Notruf 112: Erfolgreiches tschechisches Modell wird weiter ausgebaut

Wussten Sie, dass die europäische Notruf-Nummer 112 „ihren“ Tag hat? Am 11. Februar jedes Jahres rufen die Europäische Kommission und alle Mitgliedsländer den Bürgern die europaweit einheitliche Nummer ins Gedächtnis. Und da gibt es in vielen Ländern einiges aufzuholen: Nur vier von hundert Italienern wissen etwa, dass sie unter der Nummer 112 in ganz Europa Hilfe anfordern können. Andere Länder haben wieder Probleme mit der technischen Umsetzung, etwa Malta, wo viele Anrufe unbeantwortet bleiben. Und oft kommt es vor, dass man ohne Kenntnisse der Landessprache keine Hilfe anfordern kann. Tschechien hingegen ist Europas Musterschüler: Sechs von zehn Bürgern kennen den Euro-Notruf und nach weniger als fünf Sekunden ist man mit der Notrufzentrale verbunden. Die tschechische Feuerwehr ist im Vorjahr für den vorbildlichen Betrieb des Notrufs 112 von der Europäischen Kommission ausgezeichnet worden. Wir haben berichtet. Der Erfolg spornt nun zu weiteren Innovationen an.

„Notruf 112. Guten Tag!“

Dreieinhalb Millionen Mal haben die Frauen und Männer der tschechischen Berufsfeuerwehr im vergangenen Jahr diesen Satz gesagt. So oft hat nämlich in einer der 14 Telefonzentralen das Notruf-Telefon geklingelt. In Tschechien ist die staatliche Berufsfeuerwehr neben dem nationalen Feuerwehr-Notruf 150 auch für den Betrieb des Euro-Notrufs 112 zuständig. Mit Spitzentechnik garantiert sie den Bürgern schnelle Hilfe: Jeder Anruf, egal ob vom Festnetz oder vom Mobiltelefon, wird sofort lokalisiert, der Telefonist sieht entweder die genaue Adresse oder zumindest den Senderbereich, in dem sich der Anrufer aufhält. Fällt eine der Telefonzentralen aus oder ist überlastet, wird der Anrufer automatisch in die nächste Zentrale weitergeleitet. Das System arbeite seit 2005 zur vollsten Zufriedenheit der Bürger und der Einsatzkräfte, sagt Oberst Luděk Prudil, Chef der Abteilung Einsatzleitung in der Generaldirektion der tschechischen Berufsfeuerwehr. Bei den schweren Gewittern im vergangenen Sommer und beim jüngsten Schneechaos habe sich das System der untereinander verbundenen Notrufzentralen bestens bewährt:

„Nehmen wir als Beispiel den 23. Juli 2009, als es nördlich von Prag heftige Gewitter und Überschwemmungen gab. Innerhalb von zwei Stunden haben wir mit der neuen Technik mehr als zweitausend Einsätze abgewickelt. Das hätten wir mit dem alten System niemals geschafft und die Anrufer wären in der Warteschleife gelandet oder hätten das Besetztzeichen gehört.“

Dank der modernen Technik sind alle Einsatzorganisationen miteinander vernetzt, die Informationen, die über die Notrufnummer 112 bei der Feuerwehr ankommen, werden bei Bedarf innerhalb von Sekunden an die Polizei und den Rettungsdienst weitergegeben.

„Das beschleunigt die Abwicklung der Einsätze enorm. In speziellen Fällen wird der Anrufer von uns dann noch an die zuständige Einsatzorganisation weiterverbunden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn jemand einen Krankenwagen braucht. Wir nehmen die Adresse und das Ereignis auf und der Rettungsdienst rückt aus. Dann verbinden wir den Anrufer in die Rettungsleitstelle weiter, damit er dort weitere Informationen geben kann“, erklärt Feuerwehr-Oberst Prudil.

