ODA: Eine Partei, welche die 4K zu Fall brachte

Viererkoalition

Von Silja Schultheis und Robert Schuster.

Viererkoalition
Fast genau vier Monate vor den Wahlen ist es vergangene Woche in der politischen Landschaft Tschechiens zu einem Erdbeben gekommen. Das oppositionelle Bündnis von vier kleineren Mitte-Rechts-Parteien, die s.g. Viererkoalition, ist nach etwas mehr als drei Jahren auseinandergebrochen.

Dabei hat noch vor einigen Wochen für die Koalition alles sehr gut ausgesehen. So prognostizierten etwa Mitte Januar alle wichtigen tschechischen Meinungsforschungsinstitute der Viererkoalition den Sieg bei den Parlamentswahlen. Dennoch hatte es bereits seit längerem große Spannungen im Bündnis gegeben. Die Fronten verliefen dabei nach dem recht einfachen Schema groß gegen klein. Die Großen, das waren die Christlichdemokratische Volkspartei (KDU-ÈSL) und die Liberale Freiheitsunion (US), die Kleinen wiederum die rechtskonservative Demokratische Union und die liberal-konservative Demokratische Bürgerallianz (ODA).

Die Demokratische Union hatte bereits zu Jahresanfang mit der US fusioniert. Übrig geblieben ist also neben den beiden Großen nurmehr die ODA. Und eben die Probleme dieser kleinen, etwa 1500 Mitglieder zählenden Gruppierung, waren der eigentliche Auslöser für das Ende der Viererkoalition. Die ODA hatte es nämlich versäumt, in den letzten Jahren ihre hohen Schulden zurückzuzahlen und geriet deswegen unter den Druck ihrer Partner, die ihr mit dem Ausschluss von den gemeinsamen Kandidatenlisten drohten. Die ODA reagierte auf ihre Weise und verließ am Freitag vor einer Woche offiziell die Viererkoalition.

Die ODA galt schon immer als etwas eigenwillig und ihr spektakulärer Abgang aus den Reihen der Viererkoalition war nicht der erste Paukenschlag, den die ODA in ihrer mehr als zehnjährigen Geschichte setzte. Nur zur Erinnerung: Ende 1996 etwa trat der damalige Parteichef der ODA und Justizminister Jan Kalvoda von allen seinen politischen Ämtern zurück. Der Grund dafür war sein Eingeständnis, dass er sich über viele Jahre hinweg fälschlicherweise mit dem Titel eines Doktors der Rechtswissenschaften schmückte, obwohl er nie die erforderliche Doktorprüfung ablegte. Der Fall Kalvoda brachte damals nicht nur die ODA mächtig ins Straucheln, die auf einmal über Nacht nicht nur den Vorsitzenden, sondern auch eine wichtige Integrationsfigur verlor. Auch in anderen Parteien traten in Folge dessen Funktionäre und Abgeordnete zurück, die unberechtigt einen falschen oder nicht vorhandenen Titel angaben.

Eine der Interpretationen, warum die Demokratische Bürgerallianz wegen dieser einen Angelegenheit in Turbulenzen geriet, war die, dass es die ODA vernachlässigte, eine Mitgliederbasis aufzubauen. Die Partei bestand eigentlich lange Zeit nur aus einigen bekannten Persönlichkeiten, die dann aber 1998, während einer weiteren Parteikrise, die ODA verließen. Nach der damaligen Meinung der meisten tschechischen Zeitungskommentatoren verlor die ODA somit im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Schlag nicht nur ihre bekanntesten Gesichter, sondern auch wichtige Identifikationspersonen. Radio Prag fragte deshalb den Publizisten und unabhängigen politischen Analytiker Roman Joch vom Prager Bürgerlichen Institut, ob eine stärkere Mitgliederbasis die ODA vor diesen Erschütterungen hätte bewahren bewahren können? Joch selber war bis vor vier Jahren in der ODA aktiv.

"Ich glaube nicht, dass die schwache Mitgliederbasis der ODA Grund für ihre Schwierigkeiten gewesen wäre. Die ODA war nämlich eine Partei, die imstande war mit ihren Themen und Anliegen relativ breite Schichten in der Bevölkerung anzusprechen. Aber sie haben recht, die ODA hatte Probleme. Im Nachhinein würde ich zwei Ursachen als ausschlaggebend ansehen: Viele Anhänger, denen das Programm der Partei sympathisch war, hatten Angst, dass die Allianz ständig irgendwo in der Nähe der 5%-Grenze schwebt und wollten nicht riskieren, dass ihre Stimme im Endeffekt verloren geht. Die zweite Ursache war eine andere und zwar Meinungsverschiedenheiten im engsten Führungskreis. Bis zum Abgang des erfolgreichen Vorsitzenden Jan Kalvoda hielten sich beide Richtungen die Waage. Es gelang dann später eigentlich nie mehr so richtig dieses Gleichgewicht wieder herzustellen."

