Jetzt auch Führungen auf Deutsch: Prags Megastadion Strahov von innen

Außenansicht des Stadions

Mehr als 60.000 Quadratmeter Fläche. Das ist das große Strahov-Stadion in Prag. Doch die Eingänge sind verschlossen, Besucher müssen leider draußen bleiben – außer bei den geführten Touren des Vereins Open House Prague. Jetzt gibt es die Rundgänge auch auf Deutsch.

Fremdenführer Tom Bílý | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Das zweitgrößte Stadion aller Zeiten, nach dem Circus Maximus im antiken Rom, steht in Tschechiens Hauptstadt Prag – und verfällt. Vorangemeldete Besucher können das Stadion dennoch besichtigen, solange sie Teil der Führungen von Tom Bílý sind. Für die immer beliebten Führungen auf Tschechisch ist er auch zuständig. Eigentlich arbeitet er bei Fairtrade als Finanzdirektor, aber auch gelegentlich als Fremdenführer für den Verein Open House Prague, erklärt Bílý.

Stadion-Strahov | Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

„Bei Open House Prague versuchen wir, Objekte und Gebäude, die normalerweise nicht zugänglich sind, zu öffnen. In Prag gibt es sehr viele interessante Objekte und Gebäude, die man normalerweise nicht besichtigen kann. Und wir von Open House Prague versuchen, diese Gebäude den Pragern und auch Besuchern der Stadt näherzubringen und zu erklären.“

Die Geschichte des Stadions beginnt mit dem Sokol. Der tschechische Sport- und Turnverband war spezialisiert auf Gymnastikübungen im Gleichschritt. Hierfür war viel Platz nötig – und zwar in den 1920er Jahren mehr, als das Zuhause des Sokol, ein Stadion im Prager Stadtteil Letná, bieten konnte.

„Die Sokolisten haben im Ersten Weltkrieg eine große Rolle gespielt, in diesem Kampf für die Unabhängigkeit Tschechiens. Auch die Erste Republik ab 1918 war stark vom Sokolverein unterstützt. Demnach war die Situation für die Sokolisten nach dem Ersten Weltkrieg ganz anders. Sie waren äußerst beliebt, denn sie haben zur Unabhängigkeit der Tschechoslowakei beigetragen“, fasst der Fremdenführer Tom Bílý zusammen.

Die Fläche nutzt Sparta Prag,  rechts der Glasbau | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Mit Unterstützung des Staates wurde dann 1925 das Stadion auf dem Strahov-Hügel in Angriff genommen. Fertig war es pünktlich zum Sokol-Treffen im Jahr darauf, 1926. Sechs Jahre später gab es eine weitere große Zusammenkunft der Turner – wieder mit Paraden und synchron trainierenden Sportlern und Sportlerinnen. Diese Veranstaltungen zogen riesige Mengen von Menschen an, fast 190.000 nahmen an den Übungen in Stadion teil, und fast noch einmal so viele schauten von den Rängen aus zu.

Tomáš Garrigue Masaryk als erster Gast auf der Präsidententribüne

Exklusive Lounge für den Präsidenten | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Die Führung beginnt auf der Westtribüne in einem abgetrennten Teil, der für den Präsidenten reserviert war. Der Erste, der hier Platz nahm, war Staatsgründer Tomáš Garrigue Masaryk, selbst Sokolmitglied. Die Präsidententribüne ist aus Holz gefertigt und mit schnörkellosen Metallgeländern eingefasst. Sie entspreche dem ältesten Teil des Stadions und befinde sich nach mehreren Modernisierungen jetzt wieder im Originalzustand, erläutert Tom Bílý. Dass der Präsident ausgerechnet hier logieren durfte, sei kein Zufall gewesen, sagt der Guide:

„Die Westtribüne war die beste Tribüne, weil nachmittags gibt es hier Schatten, es scheint hier keine Sonne. Dafür sind aber die andere Seite und die Fläche des gesamten Stadions sehr schön beleuchtet. Die Sicht von dieser Tribüne aus war die beste.“

Das Stadion von der Präsidententribüne aus | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Von hier aus öffnet sich der Blick auf ein Stadion, das mit bekannten Sportstadien nur wenige Ähnlichkeiten hat. Die Tribünen sind flach, die Innenfläche rechteckig, und sie ist maximal ausgereizt, ergibt 63.000 Quadratmeter. Auf den ersten Blick seien alle Tribünen gleich, das täusche aber, so der Guide Tom. Denn nur noch die Präsidententribüne entspreche noch dem ursprünglichen Zustand. Der Rest repräsentiere die Stile der Modernisierungsaktionen aus den 1930er, 1940er und 1970er Jahren, so Bílý:

