Paten für die Toten – Freiwillige retten Gräber bedeutender Personen

Foto: Petr Kadlec, CC BY-SA 2.0

Auch viele Tschechen gehen Anfang November auf die Friedhöfe, um die Gräber ihrer Nächsten zu schmücken. Einige pflegen jedoch die Ruhestätten von mit ihnen nicht verwandten Personen. Sie beteiligen sich nämlich an einem Patenschaftsprogramm für historische Gräber, das bereits in mehreren Städten Tschechiens läuft.

Friedhof in Olšany  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Der Friedhof im Prager Stadtviertel Olšany ist der größte in Tschechien. Besser gesagt, es sind mehrere Friedhöfe mit einer Gesamtfläche von etwa 50 Hektar. Zwischen ihnen verlaufen stark befahrene Straßen. Die meisten Gräber hier sind gut erhalten. Doch lassen sich auch abgelegene Winkel finden, die beinahe geisterhaft wirken: Die Gemäuer von einst prunkvollen Gruften sind überwuchert von Efeu, die Grabinschriften sind kaum mehr zu lesen. Den Engeln fehlen die Köpfe, verrostete Kreuze fallen fast auf die Erde. Während hinter der Friedhofsmauer das hektische Leben der Großstadt pulsiert, kommt hier nur selten eine Menschenseele her. Oldřiška Dvořáčková von der Verwaltung der Prager Friedhöfe koordiniert die Grabpatenschaften:

„In den ältesten Teilen der Olšaner Friedhöfe ist der Zustand der Gräber wirklich trist: Jahrzehntelang hat niemand die Grabmieten bezahlt. Wir wissen nicht, ob die Nachfahren der Beerdigten noch leben, oder ob sie von den jeweiligen Gräbern überhaupt wissen. Einige Gräber sind sogar versunken. Im 19. Jahrhundert bestand nämlich der Unterbau aus Ziegeln. Diese Ziegel sind mit der Zeit zerfallen, was zunächst die Seiten der Gräber einstürzen ließ. Dann brach auch die waagerechte Grabtafel ein. Und nach ein paar Jahren war der Ort mit Blättern und Efeu bedeckt. Heute sieht man dort also nur noch eine überwachsene Grube, auf deren Boden sich der Umriss des Grabdeckels erahnen lässt.“

Immobilienmakler pflegt Dichtergrab

Eigentlich hat die Friedhofverwaltung das Recht, unbezahlte Gräber aufzuheben und die Plätze für weitere Verstorbene zur Verfügung zu stellen. Doch in Prag hat sie sich entschieden, alte Gräber, in denen vergessene, aber interessante Persönlichkeiten ruhen, zur Patenschaft anzubieten. Oft sind diese Grabstätten architektonisch wertvoll. Das Konzept ist dabei einfach: Der Pate verpflichtet sich, für zehn Jahre die Miete zu zahlen sowie 75 Prozent der veranschlagten Instandsetzungskosten. Die Instandsetzung selbst sowie die restlichen Kosten übernimmt die Friedhofsverwaltung. Die Liste der angebotenen Gräber ist im Internet veröffentlicht und wird regelmäßig aktualisiert. Man kann sich aber auch selbst ein verlassenes Grab heraussuchen und einen entsprechenden Patenschaftsvertrag mit der Friedhofsverwaltung abschließen. Das Projekt läuft seit 2013. Die Resonanz in der Öffentlichkeit ist seitdem ziemlich groß.

Grab des Dichters und Journalisten Karel Havlíček Borovský  (Foto: Petr Kadlec,  CC BY-SA 2.0)
„Ich bin sehr erfreut darüber, dass sich Interessenten selbst bei uns melden. Sie wollen dann wissen, wer für die Pflege eines konkreten Grabsteines verantwortlich ist. Üblicherweise steht dahinter ein spezifischer Grund seitens des Interessenten. Ein Immobilienmakler zum Beispiel hat jeden Tag seinen Weg zur Arbeit abgekürzt, indem er durch den Friedhof gegangen ist. Dabei hat er bemerkt, dass das Grab des Dichters und Journalisten Karel Havlíček Borovský nicht gepflegt wurde. Er fragte uns dann, wie er dazu beitragen könnte, das Grab in Ordnung zu bringen. Oder ein anerkannter Chirurg hat vorgeschlagen, das Grab eines Vorgängers an seiner Klinik aus dem 19. Jahrhundert zu renovieren. Vor kurzem haben wir einen Spendenvertrag mit einem Piloten abgeschlossen, der das Grab eines Pioniers der Luftfahrt adoptiert hat. Jeder der Interessenten hat seine eigenen Motive. Die Geschichten sind von Fall zu Fall verschieden“, sagt Oldřiška Dvořáčková.