Der Chefarzt des Rettungsdienstes im Landkreis Pardubice, Otomar Kušička, erläutert anhand eines Beispiels, wie der weitere Einsatz abläuft:

Otomar Kušička  (Foto: www.hzscr.cz)
„Ich habe einen Verkehrsunfall ausgewählt. Es wurde gemeldet, dass drei Fußgänger von einem Auto angefahren worden sind. Wir haben von der Feuerwehr automatisch die Adresse und die Telefonnummer des Anrufers übermittelt bekommen, wir sehen auf der Karte auch den ungefähren Standort des Mobiltelefons. Die Besatzungen der Rettungsfahrzeuge machen sich bereit zum Ausrücken. Inzwischen fragt unser Telefonist nach weiteren Details und erfährt, dass auch ein Kind verletzt ist. Er schickt daher zusätzlich den Rettungshubschrauber los. Sehen sie hier auf der Karte die drei grünen Pfeile: das sind die Rettungswagen, die zum Einsatzort fahren. Dort oben sehen sie Kryštof 6, den Rettungshubschrauber. Nach sieben Minuten und zehn Sekunden ist das erste Team am Einsatzort, auch das sehen wir in Echtzeit. Leider hat sich dann herausgestellt, dass ein Verletzter gestorben ist. Also wird der dritte Krankenwagen storniert und wir sehen auf der Karte, dass er das Blaulicht ausschaltet und umkehrt. Und hier sehen wir, dass 54 Minuten nach dem Anruf das letzte Unfallopfer dem Krankenhaus übergeben worden ist und der Krankenwagen wieder frei ist.“

Eine wichtige Information für die Einsatzorganisationen sind Verkehrsmeldungen. Bis vor kurzem habe man ganze Stapel von Baustellenmeldungen in gedruckter Form bekommen, die niemand überblickt habe, sagt Rettungs-Chefarzt Kušička. Und über aktuelle Behinderungen habe man oft gar nichts erfahren. Gerade bei Unwettern sei das Rettungsteam dann nicht selten vor einem umgestürzten Baum gestanden und hätte umkehren müssen:

Foto: Autor
„Das ist eine ziemlich neue Sache: Wir haben seit Sommer 2008 die elektronischen Verkehrsinformationen in unser Leitsystem integriert. Straßensperren werden bei der Koordinierung der einzelnen Rettungsfahrzeuge und der Berechnung der Anfahrtsroute automatisch berücksichtigt. Und neuerdings tragen wir auch aktiv zur Erfassung der Verkehrsmeldungen bei: Rücken wir zu einem Verkehrsunfall aus, geht die Information über den Unfallort automatisch an das landesweite Verkehrsinformationszentrum in Ostrava.“

Eine weitere Neuerung sind Notrufmeldungen per SMS-Kurzmitteilung für stumme und hörbehinderte Bürger. Und in Zukunft sollen Notrufe überhaupt völlig automatisch abgesetzt werden. Seit 2006 läuft ein entsprechendes Pilotprojekt. Weiterentwickelte Navigationssysteme in Pkw erkennen mit Sensoren einen Unfall und setzen automatisch einen Notruf mit der genauen Positionsangabe ab. Gleichzeitig wird eine Sprechverbindung mit dem Fahrer aufgebaut. Meldet er sich nicht, rücken die Einsatzkräfte aus:

„Denken Sie zum Beispiel an diese schrecklichen Unfälle in der Nacht, wo jemand mit dem Auto von der Straße in den Wald oder ein Gebüsch fliegt. Erst am nächsten Morgen bemerkt jemand den Unfall und dann sind die Insassen leider meisten schon tot.“

In solchen Fällen könne das System mit dem Namen „e call“ Leben retten, sagt Luděk Prudil von der tschechischen Berufsfeuerwehr. Gemeinsam mit den Autoherstellern arbeite man nun an einer Perfektionierung des Systems, sagt Prudil, der nicht ohne Stolz berichtet, dass er in ganz Europa unterwegs sei, um das tschechische Erfolgsmodell der Notrufnummer 112 vorzustellen. Gerade für Deutschland mit seinen rund 600 verschiedenen Einsatzleitstellen könne Tschechien ein gutes Beispiel sein, meint der Feuerwehr-Oberst. Der nächste Schritt sei die europaweite Vernetzung der Notrufzentralen, von Dublin bis Bukarest, von Helsinki bis Athen. Damit könne man dann auch endlich das Sprachproblem lösen, denn keine nationale Einsatzzentrale werde jemals alle 23 EU-Sprachen abdecken können, sagt Prudil.