisten konnten. Die Expertin wirft eine Münze in den Automaten, und dieser fängt an zu spielen.
Neben den Salons befinden sich in der Residenz einige Ausstellungssäle. Während der Führung macht die Schlossverwalterin im Erdgeschoss auf eine tiefe Grube aufmerksam, die hinter einem Gitter versteckt ist.
„Dort befand sich keine Gefängniszelle, wie man annehmen würde, sondern es war ein mittelalterlicher Kühlschrank, in dem Fleisch gelagert wurde.“
Was fanden unsere Urgroßeltern in ihrer Kindheit unter dem Weihnachtsbaum? Nach der Antwort auf diese Frage sucht eine Ausstellung, die vor kurzem in Chvaly eröffnet wurde. Růžena Beránková dazu:
„Hier wird gezeigt, was sich die Kinder zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem Christbaum wünschten. Für Jungen war Spielzeug mit kleinen Fahrzeugen und anderen Verkehrselementen attraktiv. Mädchen bevorzugten Puppen und das notwendige Zubehör. Zu sehen sind hier alte Puppen mit einem bewundernswerten Accessoire.“
Puppe mit Reisekoffer
Fast zur üblichen Ausstattung eines Haushalts gehörte vor etwa 100 Jahren ein Puppentheater. Die Größe des Theaters und die Zahl der Marionetten hingen von den finanziellen Möglichkeiten der Familie ab. Die Exponate sind aus dem Spielzeugmuseum in Rychnov nad Kněžnou / Reichenau an der Knieschna geliehen worden.
„Wir bemühen uns, jedes Jahr ein anderes Thema für die Weihnachtsausstellung zu finden. Diesmal fiel uns ein, den Besuchern zu zeigen, was sich Kinder Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Christbaum wünschten. Unsere kleinen Ausstellungsbesucher sind überrascht, wie das Spielzeug damals bis ins Detail durchdacht und gestaltet war. Begeistert sind die Mädchen beispielsweise von einer großen Puppe mit einem Reisekoffer, in dem sich unglaublich viele Sachen befinden. Im Koffer war unter anderem auch eine ganze Sammlung von Handschuhen. Das Spielzeug dokumentiert das Weihnachtsfest in einer wohlhabenden Familie.“
Neben Spielzeug bekamen die Kinder seinerzeit auch Sachen des Alltagsbedarfs geschenkt:
„Hier wird ein damaliger Schulranzen gezeigt. Für die Besucher ist der Vergleich mit den heutigen modernen Schulranzen interessant. Unter den Weihnachtsgeschenken fehlten auch früher nicht verschiedene Sportgeräte. Gezeigt werden hier ein alter Rugbyball, ein Diabolo – also ein Jongliergerät, und ein Tennisschläger.“
In einem weiteren Teil der Schau ist zu sehen, was die Eltern vor 100 Jahren unter dem Weihnachtsbaum fanden.
„Damals war es üblich, dass Frauen viel gestickt und gehäkelt haben. Ein typisches Geschenk waren Utensilien für Schneiderinnen. Die Ausstellung haben wir durch Repliken historischer Weihnachtskarten ergänzt. Im letzten Saal haben wir eine kreative Werkstatt eingerichtet. Kinder können dort selbst eine Weihnachtskarte basteln und diese dann direkt am Empfang des Schlosses abschicken.“
Die Besucher können in der Ausstellung zudem in einem alten Kochbuch blättern. Eines der historischen Weihnachtsrezepte dürfen Interessenten sogar mit nach Hause nehmen. Die Kochrezepte sind in der Exposition ausgelegt.
Schneeflocken von Jan Kudláček
Zarte und etwas verträumte Bilder sind in einer weiteren Ausstellung in Chvaly zu sehen. Diese trägt den Titel „Die Weihnachtszeit von Jan Kudláček“. Sie bietet einen Ausschnitt aus dem Werk des Malers, Graphikers und renommierten Kinderbuchillustrators Jan Kudláček (1928-2017).
„Kudláček schuf seine Werke fast zur selben Zeit wie Jiří Trnka. Wenn man sich Kudláčeks Zeichnungen anschaut, kommt man zu dem Schluss, dass sie mit Trnkas Poetik viel gemeinsam haben. Meistens sind es verträumte Bilder aus einer Märchenwelt. Zu sehen sind hier auch Gemälde von verschneiten Landschaften und mit Geschichten aus Betlehem. Auf vielen Illustrationen schweben zierliche Schneeflocken. Jan Kudláček traf gern mit Kindern zusammen und hörte ihnen zu.“
Der Künstler hob immer hervor, dass Diskussionen mit Kindern ihn zu neuen Ideen inspirierten, bemerkt die Kastellanin. Sie schildert, was ein siebenjähriger Junge nach dem Treffen mit dem Illustrator einst sagte:
„Er beschrieb Kudláčeks Zeichnungen mit den Worten: ,Ihre Bilder sehen so aus, als ob es regnen oder schneien würde, aber nur leise.‘ Ich glaube, dass der Junge damals sehr treffend beschrieb, was der Künstler mit seinen Gemälden mitteilen wollte.“
Schloss Chvaly wird oft von Familien mit Kindern besucht, erzählt die Schlossverwalterin.
„Nach Chvaly kommen Besucher aus ganz Tschechien. Es kommt darauf an, was für Ausstellungen wir gerade zeigen. Als wir beispielsweise Expositionen mit historischen Puppen und Marionetten durchführten, haben sich auch ausländische Delegationen gemeldet, darunter aus Japan. Denn für die Japaner sind Puppen ein hochinteressantes Thema.“
Das Schloss Chvaly ist das ganze Jahr über täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.