Grab von Ladislav Stroupežnický  (Foto: Wirtus,  GNU Free Documentation License)
Bohumil Živnůstka hat bereits acht Gräber adoptiert, in jedem von ihnen ruht eine bedeutende Persönlichkeit der tschechischen Theaterkunst. Auf Olšany ist nämlich praktisch die ganze „Gründergeneration“ des Prager Nationaltheaters bestattet. Eines Tages im Jahre 2013 erfuhr Herr Živnůstka, dass das Grab von Ladislav Stroupežnický nicht mehr gepflegt wurde und aufgelöst werden sollte. Stroupežnický war Dichter und Dramatiker und führte als erster die Dramaturgie am Nationaltheater. Er habe sich zu seiner Rettungsaktion auch dadurch ermutigt gefühlt, dass Stroupežnický wie er aus Südböhmen stammte, sagt der Mäzen rückblickend.

„Zunächst habe ich in Stroupežnickýs Geburtsort Cerhonice darauf aufmerksam gemacht, dass das Grab des berühmtesten Sohnes sich in einem katastrophalen Zustand befindet. Ohne über jemanden schlecht reden zu wollen, muss ich sagen, dass niemand auf meine drei Briefe reagiert hat. Deswegen habe ich mich entschlossen, selbst Pate der Ruhestatt zu werden. Noch bevor der Winter kam, stopfte die Baufirma die Löcher im Grab, damit kein Wasser mehr eindringen konnte. Im folgenden Jahr wurde die Umrahmung saniert, der Grabstein gereinigt und die goldene Inschrift erneuert. Heute sieht das Grab wieder so aus, wie es aussehen soll.“

Ruhestätte von Václav Matěj Kramerius  (Foto: ČT24)
Dass die Kontaktaufnahme mit Stroupežnickýs Geburtsort nicht geklappt hat, war laut Oldřiška Dvořáčková eine Ausnahme. Denn das Projekt hat eigentlich das Interesse vieler Gemeinden geweckt, sich um die Gräber ihrer in Prag beerdigten bedeutenden Töchter und Söhne zu kümmern. Die Stadt Klatovy / Klattau hat sich beispielsweise verpflichtete sich, die Ruhestätte von Václav Matěj Kramerius zu pflegen. Kramerius hat als Schriftsteller und Journalist zu Ende des 18. Jahrhunderts den ersten tschechischen Verlag gegründet – die „Česká expedice“. Dort gab er mehr als 80 Bücher heraus, von denen er die meisten selbst geschrieben oder übersetzt hatte. Aber auch Hochschulen, Vereine oder Sportvereine melden sich als Paten. Manchmal rufen sie zu öffentlichen Spendenaktionen auf, wenn die Restaurierung des Grabs zu aufwendig ist.

Weißrussen entdecken Gruft des Exilpräsidenten

Wasil Zacharka
In Prag befinden sich aber auch Gräber ausländischer Persönlichkeiten, die hierzulande tätig waren. Einer von ihnen war Wasil Zacharka, Exilpräsident der sogenannten Weißrussischen Volksrepublik. Zacharka flüchtete wie viele seiner Landsleute nach dem Ersten Weltkrieg in die Tschechoslowakei, wo er sich für die Unabhängigkeit seiner Heimat einsetzte. Um das Grab des Ex-Präsidenten kümmert sich der Weißrussische Bildungsverein in Prag. Alena Kovářová ist Vorsitzende des Vereins:

„Auf der Suche nach den Spuren der weißrussischen Geschichte in Prag sind wir auf den Friedhof Olšany gelangt. Dort haben wir das Grab des Präsidenten der BNR entdeckt. BNR ist die Abkürzung für die unabhängige Weißrussische Republik, die 1918 ausgerufen wurde. Ihre Regierung war in Kontakt mit Tomáš Garrigue Masaryk. Der erste tschechoslowakische Staatspräsident versprach der weißrussischen Regierung seine Unterstützung, wenn diese ihr Staatsgebiet unter Kontrolle gebracht habe. 1920 übernahmen jedoch die Bolschwiken die Macht in Weißrussland. Die Regierung musste ins Exil – zunächst nach Litauen, dann nach Prag. In der tschechoslowakischen Hauptstadt lebten und starben daher zwei weißrussische Exilpräsidenten: Peter Kretschewski und sein Nachfolger Wasil Zacharka.“

Foto: ČT24
In Prag haben bereits mehr als 100 vergessene Gräber von historischen Persönlichkeiten einen Paten. Aber rund 1000 weitere warten darauf, vor dem Untergang bewahrt zu werden. Auf der Liste befindet sich zum Beispiel die monumentale Gruft von Wincenz Daněk, einem Konstrukteur und Industriellen, Mitinhaber der einst berühmten Maschinenbaufirma ČKD. Auf dem Grabstein ist noch die verblasste Aufschrift „Ritter von Esse“ zu lesen. Diesen Titel erhielt Daněk von Kaiser Franz Joseph I. für seine Verdienste um die industrielle Entwicklung in der Habsburger Monarchie. Bei der Renovierung der Gruft wird jedoch der Pate tief in die Tasche greifen müssen. Die notwendigen Kosten werden auf gut 10.000 Euro geschätzt.

Das Prager Projekt hat auch andere Städte und Gemeinden hierzulande inspiriert, verfallende Gräber bedeutender Persönlichkeiten in Augenschein zu nehmen. So hat die westböhmische Stadt Cheb / Eger für diesen Zweck eine eigene Stiftung gegründet.