Die ODA war zwischen den Jahren 1993 und 1997 an allen Regierungen des Landes beteiligt. Neben der damals stark dominierenden Demokratischen Bürgerpartei (ODS) von Premierminister Václav Klaus suchte die Allianz oft fieberhaft nach Politikfeldern, auf denen sie sich als eigenständige politische Kraft hätte profilieren können. Aus vielen Detailumfragen unter ihren Wählern ging nämlich hervor, dass ihre Anhänger die ODA oft als eine Art "ODS-light" verstanden hatten, die sich von der besagten größten Regierungspartei eigentlich nur dadurch unterscheiden ließ, dass sie nicht Václav Klaus als Vorsitzenden hatte. Roman Joch vom Bürgerlichen Institut beurteilt jedoch die politischen Unterschiede zwischen der Allianz und der ODS anders, wenn er im folgenden über ihre politischen Verdienste meint:

"Ich meine, dass sich vieles von dem erhalten hat, was die ODA in ihrem Programm drinnen hatte. Es ist dabei eine gewisse Ironie des Schicksals, dass viele von den Forderungen, mit welchen die Allianz bereits zu Beginn der 90er Jahre aufwartete, damals als äußerst radikal empfunden wurde, heute aber fast schon so etwas wie Allgemeingut sind. Z.B. die Privatisierung aller wichtigen Wirtschaftsbereiche. Das hat nämlich selbst Václav Klaus als damaliger Finanzminister für ausgeschlossen gehalten und hat erst später diese Forderungen übernommen. Ein zweites großes Thema war die Forderung nach Restitutionen, d.h. der Rückgabe des von den Kommunisten geraubten Eigentums an die ursprünglichen Eigentümer, bzw. deren Nachkommen. Hier muss man aber fairerweise sagen, dass auch andere kleinere konservative Parteien diese Forderung unterstützten. Als letztes großes Anliegen der ODA würde ich vielleicht deren starken Konstitutionalismus, also ihre Verfassungstreue erwähnen, worunter zu verstehen ist, dass die Bürgerlich-Demokratische Allianz es stets abgelehnt hat die Verfassung nur anhand irgendwelcher momentanen Launen der verantwortlichen Politiker zu ändern."

Gerade in der Frage der von Roman Joch angesprochenen Verfassungstreue machte die Demokratische Bürgerallianz in den letzten zwei Jahren eine wichtige Meinungsänderung, bzw. eine Kurskorrektur durch. Im Rahmen der Viererkoalition weigerte sie sich nämlich zunächst sehr vehement, der Forderung der anderen Bündnisparteien nach einer Direktwahl des Präsidenten nachzukommen. Sie begründete das ähnlich wie Joch mit ihren grundlegenden Bedenken, dass eine Direktwahl des Staatsoberhaupts das bisherige Machtgefüge in Tschechien aus dem Lot bringen würde. Vor etwa einem Jahr änderte die Partei aber völlig überraschend ihre Meinung in dieser Frage und unterstützte fortan alle entsprechende Initiativen der Viererkoalition. Wie ist dieser Meinungsumschwung zu erklären? Hat sich die ODA einfach den politischen Realitäten angepasst und dem Standpunkt einer Mehrheit der Bevölkerung, die gemäß den Umfragen, eine Direktwahl wünscht? Roman Joch hat eine weitaus simplere Erklärung dafür:

"Die heutige ODA ist mit der ursprünglichen ODA nicht mehr vergleichbar, weil viele ihrer herausragenden Persönlichkeiten die Partei entweder verlassen oder sich völlig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen haben. Die heutige Führung der ODA würde ich also als eine Art zweite Garnitur der ODA bezeichnen. Mich wundert es deshalb nicht, dass die Leute in den Führungsgremien der Partei keine so starke Loyalität gegenüber den ursprünglichen Ideen und Programmen verspüren."

Seitdem es bei der Demokratischen Bürgerallianz Ende der 90.Jahre zum bereits erwähnten personellen Aderlass gekommen ist, konnte die ODA nie mehr so richtig Fuß fassen. Ihre Werte in den Meinungsumfragen sanken stetig, so dass die Partei allmählich in die politische Bedeutungslosigkeit verfiel und bei den Wählern in politische Vergessenheit geriet. Erst, als die ODA eingeladen wurde sich am Projekt einer breiten, pro-europäischen Mitte-Rechts-Allianz, der späteren Viererkoalition, zu beteiligen, kehrte sie wieder ins Rampenlicht zurück. Aber dennoch gelang es nicht mehr die verlorenen Anhänger und Wähler von einst zurückzugewinnen, denn die fanden sich nämlich längst wo anders wieder: Bei der im Frühjahr 1998 neu gegründeten liberalen Freiheitsunion (US). Wir fragten deshalb abschliessend Roman Joch vom Bürgerlichen Institut, ob man die Freiheitsunion als eine Art Nachfolger der ODA bezeichnen kann?

"Es ist in der Tat so, dass die heutige Freiheitsunion im wahrsten Sinne des Wortes der legitimste Nachfolger der ursprünglichen ODA ist. Das trifft sowohl für die Wähler zu, weil jene, die heute die US unterstützen früher ODA wählten. Das gilt aber auch für das Programm der Freiheitsunion, welches in vielen Aspekten die einstigen Themen der ODA aufgegriffen hat. Wenn es aber sozusagen um die Reinheit der ideologischen Lehre geht, so muss denke ich schon zugeben, dass die Freiheitsunion vieles nicht so klar und deutlich sagt, wie Bürgerlich-Demokratische Allianz, sie ist also eher dazu geneigt, den Wünschen der Wähler nachzugehen."