Zweisprachig zu sein - was bringt es mit sich?

Jeder Mensch wird irgendwo geboren - sei es in einer Stadt oder auf dem Lande, - das alles und natürlich vieles mehr sind die Hauptkoordinaten, die für sein Leben mehr oder weniger ausschlaggebend sind. Doch alles fängt eigentlich in der Familie an: Hier eignet man sich die elementaren Gewohnheiten an, lernt die Sprache, entwickelt Beziehungen zur Außenwelt und baut sich seine persönliche Identität auf. Es gibt unter uns aber auch Menschen, die vieles von Kindheit an "doppelt" erlebten, mit interessanten "Konsequenzen" möchte man sagen. Einen von ihnen stellt Jitka Mladkova in der neuen Folge unserer Sendereihe Heute am Mikrophon vor.

"Danke für das Kompliment! Das ist so gekommen, dass ich in Tschechien geboren wurde, meine Eltern sind Tschechen, und im zarten Alter von drei Jahren habe ich bereits "beschlossen", dass der real existierende Sozialismus keine Zukunftsperspektiven für mich bereit hält und bin dann geflohen worden."

Das haben Sie als Dreijähriger Mensch beschlossen?!

"Also, meine Eltern sind geflohen, als ich drei Jahre alt war, daher konnte ich durch das ganze deutsche Schulsystem gehen und das Deutsche erlernen."

Haben Sie auch dann in der Familie Tschechisch gesprochen?

"Am Anfang war es reinstes Tschechisch, da meine Eltern auch nicht besonders gut deutsch sprechen konnten. Später, und das bedauere ich sehr, haben wir zu Hause ein Mischmasch gesprochen, das heißt, die beiden Sprachen nicht sauber getrennt, zum Beispiel tschechische Verben ins Deutsche eingebaut und umgekehrt, sodass ich als Kind schlechter Tschechisch gelernt habe als ich es hätte lernen können."

Dann sind Sie wahrscheinlich irgendwann in den Kindergarten gegangen, danach unbedingt auch in die erste Klasse der Grundschule und dann, nach der Grundschule?

"Dann ging es in meiner Schulkarriere nahtlos weiter. Ich habe ein Gymnasium in Dortmund besucht."

Seit wann wussten Sie, was Sie nach dem Abitur gerne machen möchten?

"Das wusste ich bis zum Abitur nicht so richtig, wobei grundsätzlich mein Interesse für Geisteswissenschaften auf jeden Fall ausgeprägt war. Nach dem Abitur hatte ich aber noch ein Jahr Zeit, da ich Zivildienst geleistet habe. Im Laufe dieses Jahres ist dann die Entscheidung herangereift, die Geschichte zu studieren."

Wo haben Sie studiert und worauf haben Sie sich im Rahmen dieses Studienfaches spezialisiert?

"Ich bin nach Berlin an die Humboldt-Universität gegangen, habe die Geschichte als Magisterstudiengang studiert und Bohemistik als erstes Nebenfach, weil ich den Drang verspürte, doch noch mal tschechische Grammatik von vorne durchzunehmen."

Wo lagen Ihre Schwerpunkte im Studiengang Geschichte?

"Der Schwerpunkt war eindeutig das 20. Jahrhundert. Ich habe hauptsächlich im Umfeld des Lehrstuhls für Zeitgeschichte von Professor Herbst, der spezialisiert ist auf die Zeit des Nationalsozialismus und auf die Zeit davor, das heißt die Weimarer Republik. Während des Studiums habe ich hauptsächlich deutsche Geschichte studiert und erst, als es um die Entscheidung ging, worüber ich meine Abschlussarbeit schreiben soll, habe ich den biografischen bi-kulturellen Aspekt wieder in mir entdeckt und habe mich in der Abschlussarbeit der tschechischen Kulturgeschichte gewidmet."

Haben Sie die tschechische Geschichte erst im Rahmen des Studiums entdeckt oder wann kam die erste Begegnung?

Märchen von Bozena Nemcova
"Das war eher im privaten Rahmen der Familie. Die tschechische Geschichte wird an der Humboldtuniversität praktisch nicht unterrichtet. Man hat eigentlich nicht die Möglichkeit während des Studiums, damit konfrontiert zu werden. Dafür ist eher die Bohemistik zuständig, die das aber auch nicht so richtig betreibt. Ich bin aufgewachsen, sagen wir, mit Ausschnitten der tschechischen Kulturgeschichte. Alles, was meine Eltern mitnehmen konnten oder was später nachgesendet wurde - an Büchern, Schallplatten - haben wir Kinder eigentlich schon von klein auf aufgesogen."

Auch tschechische Märchen? War zum Beispiel Bozena Nemcova ein Begriff für Sie?

"Auf jeden fall. Ganz besonders wichtig waren für mich aber die Schallplatten, die meine Eltern mitnehmen konnten. Ich habe von klein auf mit großer Rührung, ohne zu wissen, woher sie kommen, Karel-Kryl-Platten gehört, später auch Aufnahmen aus dem Semafor-Theater. Vor allen dingen war das die komödiantische Schiene wie Divadlo Jary Cimrman (Jara-Cimmrman-Theater) u.a."