„An dem Stadion, wie wir es jetzt sehen, wurde im beinahe ganzen 20. Jahrhundert gebaut. Die erste Version des Stadions hatte eine hölzerne Tribüne, das war immer die Haupttribüne. Aber in diesem funktionalistischen Stil aus Stahlbeton wurde sie erst in den 1930er Jahren fertiggestellt. Dann gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die südliche und die nördliche Tribüne erbaut. Die im Osten wurde erst in den 1970er Jahren fertiggestellt. Das heißt die Fläche des Stadions war dieselbe, aber die Tribünen wurden Stück für Stück gebaut.“

Indirekte Beleuchtung in der Präsidentenlounge | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Hinter der Präsidententribüne befindet sich eine Lounge. Eigentlich würde man erwarten, dass sie extravagant, prunkvoll und ausladend ist. Das stimmt aber nicht. Die Wände der Lounge sind bis fast zur Decke mit poliertem Holz vertäfelt. Darüber nur noch Lampen in weißen gläsernen Schirmen, die den Raum indirekt erhellen. Für die 1920er Jahre sei dies hypermodern, geradezu futuristisch gewesen, sagt Tom. In der Mitte: ein Tisch mit Stühlen aus dem Holz der Vertäfelung. Diskreter Luxus im funktionalistischen Stil.

Faschistische Paraden statt Sport

Während des Zweiten Weltkriegs verboten die Nazis die Sokol-Bewegung, und stattdessen marschierten sie selbst im Strahov-Stadion auf. Nach Kriegsende galt das Verbot durch die Besatzer nicht mehr, und die Sokolisten trafen sich 1948 wieder, um im Takt Sport zu machen. Dieses Treffen hatte eine politische Komponente, eine anti-kommunistische. Das wurde dem Verein aber zum Verhängnis – im selben Jahr übernahmen die Kommunisten die Macht. Viele Sokolisten wurden verhaftet, 1952 wurde die Sokolbewegung von der kommunistischen Partei verboten. Das größte Stadion der Welt stand damit zum ersten Mal ohne Zweck da. Es sollte nicht das letzte Mal sein.

Das Strahov-Stadion ist zu groß für eine Kamera-Einstellung | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

„Die Tradition der Sokol-Treffen war aber so groß, dass die Kommunisten die Idee hatten, eigene Sportveranstaltungen abzuhalten: die Spartakiaden. Schon im Jahr 1955 gab es hier die erste Spartakiade“, so Tom Bílý.

Die Spartakiaden waren ideale Propagandaveranstaltungen für die kommunistische Partei. Bei den zweiten Spartakiaden im Jahr 1960 waren bereits 750 Sportler und 2 Millionen Zuschauer im Strahov Stadion. Die Großveranstaltungen zogen alle fünf Jahre gleichermaßen Sportbegeisterte an wie Leute, die auf der Suche nach Unterhaltung waren. Der Guide fasst zusammen, warum sich viele Tschechen immer noch an die Spartakiade von 1985 erinnern:

„Weil sie dort entweder geturnt oder zugeschaut haben. Es waren dort nämlich auch kleine Kinder dabei. Menschen aller Altersklassen haben bei verschiedenen Formationen mitgemacht. Ich kenne selbst sehr viele Leute, die damals hier geturnt haben – unter anderem auch mein Mann, er war damals zehn Jahre alt. Er kam mit seiner Schule aus Pardubitz hier nach Prag. Sie haben hier für ein paar Tage irgendwo in einer Turnhalle gelebt und an der Spartakiade teilgenommen.“

Spartakiade 1985  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Die Spartakiade darauf fand aber nicht mehr im riesigen Strahov-Stadion statt. Damit stand es 1990 schon zum zweiten Mal in seiner 70-jährigen Geschichte leer. Was tun mit dem Koloss? Es war klar, dass keinerlei Spartakiaden mehr darin stattfinden werden, und für andere Sportveranstaltungen war es einfach zu groß. Eine andere Idee musste her. Staatspräsident Havel hatte eine, so Bílý:

„Es gab hier ein paar riesig große Konzerte in den 1990er Jahren. Das erste Konzert fand hier 1990 statt. Direkt nach der Wende hatte der damalige Präsident Václav Havel die Rolling Stones nach Prag eingeladen. Václav Havel war ein Dissident, Künstler sowie Philosoph, und die Rolling Stones kannte er auch persönlich. So lud er also die Rolling Stones nach Prag ein. Zu diesem Konzert kamen 100.000 Besucher.“

