Tschechische Präsidentschaftswahlen: Auch Urenkelin von Staatsgründer Masaryk stimmt ab
Während in Tschechien die Wahllokale am Freitag geöffnet haben, wurden die Tschechen im Ausland in bestimmten Teilen der Welt bereits vorher an die Urnen gerufen – so auch in den USA. Genau dort hat am Donnerstag auch die Urenkelin des ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten, Tomáš Garrigue Masaryk, gewählt.
Im tschechischen Generalkonsulat in Manhattan hängt ein Portrait von Tomáš Garrigue Masaryk an der Wand. Er war das erste Staatsoberhaupt der Tschechoslowakei. Mit der aktuellen Präsidentschaftswahl in Tschechien wird im Grunde einer seiner Nachfolger bestimmt. Charlotta Kotík ist Urenkelin Masaryks und gab ihre Stimme im Konsulat in dem New Yorker Stadtteil ab: „In New York wähle ich öfter als in Prag, denn hier ist das schon Routine für mich. Ich versuche an allen Wahlen teilzunehmen, mir ist das nämlich wirklich wichtig“, erläutert Kotík dem USA-Korrespondenten des Tschechischen Rundfunks.
Charlotta Kotík wurde 1940 in Prag geboren, 30 Jahre später emigrierte sie nach Amerika. Sie arbeitete als Kuratorin für Kunstausstellungen und lebt heute in Brooklyn. Anders als viele ihrer Landsleute in den Vereinigten Staaten hat sie deshalb eine recht kurze Anreise zum Wahllokal: „Die Metro hält direkt an der Second Avenue. Wenn alles rollt, dauert die Fahrt 45 Minuten.“
Außer an der Vertretung in New York konnten Tschechen in den USA auch an den weiteren Generalkonsulaten in Chicago und Los Angeles sowie an der Botschaft in Washington ihre Stimme abgeben. Andere Möglichkeiten gibt es nicht, denn Tschechien hat nach wie vor keine Briefwahl eingeführt. Die Wähler müssen deshalb oft eine stundenlange Anreise zu einer der vier Auslandsvertretungen in Kauf nehmen. Bei der vergangenen Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren stimmten in der ersten Runde rund 570 Tschechen in den USA ab.
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Charlotta Kotík kann bequem mit der U-Bahn zum Wahllokal fahren. Doch vermutlich würde sie auch dann wählen, wenn sie einen weiteren Weg hätte. Denn die Mitbeteiligung an der Politik sei für sie sehr wichtig, betont sie:
„Man muss sich einbringen, Verantwortung übernehmen, seine Meinung zum Ausdruck bringen und ein Teil der Gesellschaft sein. Nur zu Hause rumzusitzen und dann zu schimpfen, lehne ich ab.“
Aber wie bildet sich Kotík ihre Meinung, wenn Sie doch Tausende Kilometer entfernt von ihrer Heimat lebt?
„Ich reise oft nach Tschechien, weil ich dort Enkel und einen großen Teil meiner Familie habe. Der Austausch mit den Menschen in Prag ist für meine Entscheidungsfindung sehr wichtig. Ich verfolge aber auch die tschechischen Medien und die Nachrichten.“
Trotz der Entfernung zur Heimat hält die 82-Jährige ihre Stimmabgabe für relevant: „Die Welt ist doch verbunden. Die Vorstellung, dass ein Land gar nicht von einem anderen abhängig ist, ist eine Illusion“, sagt sie.
Über den nächsten Präsidenten hat Charlotta Kotík dabei recht konkrete Vorstellungen: „Er sollte weder lügen noch stehlen. Ich versuche also, mehr über den Background der Kandidaten zu erfahren. Leider stößt man dabei mitunter auf Dinge, die man eher nicht wissen will. Ich werde niemanden wählen, der sich unmoralisch verhält. Stattdessen habe ich für jemanden gestimmt, der verhandeln kann und die Gesellschaft zusammenbringt.“
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Mit dem Argument, dass der künftige Präsident nicht lügen und nicht stehlen solle, spielt Charlotta Kotík auf ein Zitat ihres Urgroßvaters Tomáš Garrigue Masaryk an. Als er am 14. November 1918 zum Präsidenten der neugegründeten Tschechoslowakei gewählt wurde, befand er sich auch gerade in New York. Zwei Tage nach der Wahl in seiner Heimat erreichte Masaryk die Nachricht in einem Telegramm. Er befand sich damals gerade beim Mittagessen im „Lawyers Club“. Laut der damaligen US-Presse las Masaryk das Telegramm – und wandte sich dann ohne mit der Wimper zu zucken weiter Austern und Fisch sowie dem Gespräch mit den Anwesenden zu. Masaryk wurde damals nicht direkt vom Volk gewählt. Dass das Staatsoberhaupt seit zehn Jahren aber in Direktwahl bestimmt wird, hält Charlotta Kotík für sinnvoll: „Jeder Mensch ist für sich verantwortlich. Ich denke, es ist wirklich besser, dass sich die Bürger direkt äußern können.“