Ossip Kalenter

Wer kennt heute noch Ossip Kalenter? Einen der alten europäischen Kosmopoliten, der unter anderem auch einige Jahre in Prag lebte. Im heutigen Kultursalon stellt Ihnen Martina Zschocke diesen Dichter, Schriftsteller und Feuilletonisten vor. In dem Zusammenhang sprach sie mit Norbert Weiss, dem Chefredakteur der Literaturzeitschrift "Signum", die ein Sonderheft über Kalenter herausgab.

"Ossip Kalenter wusste Diskretion mit Deutlichkeit zu verbinden und Anmut mit Weisheit. Er war - und auch das hat Seltenheitswert - ein leiser, taktvoller Erzähler, ein wehmütiger, doch nicht sentimentaler, ein unaufdringlich schwermütiger Humorist". Mit diesen Worten charakterisierte und würdigte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki den Schriftsteller und Feuilletonisten Ossip Kalenter. Von 1934 bis 1939 lebte dieser auch in Prag und war hier Feuilletonredakteur des deutschsprachigen "Prager Tagblattes". Im Laufe seines Lebens sind etwa 15 Bücher von ihm erschienen. Dennoch scheint er heute nahezu vergessen. Die Dresdner Literaturzeitschrift "Signum" hat sich dieser Lücke im Literaturkanon angenommen und brachte eine Sonderedition über ihn heraus. Wie es zu dieser Ausgabe kam, fragte ich den Herausgeber Norbert Weiss:

"Das war, als wir diesen Stadtplan gemacht haben: Dichter, Denker, Literaten in Dresden. Und da war er natürlich dabei. Aber da war er ein Stichwortartikel unter anderem. Wir hatten den Namen, ein paar Werke und so weiter, haben ihn aber nicht gekannt..."

Das Ossip Kalenter zu den weitgehend Unbekannten zählt, war bei weitem nicht immer so. Kalenters Ruhm konzentrierte sich vorwiegend auf seine frühen Jahre.

"Und da er sehr zeitig berühmt geworden ist - Kalenter - und sehr zeitig wieder vergessen wurde, dachte ich das ist ein ganz guter Anknüpfungspunkt, auch die Schulfreundschaft mit Erich Kästner. Kalenter war wesentlich bekannter als Erich Kästner um 1920/21 und das hat sich dann praktisch vertan."

In den Anfangsjahren - beide waren zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung - ließ sich Kästner von Kalenter beraten, an welche Redaktionen er seine Feuilletons noch schicken könnte. Später jedoch sollte Kästner eindeutig der Berühmtere von beiden werden.

"Erich Kästner ist ganz bestimmt der bedeutendere Schriftsteller, rein von der Gestaltungskraft her und auch von der politischen Brisanz her. Aber Ossip Kalenter ist der elegantere, das heißt der Feuilletonist, der aus allem etwas machen kann, aus dem Gasthausbesuch oder aus dem Ausstellungsbesuch einen wundervollen Artikel..."

Ossip Kalenter wurde am 15. November 1900 in Dresden geboren. Geburtsname: Johannes Buckhardt. Seine Kindheit verbringt er als Sohn eines aufstrebenden Kaufmanns in gutbürgerlichen Verhältnissen. 1920 beendet er das Gymnasium und bringt seinen ersten Gedichtband heraus. Im selben Jahr verlässt er Dresden und kehrt bis auf gelegentliche Besuche nie wieder in seine Heimatstadt zurück. In dieser Zeit nimmt er auch den Künstlernamen Ossip Kalenter an. Welche Bewandtnis es mit diesem Namen hat, erklärt Norbert Weiss:

"Also er war der Einzige an seiner Schule, am Dresdner Gymnasium, der Russisch gelernt hat. Deshalb vielleicht der Name Ossip. Und Kalenter, das sind irgendwelche Derwische aus dem Persischen, ruhelose Geister, die sich mit sehr vielen Dingen beschäftigen. Und das hat er zusammengefügt."

Als sich Johannes Burckhardt den Künstlernamen "Ossip Kalenter" gibt, bedeutet das: er ist umtriebig, reiselustig und ruhelos und das sollte er auch bis zum Ende seines Lebens bleiben. Derwisch und Dandy gleichermaßen.