Die Südwest-Kurve wurde aus Backsteinen gefertigt | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Auch andere beliebte Rockbands versuchten, die 63 Tausend Quadratmeter Fläche zu füllen. 2003 spielte Ozzy Osbourne das letzte Konzert im Stadion. Im selben Jahr unterzeichnete die Stadt mit dem Sport- und Fußballverein Sparta Prag einen Vertrag, der immer noch gilt. Darin ist geregelt, dass der Verein die gesamte Innenfläche des Stadions mietet. Nicht im Vertrag enthalten sind aber die Tribünen und Bauwerke. Für sie ist weiterhin die Stadt zuständig. Teile davon sind weitervermietet an kleinere Betriebe, vieles steht aber leer und verfällt. Eine Besucherin der Führung meint:

„Ich finde es schade, dass nichts aus dem Stadion gemacht wird und dass man nicht weiß, was man damit anfangen soll, weil es so unglaublich groß ist. Es ist auch sehr schwierig, irgendwas damit anzufangen. Aber ich finde es blöd, dass es vernachlässigt wird und einfach zerfällt.“

Prags Betonklotz am Bein

Die Führung bewegt sich nach Norden. Ziel ist ein Glasbau, der das Stadion überblickt. Tom macht aber bereits vor dem Aufstieg auf den Nachteil der Konstruktion aufmerksam: Es ist sehr warm und stickig. Davon lässt sich niemand abschrecken, der kleine Trupp bewegt sich die 130 Stufen innerhalb der Osttribüne hoch. Oben angekommen meinen die Teilnehmer, es wäre erstaunlich gut auszuhalten, und der Blick sei es allenfalls wert. Ein beeindruckender Ausblick auf das Stadion, die Stadt und eine ungewisse Zukunft.

Der Blick vom Glasbau aus | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Welche Optionen gibt es aber, das Stadion zu beleben? Tom Bílý im Interview für Radio Prag International:

„Eine der Ideen war zum Beispiel, hier eine Art ‚tschechisches Meer‘ zu erschaffen – also einen Ort zum Entspannen mit Sandstränden. Es gab aber auch andere Ideen, zum Beispiel verschiedene Parkanlagen hier zu errichten und das Stadion für die Öffentlichkeit zu öffnen. Aber all das kostet sehr viel Geld und ist nicht langfristig finanzierbar. Das ist meiner Meinung nach das größte Problem.“

Von wem müsste dieses Geld kommen: von der Stadt Prag und dem Staat?

„Ja wahrscheinlich. Ich glaube, es wäre vielleicht möglich, irgendwo Geld für die Restaurierung des Stadions zu finden. Ich befürchte aber, dass es danach nicht möglich sein wird, den Betrieb weiter zu finanzieren. Allein die Basiskosten für das Stadion sind so hoch, dass man für solch eine Parkanlage Eintrittskarten im Wert von 1000 Kronen oder mehr verkaufen müsste. Das ist nicht der Sinn eines Parks. Wie sollte man das alles stattdessen bezahlen? Der Staat wird das nicht können und die Stadt wahrscheinlich auch nicht, weil die Kosten so furchtbar hoch sind. Es gibt auch keinen Druck, hier etwas zu errichten wie etwa einen Park. In Prag gibt es bereits so viele Parkanlagen, Prag ist eine der grünsten Städte Europas. Wir brauchen keinen weiteren Park hier. Das Stadion ist einfach zu groß für eine regelmäßige Nutzung, wie auch immer die aussehen würde.“

Zeittypisches Mobiliar im Glasbau | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Wie schätzt Du den Zustand dieses Stadions in zehn Jahren und danach ein?

„Ich fürchte mich. Ich sehe das Stadion in Zukunft in einem sehr schlechten Zustand. Die Perspektive für das Stadion ist in meinen Augen nicht wirklich gut. Es gibt hier zwar ein Paar Mieter, wie zum Beispiel Sparta Prag, die die Fläche des Stadions mieten, aber sie können auch nicht für den Betrieb des ganzen Stadions bezahlen. Ich schätze, die Stadt wird die Grundkosten übernehmen, damit das Stadion nicht komplett verfällt. Aber ich würde sagen, die Zukunft ist nicht wirklich gut.“

Dennoch mangelt es nicht an kreativen Ideen. Vielleicht ist bald eine dabei, die dem größten Stadion der Welt wieder Leben einhaucht. Bis dahin zieht Tom mit seinen Gästen durch das Strahov-Stadion, das größte Stadion der Welt.

Am 29. August um 16 Uhr findet die zweite deutsche Führung statt. Wann es danach mit den Führungen weitergeht, ist noch nicht klar. Die Tickets kosten 300 Kronen (12,50 Euro) und sind nur im Voraus und über die Website von Open House Prague (www.openhousepraha.cz) zu bekommen. Pro Ticketbestellung kommt ein Servicebetrag von 15 Kronen (60 Eurocent) oben drauf. Wieder wird Tom Bílý durch das größte Stadion der Welt führen.