Künstlergruppen während der Normalisierung
"Erlaubt, geduldet, verboten: das Autorentheater der kleinen Formen in Prag während der so genannten Normalisierung" - so heißt der Titel einer Magisterarbeit, mit der ein deutscher Student vor einem Jahr seinen Abschluss an der Berliner Humboldtuniversität machte. Das Thema hat er sich, wie dem Titel zu entnehmen ist, aus Tschechien geholt. Die Rede ist von Jan Fusek. Als Kind tschechischer Eltern war er vor mehr als 20 Jahren nach Deutschland gekommen. In seiner Magisterarbeit machte er sich auf die Spuren von drei hierzulande gut bekannten Künstlergruppen: Miloslav Simek / Jiri Grossman vom Semafor-Theater, Zdenek Sverak / Jan Smoljak vom Jara-Cimrman-Theater und Jan Vodnansky / Petr Skoumal, die eine Zeitlang auf den Bühnen des Cinoherni klub (Schauspielklub) und des Atelier agierten.
Um so viel wie möglich über die genannten Künstler zu erfahren, musste sich Fusek sehr umfassend in die Recherche vertiefen, denn sprechen konnte er nur mit einem von ihnen. Zum Teil sind die genannten Künstler - so etwa Simek und Grossman - bereits verstorben, zum anderen Teil waren sie für Fusek aus verschiedenen Gründen unerreichbar. Derjenige, mit dem er ins Gespräch kam, war Jan Vodnansky, bekannt als Liedermacher und Verfasser von spielerisch-absurden Texten für Theaterstücke und Musicals, aber auch als Autor von Hörspielen für Kinder und Jugendliche. Das Treffen mit ihm war für Jan Fusek nicht nur für seine Magisterarbeit von großer Relevanz.
"Um die Arbeit schreiben zu können, habe ich sowohl Archive in Prag aufgesucht als auch wissenschaftliche Literatur gelesen, mit den Quellen im Prager Theaterinnstitut gearbeitet und habe auch versucht, die Künstler, die ich näher untersucht habe, persönlich kennen zu lernen, um biografische Interviews zu führen. Das ist mir leider nur bei Jan Vodnansky gelungen, dafür aber sehr gründlich!"
Wie war das erste Treffen, als Sie Jan Vodnansky zum ersten Mal "in natura" gesehen und gesprochen haben?
"Den Kontakt zu ihm habe ich durch das Archiv des Innenministeriums bekommen, wo eine Dame arbeitet, die irgendwie wiederum über eine Ecke Herrn Vodnansky kennt. Ich habe angefragt, ob ich seine Geheimpolizeiakten einzusehen könne, denn ich wollte sehen, was die tschechische Polizei über Herrn Vodnansky geschrieben hat, wann und wie sie ihn beschattet hat usw. Da bedarf es aber einer persönlichen Erlaubnis der betreffenden Person. Ich schrieb eine formale Anfrage an das Archiv und bekam eine Mail zurück mit der Mitteilung der erwähnten Dame: Sie kenne Vodnansky persönlich und werde den Kontakt vermitteln. Danach haben wir bald ein Treffen in einem Cafe in Prag verabredet. Ich würde sagen, es herrschte Nervosität auf beiden Seiten. Bei Herrn Vodnansky, weil er sich nicht sicher war, ob ich alles verstehe, was er auf Tschechisch sagt, bei mir weil ich ein kleiner Magitrant war, der Herrn Vodnansky ... Er war aber sehr nett und reizend zu mir, insofern war es sehr einfach, weil das Eis schnell gebrochen war. So kam es dazu, dass ich sehr schnell Fragen formulierte und er antwortete."
Erst nach diesem ersten Treffen mit Jan Vodnansky haben Sie sich so richtig in die Materie vertieft, das heißt seine Texte gelesen, studiert, analysiert und Recherchen gemacht?
"Eigentlich nicht. Das ist schon vorher geschehen. Die Arbeit beruht hauptsächlich auf der Analyse oder Interpretation der Texte."
Sie waren also beim Gespräch schon sozusagen auf dem Laufenden?
"Genau. Ich habe eigentlich schon als Kind die Aufnahmen aus dem Theater Cinoherni klub, die noch erscheinen konnten, vor allem die Doppel-LP "Hura na Bastilu" (Hurra auf die Bastille) und "S usmevem Dona Quichora"(Mit dem Lächeln von Don Chichote") gehört. Damit bin ich aufgewachsen und habe mir auch verschiedene Liedertexte besorgt."
Was hat Ihnen schon vor Jahren am besten an den Texten von Jan Vodnansky gefallen?
