Wie der böhmische Adel zu seinem schlechten Ruf kam
Sie heißen Schwarzenberg, Lobkowicz, Czernin, Kolowrat oder Sternberg. Die Rede ist von den traditionellen böhmischen Adelshäuser. Während sich viele von ihnen in den vergangenen zwanzig Jahren fast ausschließlich um die Verwaltung ihres restituierten Eigentums kümmerten, wagen sich mittlerweile auch einige Adlige wieder in die Politik. Bestes Beispiel: Außenminister Karel Schwarzenberg. Mehr nun im Folgenden über den historischen böhmischen Adel und die schwierige Beziehung der tschechischen Öffentlichkeit zu ihm.
„Der Adel stellte in der Zeit des Mittelalters praktisch die Elite des Volkes. Wenn wir in die Geschichte des böhmischen Adels im 13., 14. und 15. Jahrhundert zurückgehen, also bis zum Ende der Regierungszeit der Jagiellonen, lässt sich dort eine Reihe von herausragenden Persönlichkeiten finden. Diese haben das Gesicht des Landes maßgeblich geprägt. Natürlich kam dann eine wichtige Zäsur in Gestalt der Schlacht am Weißen Berg im Jahr 1620. Nach der Niederlage der böhmischen Stände haben sich die Eliten dieses Landes stark verändert. Begleitet wurde dies von umfangreichen Enteignungen, bei denen eine Reihe von neuen, aus dem Ausland kommenden Adelsgeschlechtern begünstigt wurde. In der Geschichtsforschung des 19. Jahrhunderts waren gerade diese Aspekte von der aufkommenden nationalen Bewegung nicht positiv bewertet worden. Hier entstand das häufig negativ besetzte Bild des Adels, das viele seiner früheren Verdienste überdeckte.“
Nach der Niederlage der protestantischen böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg wurde Böhmen von den Habsburgern rekatholisiert. Auch der Schriftsteller Alois Jirásek prägte mit seinen historisch inspirierten Romanen das Bild in der Öffentlichkeit von der Zeit: Er sprach von der „Zeit der Finsternis“, in der die tschechische Sprache, ja sogar die gesamte tschechische Kultur fast gänzlich in Vergessenheit geraten sein sollen - bis zur Nationalen Wiedergeburt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erst später zeigte sich, dass gebildete Angehörige der katholischen Adelshäuser, die nach 1620 ins Land kamen, die tschechische Kultur zum Teil vor dem Untergang gerettet haben.
Bei anderen mitteleuropäischen Völkern, zum Beispiel bei den Ungarn, hat der Adel bei der Entstehung einer nationalen Bewegung durchaus eine wichtige Rolle gespielt. Warum ist das im Böhmen des 19. Jahrhunderts während der so genannten Nationalen Wiedergeburt nicht gelungen?
„Der historische Adel darf nicht als eine monolithische Einheit gesehen werden. Zum historischen Adel gehörten viele Persönlichkeiten, die unterschiedlicher politischer Ansicht waren und sich auch in ihrer Beziehung zum böhmischen Volk unterschieden. Unter den Vertretern des historischen Adels gab es im 19. Jahrhundert sicherlich eine Reihe von Persönlichkeiten, die sich um die Nation verdient gemacht haben. Gleichzeitig war aber der Adel stets mit der herrschenden Dynastie, das heißt mit den Habsburgern verbunden. Die meisten Adeligen dienten im kaiserlichen Heer und gaben dem Kaiser ihren Treueschwur. Zudem waren einige Adelshäuser stark kosmopolitisch eingestellt, ihre Angehörigen verfügten über ausländische Bildung, sprachen mehrerer Sprachen und bewegten sich auf dem gesamten Kontinent, oft in diplomatischen Diensten“, so Professor Kuthan.Trotz der umfangreichen Enteignungen nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik, hat ein Großteil des historischen böhmischen Adels den neuen Staat akzeptiert. Das zeigte sich nicht zuletzt im September des Jahres 1938, als wenige Wochen vor der Münchener Konferenz eine Delegation des historischen böhmischen Adels ihre Treue gegenüber der Tschechoslowakischen Republik bekundete. Jiří Kuthan:
„Das war ein sehr mutiger Schritt, weil diejenigen, die sich an dieser Geste beteiligten, zweifellos über ihre internationalen Kontakte gut über die weltpolitische Lage informiert waren. Sie wussten daher, was kommen wird. Ich gehe davon aus, dass die meisten ebenfalls wussten, wie negativ sich ihre Entscheidung für sie selbst auswirken könnte. Und tatsächlich haben das dann während der deutschen Besatzung viele von ihnen zu spüren bekommen. Das war zum Beispiel der Fall des auf Schloss Orlík ansässigen Zweigs der Familie Schwarzenberg.“
Nach 1945 wurde der Adel erneut enteignet. Der wachsende politische Druck von Seiten der Kommunisten, die drei Jahre später die Macht im Staat ergriffen, führte dazu, dass viele Angehörige des böhmischen Adels ins Ausland gingen. Welche Adelshäuser waren von den erneuten Enteignungen am meisten betroffen? Professor Kuthan:„Was den Umfang des Eigentums angeht – in Bezug auf die Lage im 19. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts - dominierten zwei Adelshäuser: die Schwarzenbergs und die Liechtensteiner. Die Liechtensteiner waren in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nach Böhmen gekommen. In jener Zeit hatte das Fürstenhaus großen Anteil daran, dass der künftige böhmische König Přemysl Ottokar II. in Österreich und in der Steiermark akzeptiert wurde. Als Ausgleich für diese Hilfe bekamen die Liechtensteiner damals Nikolsburg, und seit dieser Zeit waren sie praktisch immer in den böhmischen Ländern vertreten - bis zur Konfiszierung ihres Eigentums im Jahr 1945. Die Schwarzenbergs kamen erstmals während der Hussitischen Kriege für kurze Zeit ins Land. Sesshaft wurden sie hierzulande aber erst im 17. Jahrhundert. Beide Adelsfamilien haben die Gegend um ihre Ländereien bedeutend geprägt – sei es architektonisch, landschaftlich oder in der Art, wie sie ihre Güter verwalteten. Zum Beispiel hatte das Verwaltungssystem der Schwarzenbergschen Ländereien im 19. Jahrhundert aus gesamteuropäischer Sicht Modellcharakter.“
Heutzutage bemühen einige Aristokraten wieder verstärkt, auch politisch aktiv zu sein, und kandidieren zum Beispiel bei Wahlen. Kann das vielleicht als Beweis gesehen werden, dass auch die früher kritische Öffentlichkeit mittlerweile ein anderes, differenzierteres Bild vom böhmischen Adel hat? Professor Jiří Kuthan von der Prager Katholischen Universität bejaht diese Sicht im Prinzip:„Es muss eine wichtige Tatsache berücksichtigt werden, die nicht nur auf den Adel zutrifft: Das Bild in der Öffentlichkeit ist eine Folge der historischen Forschung. Und hier muss erwähnt werden, dass sich die tschechischen Historiker mit dem Adel viele Jahre lang nicht intensiv beschäftigt haben. Das hat sich erst in den vergangenen zehn Jahren verändert, es sind qualitativ hochwertige Monographien erschienen, die sich mit den jeweiligen Adelsgeschlechtern befassen.“