Kulturelle Brücken in Europa. Adel aus Böhmen und Mähren nach 1945
Viele Adelige mussten nach dem Zweiten Weltkrieg die Tschechoslowakei verlassen. Eine große Anzahl von ihnen hielt aber den Kontakt mit der alten Heimat aufrecht und pflegte das Bewusstsein der gemeinsamen kulturellen Wurzeln. Die Ausstellung „Kulturelle Brücken in Europa“ beleuchtet das Engagement der Persönlichkeiten, die Brücken über politische, nationale und gesellschaftliche Grenzen hinweg schlugen. Kuratorin Zuzana Jürgens im Gespräch.
Die Ausstellung heißt „Kulturelle Brücken in Europa. Der böhmische Adel nach 1945“. Ist die Rolle der adeligen Brückenbauer zwischen Böhmen, Mähren und dem westlichen Europa Ihre Hauptidee?
„Ja, so ist es. Wobei ich sagen muss, dass der Titel eigentlich das letzte war, was wir fertig hatten. Ganz am Anfang stand der 100. Geburtstag von Johanna von Herzogenberg, der früheren Geschäftsführerin des Adalbert-Stifter-Vereins. Dann wurde uns klar: Es gibt viel mehr Adelige, die trotz des Eisernen Vorhangs ähnlich wie sie agiert haben und mit Tschechien in Kontakt geblieben sind. Und ganz am Schluss kam der Name.“
Helfer, Unterstützer und Brückenbauer
Die Adelsfamilien haben in zwei Wellen die Tschechoslowakei verlassen – die deutschen gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, die tschechischen nach 1948. Widmet sich die Ausstellung beiden Gruppen? Stellen Sie adelige Familien oder die einzelnen Persönlichkeiten vor?
„Das Schicksal der Adeligen war identisch mit dem der Bevölkerung der Tschechoslowakei. Einige wurden vertrieben, einige gingen nach dem kommunistischen Putsch ins Exil. Wir machen hier keine Unterschiede. Das einzige Kriterium war für uns, dass sie in Kontakt blieben, helfen wollten und das gemeinsame kulturelle Erbe wachhielten. Wir hatten am Anfang relativ viele Familien zur Verfügung, haben aber letztlich einzelne Persönlichkeiten ausgesucht, denn wir meinen, dass sich anhand der konkreten Beispiele gut zeigen lässt, was genau wir unter diesen Helfern, Unterstützern und Brückenbauern verstehen.“
War diese Tätigkeit im Exil eine Initiative von Einzelpersonen, oder gab es ein gemeinsames Engagement?
„Es waren Einzelinitiativen, wobei die einzelnen Personen natürlich auch in Verbindung standen und voneinander wussten. Ein verbindendes Element war auch der Adalbert-Stifter-Verein. Johanna von Herzogenberg war über 30 Jahre hinweg seine Geschäftsführerin, aber auch weitere Persönlichkeiten, die wir hier vorstellen, waren seine Vorstandsvorsitzenden, nämlich Ferdinand Kinsky, Franz Anton Thun und Altgraf Salm. Aber ich würde sagen, es war eine lose Verbindung. Ansonsten waren die Tätigkeiten und Tätigkeitsfelder eigentlich recht unterschiedlich und hingen auch damit zusammen, wo genau die jeweilige Person gelebt hat. Es war nicht nur München und nicht nur Bayern.“
Können Sie einige konkrete Beispiele nennen, einige Persönlichkeiten und Familien, denen Sie die Aufmerksamkeit gewidmet haben?
„Über Johanna von Herzogenberg habe ich bereits gesprochen. Sie ist auch eine der bekanntesten, weil sie in ihrer Funktion sichtbar und mit ihren Ausstellungen zu Johann von Nepomuk, Karl IV. und Kunstausstellungen sehr präsent war. Dann haben wir Karel Schwarzenberg und seinen Onkel Franz Schwarzenberg als zwei Persönlichkeiten, die eher im Bereich Politik und Menschenrechte tätig waren. Karel Schwarzenberg hat zudem das Unabhängige Dokumentationszentrum für tschechische Literatur mitbegründet und unterstützt. Es war in seinem Schloss in Scheinfeld untergebracht. Richard Belcredi war ein Journalist, arbeitete bei Radio Freies Europa und hat geholfen, Bücher und Waren wie Kopiergeräte über die Grenze zu schmuggeln. Gleichzeitig war er zusammen mit Abt Anastáz Opasek im Opus Bonum tätig, einer Plattform für das tschechische Exil, das Leute verschiedener Meinungen vereinte.
Herzogenberg, Schwarzenberg, Lobkowitz, Kinsky, Belcredi, Thun, Waldstein-Wartenberg
Für mich persönlich gab es zwei Entdeckungen. Die eine war die Familie Thun aus Děčín / Tetschen, und zwar weil sich ihr Engagement nicht auf eine einzelne Person beschränkt hat. Dort haben sich dieses Interesse und dieser Einsatz bis in die heutige Generation erhalten. Und die andere Entdeckung ist Daisy Waldstein Wartenberg, geboren von Tetzeli. Sie stammt aus Rokytnice / Roketnitz in Mähren und lebte in Wien. Dort hat sie, eingebunden in die Struktur des Malteserordens, unglaubliche Hilfeleistungen hervorgebracht. Sie half zum Beispiel, Medikamente über die Grenze zu bringen, aber auch Kleidung und Sachen für bedürftige Leute in der Tschechoslowakei. Sie unterstützte zudem auch Emigranten, die nach dem Prager Frühling nach Wien kamen. Nach der Wende hörte sie nicht auf und hat in Tschechien den Malteser Hilfsdienst mitaufgebaut.“
Wie hat sich die Lage mit der Öffnung der Grenze nach der Wende von 1989 verändert? Sind die Initiativen intensiver geworden?