"Da sie auch einen Zusammenhang mit meiner Kindheit haben, war es zunächst mal eine kindliche Freude an seinem Umgang mit der tschechischen Sprache, der am dadaistischen Nonsenshumor geschult ist. Es waren Worte, die eigentlich im Alltagsgebrauch nie zueinander finden würden, und auch nicht in unmittelbare Nähe zusammengefügt oder in Reimzusammenhänge gebracht werden. Das alles hat tatsächlich einen dadaistischen Zug, wo es um den Klang der Sprache geht. Später, beim Heranreifen, begann mich auch die politische Dimension dahinter zu interessieren. Das heißt, inwieweit und warum war es anstößig für das System und was macht die Witze aus, die direkt gegen bestimmte Sprachregelungen etwa des Kommunismus gerichtet sind."
Haben Sie die Witze verstanden? Die Tschechen lachten sich krumm über die witzigen Lieder. Wie kamen die Lieder, was die Wahrnehmung des in ihnen enthaltenen Witzes anbelangt, bei Ihnen an? Haben Sie alles verstanden?
"Zunächst mal eben recht wenig. Ich muss wirklich sagen, dass sich das Verständnis dieser Texte mit meinem Heranreifen, dem Älterwerden, auch vertieft und eine bestimmte Komplexität erreicht hat. Dass man mit den Eltern zunehmend auch viel über die damalige Zeit, über die Hintegründe, gesprochen oder in Geschichtsbüchern nachgelesen hat oder was auch immer. Ich würde zwar immer noch nicht behaupten, dass ich jeden Lacher, der da auf diesen Platten konserviert ist, verstehe, aber doch, ich würde schon sagen, dass ich mittlewerweile eine Menge der Anspielungen entziffern kann."
Wann kam Ihnen die Idee in den Kopf, die Liedertexte in Deutsche zu überführen?
"Das war eine Idee, die von Herrn Vodnansky selbst kam. Schon am Ende des ersten Treffens fragte er - für mich recht überraschend - ob ich nicht Lust hätte, sein Lied "Marsalove" (Die Marschale), das schon in verschiedenen Sprachen vorlag und das ihm besonders am Herzen lag, ins Deutsche zu übertragen. Weil er hin und wieder auch in Tschechischen Zentren auftritt und die Tschechen, die dorthin kommen, anfragen, ob er nicht etwas auch auf Deutsch singen könnte für ihre deutschen Freunde, die sie mitgebracht haben, um ihnen Vodnansky zu zeigen. Es hat mich überrascht, als er danach fragte, ob ich es versuchen wollte. Aber dann habe ich recht schnell Feuer gefangen. Mir macht das Spass, wenn ich in meiner Freizeit in Berlin in einem Cafe unter Zuhilfenahme eines Wörterbuchs damit herumspiele, um zu versuchen halbwegs den Reim zu erhalten und ziemlich nah am Inhalt zu bleiben."
Haben Sie nicht mancmal das Gefühl gehabt, dass es eine harte Nuss ist. Man kann ja gute Sprachkenntnisse haben, aber hierbei geht es nicht ausschließlich ums Übersetzen.
"Genau! Das ist das Schwere daran und ich würde auf jeden Fall daran festhalten, dass Vodnanskys Texte im Grunde genommen unübersetzbar sind. Man kann nur scheitern, wenn man es versucht. Ich würde auch nie behaupten, dass die Texte, die ich mittlerweile übersetzt habe, vollwertige literarische Übersetzungen sind. Ich versuche Gebrauchstexte zu schaffen. Mir selbst lag es dann auch am Herzen, als ich sah, dass es irgendwie funktioniert, damit fortzufahren. Ich wollte meinen Freunden in Berlin klarmachen, womit ich mich eigentlich anderthalb Jahre beschäftigt habe und ihnen mitteilen, worüber ich mich immer kaputt gelacht habe ohne dass sie mir folgen konnten."
Und wie war die Resonanz? Ist es Ihnen gelungen, den"tschechischen" Witz in Vodnanskys Liedern den deutschen Ohren zu vermitteln?
"Das ist eine Frage, die ich eigentlich ungern beantworten würde. Von meinen Freunden hatte ich aber positive Reaktionen. Na ja, vielleicht sind sie auch nur höflich und haben nur aus Höflichkeit gelacht! Das kann ich nicht beurteilen. Das Urteil über die Qualität der Übersetzungen würde ich lieber anderen überlassen. Jedenfalls habe ich Freunde, die darüber gelacht haben."
Und das ist schon eine gute Bestätigung! Vielen Dank für das Gespräch.