"So ein Globetrotter, so ein eleganter Mann. Sehr vornehm, zurückhaltend, eine leise Stimme, aber markante Stimme, soll er gehabt haben."

"Man muß durch dieses Leben lautlos gleiten, Theaterhaft, unwirklich, fern und kühl. Das Beste sind die großen Einsamkeiten, Die Reisen ohne Zweck und Ziel."

Diese Zeilen aus einem seiner Gedichte scheint Kalenter ziemlich wortgetreu gelebt zu haben. Vielleicht etwas zu lautlos, zu fern. Deshalb wohl ist es auch schwierig ihn zu verorten, im literarischen Kanon, seiner Lebenslinie und seinen an den verschiedensten Orten erschienenen Arbeiten. Kalenter war einer der alten europäischen Kosmopoliten, angezogen - wie die meisten von ihnen - von Italien, Prag und der Schweiz.

Nach Italien geht er zuerst - im Frühjahr 1924, wo er fast 10 Jahre bleibt und als freier Journalist und Schriftsteller lebt. Von 1934 bis 1939 hält sich Kalenter dann in Prag auf. Hier arbeitet er neben Max Brod und Johannes Urzidil als festangestellter Redakteur am "Prager Tagblatt". Dazu Norbert Weiss:

"Jedenfalls hat Urzidil ihn, soviel ich weiss, ans Tageblatt gebracht, zumindest ins Feuilleton. Und Max Brod war derjenige, dem er immer auch mal was zu lesen gegeben hat. Aber wie das Ganze nun ganz konkret war, das wäre schwierig rauszubekommen. Vielleicht im anderen Teil des Tagebuches, aber das ist ja nicht zugänglich."

Fast 5 Jahre lebt Kalenter in Prag, aus dem er erst bei Einmarsch der Nazis nach Zürich flieht. Nach Deutschland ist er nie zurückgekehrt. Das Angebot einer Chefredakteursstelle in seinem einstigen Heimatland lehnt er ab.

"Kalenter, der hat ja diesen merkwürdigen Satz gesagt - er sollte in Deutschland eine Riesen-Illustrierte übernehmen, ich nehme an "Stern" oder so was in der Art, nach 45 hatten die Amerikaner bei ihm angefragt. Und er hat geantwortet, er geht nicht zu den Initiatoren der Gaskammerspiele."

Statt dessen bleibt er in der Schweiz, wo er von 1950 bis 1960 noch einmal neun Bücher veröffentlicht. 1957 wird er zum Vorsitzenden des PEN-Centre of German speaking Writers Abroad gewählt. Am 14. Januar 1976 stirbt er in Zürich.

Seine ersten Bücher erscheinen in den 20er Jahren in Deutschland. Die andere Hälfte seiner Werke wird dann in den 50er Jahren in der Schweiz veröffentlicht. Betrachtet man seine Veröffentlichungen gibt es immer wieder mysteriöse Pausen in seinem Schaffen.

"Er hat ja an Büchern eigentlich nicht so sehr viele geschrieben. Es war erst der frühe Ruhm als Lyriker, als Dichter, da war er 18, 19, 20 Jahre und dann eine Pause von 20, 30 Jahren bis wieder Bücher kamen in den 50er Jahren. "Die Abetiner", ein einziger Roman, eine Romaneske, also auch nichts sehr voluminöses. Er ist eigentlich doch der typische Zeitungsautor."

Für welche Zeitungen hat er nun am meisten geschrieben?

"Insgesamt aufs Leben gesehen für die "Neue Zürcher Zeitung" und fürs "Prager Tagblatt" würde ich meinen. Wobei er fürs "Prager Tagblatt" viele Brotarbeiten gemacht hat in der Zeit. Also Sammelrezensionen..."

In den Kriegswirren des zweiten Weltkrieges ereilt ihn das typische Emigrantenschicksal. In der Schweiz unterlag er dem siebenjährigen Arbeitsverbot für politische Flüchtlinge.

"Sie müssen sich das so vorstellen: 1921 ist er nach Italien gegangen, nicht aus politischen Gründen, sondern weil er dort besser arbeiten konnte und besser leben. 1933 als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen, obwohl in Italien schon Faschismus herrschte, wollte er dort weg und ist dann nach Prag gegangen. Dort war er aber auch nur drei, vier Jahre und ist dann nach Zürich und in Zürich hatten Ausländer Arbeitsverbot."