„Die Lage hat sich komplett verändert, weil eben dieses Hindernis nicht mehr da war. Das Engagement hat sich vielfach intensiviert. Ich habe noch nicht von Pater Angelus Waldstein gesprochen, er ist Benediktiner und lebt in Ettal. In der dortigen Internatsschule hat er seit den 1960er Jahren Schulfahrten nach Tschechien organisiert und diese genutzt, um Sachen und Bücher in die Tschechoslowakei zu bringen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich Pater Angelus hat für eine Partnerschaft zwischen der Schule in Ettal und einem Gymnasium in Česká Lípa / Böhmisch Leipa eingesetzt, sowie für Stipendien für tschechische Kinder, die nach Ettal kamen. Nikolaus Lobkowicz, obwohl er schon längst pensioniert war, hat sich 2002 bereit erklärt, die Leitung der Prager theologischen Fakultät zu übernehmen, die kurz vor der Schließung stand. Er hat mit seiner Erfahrung und Autorität geholfen, dass die Fakultät dann doch eine Akkreditierung bekommen hat und fortexistieren konnte. Eigentlich gibt es viele Beispiele, bei denen es möglich war, wieder ohne Angst in die alte Heimat zu fahren und aktiv zu werden.
Neuer Schwung nach 1989
Der Sohn von Ferdinand Kinsky, ein Politikwissenschaftler, hat vor dem Eintritt in die EU tschechische Diplomaten vorbereitet und Sommerschulen für sie durchgeführt. Die Aktivitäten von Karel Schwarzenberg muss ich wohl nicht erwähnen. Richard Belcredi wurde tschechischer Botschafter in der Schweiz. Und was ich vielleicht noch sagen sollte: Alle Persönlichkeiten dieser Ausstellung waren zweisprachig, wobei nicht alle aus der Familie Sprachkenntnisse mitgebracht hatten. Pater Angelus Waldstein und sein Bruder Ernst zum Beispiel haben Tschechisch-Unterricht genommen. Und die zweite Sache, die ich noch erwähnen will: Die Adeligen waren natürlich auch für ihre deutschsprachigen Landsleute tätig. Da kommt auch der Adalbert-Stifter-Verein her, als eine Institution, die bei der Integration in Deutschland und Bayern half, gleichzeitig aber auch Unterstützung schuf. Alle hatten zuvor gemeinsam in einem Gebiet gelebt, und das hat sich auch im Exil gezeigt.“
Wie wird diese Geschichte der gegenseitigen Hilfe und der Beziehungen in der Ausstellung dargestellt? Welche interessanten Exponate haben Sie dafür erworben können?
„Wir schaffen mit einigen Einführungstafeln einen Kontext zu wichtigen Themen wie etwa Patriotismus und Nationalismus oder christlicher Glaube und bringen einige geschichtliche Informationen. Weiter haben wir mit den Lebensschicksalen der Persönlichkeiten gearbeitet und hervorgehoben, worin ihre Aktivität bestand. Wir hatten das Glück, dass wir Zugang in Privatarchive der Familien bekommen haben. Wir haben hier natürlich auch einige Schriftstücke. Zum Beispiel einen Brief von Nikolaus Lobkowicz an seine Mutter, in dem er die Umstände seiner Flucht über die Grenze im Böhmerwald mit seinem Vater und seinem jüngeren Bruder schildert. Interessant ist, dass er den Brief auf Tschechisch geschrieben hat. Bei Daisy Waldstein haben wir ihre Malteser Abzeichen, die ihre Karriere und die Vielfalt ihrer Aktivitäten dokumentieren. Und dann gibt es von Nikolaus Lobkowicz und Michael Belcredi wahnsinnig viele Reisepässe. Wir haben mit dem Münchner Gestaltungsbüro Wangler und Abele zusammengearbeitet. Sie haben ein schönes Konzept vorbereitet, bei dem wir jeder Person in ihrer Lebensgröße begegnen. In der Ausstellung sind die Persönlichkeiten auf großformatigen Fotografien zu sehen, und man kann ihnen tatsächlich in die Augen schauen.“
Die Ausstellung „Kulturelle Brücken in Europa. Der böhmische Adel nach 1945“ wurde vom Münchner Adalbert-Stifter-Verein und dem Prager Institut für das Studium totalitärer Regime vorbereitet. Sie findet bis zum 26. Juni 2022 in der Alfred-Kubin-Galerie im Sudetendeutschen Haus, Hochstraße 8, München statt. Die Öffnungszeiten sind Mo – Mi, Fr 10.00 – 18.00 Uhr und Do 10.00 – 21.00 Uhr.