Wann sind Sie zum ersten Mal nach der Emigration Ihrer Eltern wieder nach Tschechien gekommen?

"Ganz genau kann ich es nicht sagen, aber es war wohl 1990, also nach zehn Jahren. Erst nach der Wende. Meine Eltern konnten früher auf keinen Fall wieder einreisen. Sie wurden, soviel ich weiß, während der Abwesenheit hierzulande verurteilt. Das war schon ein verstörendes Erlebnis, wenn man auf einmal eine Großfamilie hat, die man zehn Jahre lang nur aus Erzählung kannte."

Seitdem kommen Sie regelmäßig nach Tschechien oder nur gelegentlich?

"Regelmäßig. Da meine Geschwister in der Welt verstreut sind und meine Eltern aufgrund ihrer Arbeit sehr viel unterwegs sind, finden die Familientreffen - zu Weihnachten, zu Ostern usw. - in Tschechien statt."

Wie nehmen Sie jetzt Tschechien wahr? Empfinden Sie als junger Mann das Bedürfnis eine Heimat zu haben und wo fühlen Sie sich eigentlich heimisch?

"Ich empfinde mich, was meine ´Alltagskonstitution´ angeht, als einen deutschen Staatsbürger. Meine Heimat ist momentan auf jeden Fall Berlin, eine Stadt, in die ich mich absolut verliebt habe und wo ich womöglich noch lange leben möchte. Nichtsdestotrotz gibt es irrationale Veranlagungen, die aufgrund der Erziehung und des Wechsels des Landes, wenngleich mit drei Jahren, in mir noch verblieben sind. Das sind solche Sachen, wenn es zum Beispiel um Sportereignisse geht und wenn auch Deutschland gegen Tschechien spielt, bin ich immer auf der Seite der Tschechen. Dadurch, dass in meinen Jugendjahren Russland als Land nicht gerade populär war, habe ich auch so einen ganz irrationalen Vorbehalt gegenüber dem Land irgendwo in mir behalten, den ich aber versuche rational zu bekämpfen und zu entfernen. Aber wenn Sie mich fragen, wo ich mich heimisch fühle, dann auf jeden Fall in Berlin und in Deutschland."

Wie Sie gesagt haben, weilen Sie des Öfteren in Tschechien und ich gehe davon aus, dass sie mittlerweile auch tschechische Freunde haben. Mich würde interessieren, wie Sie junge Tschechen sehen. Stört Sie etwas an Ihren Altergenossen hierzulande?

"Da begeben wir uns auf ein gefährliches Fahrwasser. Mich stört generell an der tschechischen Kultur, und der Jugendkultur insbesondere, die Amerika-Orientierung, die hierzulande herrscht. Das fängt an beim endlosen Bauen von Swimmingpools in Vorgärten, die man selten nutzt, hin zu den auf der Straße Stehenden, wenn George Bush vorbeifährt, auch nur deswegen, um seine Limousine zu sehen, bis dazu, dass man sonntags zum McDonalds feierlich essen geht. Das ist natürlich schon überspitzt gesagt, aber als Grundwahrnehmung würde ich es so sagen. Es klingt natürlich von einem Deutschen auch sehr arrogant. Als Deutscher ist man gewohnt, sehr vorsichtigen Zugang zur Geschichte zu haben. Ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein, ausgeprägten Zugriff zu "political correctness" und auch gewohnt, nur vorsichtig über Minderheiten, also über die Randgruppen zu sprechen. Man macht da keine Witze. Man ist sich bewusst der eigenen negativen Sparten der Geschichte. Diese politische Kultur, die sich in Deutschland ausgebildet hat, gleichwohl häufig behauptet wird, dass sie zu Neurosen des deutschen Volkes führe, finde ich im Prinzip richtig und halte sie für eine Errungenschaft."

Hierzulande sehen Sie das Gegenteil?

"Mich stört, dass man auch in intellektuellen Kreisen Witze über Zigeuner zu hören bekommt. Jemandem, der in Deutschland sozialisiert wurde, bleibt nur wegzugehen und nicht zuzuhören."

Versuchen wir unser Gespräch ein bisschen positiv zu beenden. Schätzen Sie auch etwas an jungen Tschechen, was Sie eventuell bei Ihren deutschen Altergenossen vermissen? Gibt es so etwas?

"Im Grunde genommen ist es das, was ich vorhin gesagt habe, einmal nur ungedreht. All die fehlenden Vorbehalte geben einem natürlich viel Energie, viel Schwung und viel Optimismus. Man findet wenige Leute, die traurig sind darüber, was zurzeit hierzulande politisch passiert, weil man eben sagt: Na ja, wir leben nicht lange in der Demokratie. Das wird sich schon alles einrenken, man wird voranschreiten. Wenn ich aber das Fernsehen einschalte und höre, worüber da unter Politikern diskutiert wird...!"

Also, das klang auch nicht besonders Positiv! Sagen wir, dass Sie es aber positiv gemeint haben! Vielen Dank für das Gespräch.