Er hat dort zwar unter Pseudonym Übersetzungen gemacht und auch ab und zu etwas für die Zeitung, aber es war nicht möglich ein Buch herauszubringen. Doch auch wenn seine Veröffentlichungen keineswegs kontinuierlich sind, führt er doch sein ganzes Leben über Tagebuch. Dieses Tagebuch stellt seine Arbeitsgrundlage dar.

"Und diese Arbeit am Tagebuch, die ich vorhin mal erwähnt habe, das heißt erst mit der Hand, dann mit der Maschine abschreiben, verbessern, und dann kam immer die dritte Phase, daraus wurden dann Miniaturen für die Zeitungen aus diesen Erlebnissen. Aus Strandgesprächen oder was er in der Kneipe gehört hatte. Das erst einfach dastand, wurde dann gefeilt, also da war er ein ganz verbissener Arbeiter, auch sehr kritisch mit sich selbst und da kamen dann so ganz luftige Gebilde raus."

Hat er es überhaupt auf den Nachruhm angelegt? Er hat für den Moment gelebt und zeitlebens kurze, feuilletonistische Texte vorgezogen und nie den großen Roman geschrieben, es wohl auch nie versucht. "Ich habe nahezu zwei Jahre mit Erlebnissen verloren. Ich sollte eine Bilanz machen. Es müssen ruhigere Jahre kommen... Ich komme dieser Tage zu weniger denn je.", schreibt Kalenter in seinem Tagebuch von 1930.

"So hat er auch gearbeitet, das heißt also nicht für die Ewigkeit, sondern für den Moment, fürs Feuilleton und da hat er einen großen Bewunderer gefunden in Marcel Reich-Ranicki, was ganz erstaunlich ist. Der hat einen ganz interessanten Nachruf auf Ossip Kalenter geschrieben 1976, aber da war er schon vergessen im Grunde."

Wie er Kalenters Stil charakterisieren würde, frage ich den Schriftsteller und Signum-Herausgeber Norbert Weiss:

"Eine Art Mozart der Literatur, was Leichtes, Verspieltes, aber manchmal auch zu leicht und zu verspielt. Ja also, das kommt schon vor, das was auch aufs gute Ende hin geschrieben ist und weniger auf die politische Brisanz oder die gesellschaftliche Bedeutung hin."

Dennoch hat er einen originellen und originären Beitrag zur Literaturgeschichte geliefert.

Noch etwas zeichnet den Autoren Kalenter aus:

"Und er soll, das hat mir aber nur der Verleger Classen gesagt, ein begnadeter Vorleser gewesen sein. Ideal für Rundfunksendungen und so weiter. Das ist noch so ein Markenzeichen von ihm."

Leider können wir Ihnen hier keinen originalen Kalenter-Ton vorstellen, hoffen aber dennoch, dass sie ein Bild des Schriftstellers und Feuilletonisten Kalenter bekommen konnten. Das Ossip Kalenter-Sonderheft des Signum-Verlages kann dieses Bild noch vervollständigen. Neben einem aufschlussreichen Vor- und Nachwort - beinhaltet es verschiedene Texte Kalenters. Hören Sie dazu noch einmal den Herausgeber Norbert Weiss:

"Wie gesagt die Prager Geschichte ist eine Erstveröffentlichung seit der Zeitschriften-veröffentlichung, dann ist etwas aus der expressionistischen Phase und dann viele Sachen, die entweder nur in der "Neuen Zürcher Zeitung" erschienen sind und also eher auf dem Schweizer Markt eine Rolle gespielt haben und in Deutschland auch das erste Mal zu lesen sind. Das war das Hauptanliegen, ihn aus der Versenkung zu holen."

Und das ist er zweifellos wert. Sollten Sie Interesse haben, mehr über ihn zu erfahren, seien Ihnen neben dem bereits erwähnten Sonderheft die Bücher Kalenters empfohlen, die vor allem im Werner Classen - Verlag Zürich erschienen sind.

Damit sind wir am Ende unserer Sendung. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen: Martina Zschocke.