Die Steine rollen in Prag ein... – unvergessenes Stones-Konzert vor 30 Jahren
Das Jahr 1990 wird in Tschechien und der Slowakei noch heute in goldenen Lettern geschrieben. Denn es war der Beginn der Demokratisierung in der damaligen Tschechoslowakei und so auch das Jahr der ersten freien Wahlen seit über 50 Jahren. Und es war das Jahr des kulturellen Umbruchs, denn die ersten Kultbands aus dem Westen gaben nun auch in Prag und anderswo im Land ihre Visitenkarte ab. Den Anfang machten vor genau 30 Jahren die Rolling Stones mit ihrem legendären Konzert im großen Spartakiade-Stadion im Prager Stadtteil Strahov.
Die Begeisterung kannte an jenem 18. August 1990 keine Grenzen, als die „Meister des Rock 'n' Roll“ in Prag endlich die Bühne betraten. Ein Traum war in Erfüllung gegangen für viele Musikfans aus der Tschechoslowakei und den umliegenden Staaten des ehemaligen Ostblocks, von denen auch Tausende angereist waren. Die Rolling Stones gaben ihr erstes Konzert in Prag, und das vor über 100.000 Zuschauern. Wer dafür die entsprechenden Tickets ergattern wollte, musste sich noch anstellen, erinnert sich der Musikpublizist Jan Dědek:
„Die Eintrittskarten wurden in einigen Geschäften verkauft, in denen heute Vorverkaufsstellen sind. Zudem waren über ganz Prag einige Wohnwagen verteilt, in denen die Tickets verkauft wurden. Diese Wagen waren ausgeliehen und einige von ihnen waren schon sehr alt, trotzdem verkaufte man dort die Eintrittskarten.“
Eine Eintrittskarte kostete übrigens 250 tschechoslowakische Kronen (CSK), was heute ein Schnäppchen wäre. Damals aber war es für den Einzelnen viel Geld bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 2500 bis 3000 CSK brutto.
Die Rolling Stones aber wollte nahezu jeder Rock 'n' Roll-Fan hören und sehen, war doch ein Auftritt dieser Kultband im bis dahin kommunistisch geprägten Osten Europas noch unvorstellbar gewesen. Zumal sich die hiesigen Anhänger der Band auch keine Langspielplatte in einem Musikladen kaufen konnten, schildert Dědek:
„Man musste jemanden kennen oder aber ältere Geschwister oder Freunde haben, die einem eine LP der Stones geborgt haben, um deren Hits auf dem Kassettenrecorder zu überspielen. Es war also nicht so, dass man einfach in ein Geschäft gehen konnte, um sich alle Platten der Stones zu kaufen wie im Westen. Das war hierzulande undenkbar.“
Das erste Konzert der Rolling Stones in Prag aber hatte auch eine symbolische Bedeutung, weiß Dědek:
„Dass die Rolling Stones nach Prag kamen, das war wirklich ein Mega-Ereignis. Das Konzert wurde zudem angekündigt mit dem wunderbaren Slogan: ‚Die Steine rollen in Prag ein, die Panzer rollen aus Prag heraus‘. Dieser Spruch verwies auf das Ende des kommunistischen Regimes, doch für uns war es der endgültige Schlusspunkt unter all dem, was zuvor gewesen war. Jetzt aber leitete Václav Havel als Präsident das Land, und auf einmal kamen die Stones nach Prag, um im Strahov-Stadion vor 100.000 Menschen zu spielen.“
Bekannt ist auch, dass Dichterpräsident Václav Havel ein großer Fan der Rolling Stones war. Deshalb glaubten nicht wenige Menschen, der ehemalige Dissident habe einen großen Anteil daran, dass die britische Band schon so früh nach der Wende an die Moldau kam. Wie Dědek aber in einem Gespräch für das Tschechische Fernsehen anmerkte, seien es die Stones selbst gewesen, die über Mitarbeiter aus dem Umkreis des Präsidenten angefragt hatten, ob sie in der Goldenen Stadt auftreten können. Havel entsprach dieser Bitte und dankte es Mick Jagger, Keith Richards, Ronnie Wood und Charlie Watts mit einem Empfang auf der Prager Burg.
Und Dědek hat später in einem Gespräch mit Mick Jagger erfahren, dass dieses Konzert für die Stones bis heute zu den größten Erlebnissen in ihrer langen Musikkarriere gehört. Auch deshalb sind sie danach immer wieder gern nach Tschechien zurückgekommen. Insgesamt haben sie bisher sechs Konzerte hierzulande gegeben, davon eins auch in Brno / Brünn. Und ihr zweites Konzert in Prag, am 5. August 1995, ist bis heute mit 130.000 Zuschauern immer noch der meistbesuchte Musikevent in Tschechien. Dafür hatte sich Mick Jagger auch extra noch in der tschechischen Sprache schlau gemacht.