Jubiläumsfeier: Deutsch-tschechischer Verein Bilingualis ist zehn Jahre alt
Der Verein Bilingualis organisiert seit 2012 Deutsch-Kurse für Kinder in Prag. Zielgruppe sind jene Kinder, die mit Deutsch als zweiter Muttersprache aufwachsen oder Deutsch sprechen, weil sie es durch einen längeren Aufenthalt in einem deutschsprachigen Land gelernt haben.
Deutsch, Tschechisch und auch Ukrainisch war am vergangenen Donnerstag auf einem Spielplatz unter dem Wasserturm im Prager Stadtteil Letná zu hören. Der Verein Bilingualis feierte dort sein traditionelles Sommerfest zum Ende des Schuljahrs. Diesmal wurden aber nicht nur die Zeugnisse vergeben, es gab einen besonderen Grund zum Feiern – der Verein besteht nämlich seit genau zehn Jahren. Věra Kirschner ist Mitgründerin:
„Wir sind ein Verein, der die Sprache und Kultur bei bilingualen Kindern fördert, die mit Deutsch in Tschechien beziehungsweise in Prag aufwachsen. Wir Eltern haben den Verein vor zehn Jahren gegründet, mit dem Gedanken, für jene Kinder einen Raum zu schaffen, die einen deutschen Elternteil, aber wenige Möglichkeiten haben, ihr Deutsch zu verbessern und zu entwickeln. Uns war auch wichtig, dass die Kinder zusammen sein können, sich mit Kindern gleichen Alters austauschen und die deutsche Sprache von ihren Freunden hören. Deutsch ist für sie die Sprache der Eltern, sie kommen aber nicht oft in Kontakt mit dem Deutsch ihrer Altersgenossen.“
Seit zehn Jahren organisiert der Verein Sprach- und Kulturkurse für die Kinder:
„Kinder zwischen drei und 14 Jahren treffen einmal wöchentlich in kleineren Gruppen zusammen. Wir haben drei muttersprachliche Lehrerinnen, die sie 60 Minuten lang einfach begleiten und mit ihnen auf spielerische Weise die Sprache entwickeln.“
Sommerfest mit Deutsch, Tschechisch und Ukrainisch
Die Überwindung von Sprach- und Kulturgrenzen ist seit Beginn ein Ziel des Vereins Bilingualis. Die Jubiläumsfeier wurde aber nicht nur zwei-, sondern gleich dreisprachig ausgetragen. Man habe nämlich auch ukrainische Kinder eingeladen, die derzeit in Prag leben, erläutert Věra Kirschner:
„Wir haben schon zu Anfang dieses Schuljahrs überlegt, etwas Besonderes zum zehnten Jubiläum zu machen. In der Corona-Zeit hatte niemand richtig Zeit, sich der Sache zu widmen, und wir haben dann erst im Januar angefangen zu planen. Dann kam auf einmal der Krieg in der Ukraine, alle waren schockiert und nicht in der Lage, über die Feier nachzudenken. An der Schule, an der wir unterrichten, gibt es eine ukrainische Gruppe, die sich dort jeden Tag trifft. Im siebten Prager Stadtbezirk leben übrigens über 300 ukrainische Kinder. Dann kam der Gedanke, dass wir das Fest durchaus veranstalten könnten, dies aber nur dann Sinn habe, wenn wir es auch für diese ukrainischen Kinder öffnen. Wir haben zum Beispiel eine nonverbale Theatervorstellung, die jeder verstehen kann. Damit ist es auch für die ukrainischen Kinder offen und zugänglich.“
Einige Dutzend Kinder und ihre Eltern waren beim Sommerfest dabei. Unter ihnen auch Olga Leuner. Mit ihrem Mann und den Kindern wohnt sie im Prager Stadtteil Vinohrady:
„Mein Mann kommt aus Deutschland, wir haben zwei Kinder. Unsere Familie ist bilingual. Mein Mann spricht immer Deutsch zu Hause, und ich spreche Tschechisch. Die Kinder unterhalten sich mit mir Tschechisch und mit meinem Mann Deutsch. Einmal hat uns eine Nachbarin, die auch aus Deutschland kommt, gesagt, dass hier ein Verein ist, in dem den Kindern die deutsche Kultur beigebracht wird, Kinderlieder sowie das, was die Kinder auch in Tschechien kennen, aber halt auf Deutsch.“
Soweit Olga Leuner. Auch der Sohn hat sich vors Mikrophon gewagt. Er heiße Max Leuner. In den Kursen würden Spiele gespielt und Musik gehört, sagte er.
Über ihre Beteiligung an den Bilingualis-Kursen spricht auch Ruth Kirschner. Sie gehe einmal in der Woche zu einem Kurs mit acht bis zehn anderen Kindern, der für sie Unterhaltung sei. Am liebsten singe sie dort.
Bilinguale Familien
Valerie Novotná, eine Mutter von zwei bilingualen Kindern, verweist auf eine Besonderheit der Kurse:
„Es sind eigentlich keine Sprachkurse per se, weil sie für Kinder sind, die schon zu Hause gewohnt sind, Deutsch zu reden. Das heißt, sie müssen schon Deutsch können, wenigstens vom Hören. Das ist eher spielerisch, mit Singen, und wichtig ist, dass sie gleichsprachige Kinder treffen, die auch Deutsch sprechen.“
Valeries Kinder sind 14 und 7 Jahre alt:
„Mein Sohn hat vor sieben oder acht Jahren angefangen, zum Kurs zu gehen, und hat schon längst wieder aufgehört. Und jetzt nimmt meine Tochter daran teil.“
Die Zweisprachigkeit ist in ihrer Familie noch ein bisschen komplizierter als bei anderen Elternpaaren:
„Ich bin eigentlich auch schon zweisprachig aufgewachsen. Mein Vater war Tscheche, meine Mutter Sudetendeutsche, und wir sind dann emigriert. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und dann zum Studium wieder hier hergekommen. Jetzt sind meine Kinder ebenfalls bilingual, weil sie einen tschechischen Vater haben. Das zieht sich schon durch die Generationen.“
Das Maskottchen des Fests heißt Billi N´Gualis. Der Schauspieler, der als Feuerwehrmann verkleidet ist, lädt die Kinder ein, sich sein Theaterstück anzuschauen. Věra Kirschner blickt dazwischen auf die Anfänge des Vereins zurück:
„Wir haben als fünf oder sechs Familien angefangen. Dann ist der Verein gewachsen und gewann mehr Mitglieder. Die Leute müssen aber nicht Mitglieder des Vereins sein, wir bieten die Sprachkurse für Kinder einfach so an. Mittlerweile sind wir etwa zu zehnt im Verein, die Kurse haben wir mit etwa zwölf Kindern angefangen, und vor der Corona-Zeit gab es 60 Kinder. Wir hatten sechs Kurse, zwei Jahre lang sogar zweimal in der Woche. Dann kam Corona, die Zahl der Kinder ist ein bisschen zurückgegangen, aber es kommen immer neue Teilnehmer, und jetzt besuchen ungefähr 50 Kinder die Kurse. Ich habe in meiner Liste mindestens 150 Familien, die wir jährlich einladen. Im Laufe der Zeit haben bestimmt schon 300 Kinder unsere Kurse durchlaufen.“
Tschechisch ist die erste Sprache
Und wie schätzt Věra Kirschner die Sprachbereitschaft der in Prag aufwachsenden bilingualen Kinder? Ist Tschechisch für sie die erste Sprache?
„Auf jeden Fall. Die Familien leben hier, und dadurch ist vorbestimmt, dass Tschechisch die Hauptsprache ist. Es unterscheidet sich ein bisschen je nach dem, ob die Mama eine Deutsche ist oder der Papa Deutscher. Man merkt bei den Kindern, mit wem sie im frühen Alter öfters zu Hause waren. Der nahe Kontakt spielt da eine wichtige Rolle. Aber wir haben nicht nur bilinguale Kinder in den Kursen, es gibt auch viele Kinder zum Beispiel von tschechischen Eltern, die in Deutschland mit Deutsch aufgewachsen sind und dann zurück nach Tschechien kommen.“
Für die Kinder werden nicht nur die Kurse organisiert, sondern auch andere Aktivitäten:
„Es gab zum Beispiel Sprachworkshops, ‚Multilinguale Erzählungen‘, wo Kinder ihre Zweisprachigkeit thematisieren sollen. Wir organisieren jedes Jahr einen Sankt-Martinsumzug als eine typisch deutsche Veranstaltung. Wir ziehen durch den Stromovka-Park, singen deutsche Kinderlieder und haben traditionelles Gebäck dabei. Genauso machen wir eine Weihnachtsparty mit deutschen Spezialitäten. Und jedes Jahr im Sommer, zum Abschluss des Schuljahres, organisieren wir ein Sommerfest, das immer sehr lustig ist. Wir haben inzwischen ein Maskottchen, Billi N´Gualis: Er kommt jedes Jahr zum Sommerfest und macht mit den Kindern eine große Show. Und so ist es auch dieses Jahr.“