Pilze und Granaten - historische Altlasten in Ralsko

Granat

Bei seiner Reise durch die Dörfer Tschechiens ist Christian Rühmkorf heute für Radio Prag im Gebiet Ralsko / Rollberg unterwegs. Es liegt rund 100 Kilometer nördlich von Prag, am Rande des früheren Sudetengebietes. Noch vor 20 Jahren wurde hier scharf geschossen. Die Narben sind der Landschaft noch heute anzusehen. Ralsko versucht in eine neue Zukunft aufzubrechen, in der Pilzesammler und Wanderer ihr Paradies finden. Doch so leicht schüttelt man die Vergangenheit nicht ab.

Weite Wälder erstrecken sich über das 250 Quadratkilometer große Gebiet Ralsko, zu Deutsch Rollberg. Und gerade jetzt, nach den Sturzbächen von Regen, wachsen sie prächtig, die Pilze. Der 40-jährige Vladimír hat seinen Weidenkorb schon gut gefüllt.

„Ich sammle mehr oder weniger nur in der Nähe der Wege. Da, wo auch andere sammeln. Ich bin beim Pilzesammeln schon auf Munition gestoßen. Das ist vielleicht drei Jahre her.“

Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes in Ralsko
Die Munition war zwar schon explodiert, erzählt Vladimír, aber man weiß ja nie.

„Ich habe keine Ahnung, was da auf der anderen Seite der Asphaltstraße alles liegt. Aber seit ich die Munition gefunden habe, mache ich einen großen Bogen um das Gebiet.“

Nur 100 Meter weiter im Wald sucht František den Boden nach Pilzen ab. Aber auch er weiß genau, wo er nie einen Fuß hinsetzen würde, selbst wenn dort noch so viele Pilze wären. Er zeigt Richtung Süden.

Ehemalige Gebäude der Sowjet-Armee am Hradový-Berg  (Foto: Jiří Vackář,  www.wikimedia.org)
„Da bei der Burg Bezděz liegt noch scharfe Munition im Wald. Da gehen wir nicht hin, da wo die Russen waren. Mein Freund Olda, der hat letzte Woche scharfe Sprengkörper gefunden. Da sind dann gleich die Pyrotechniker gekommen.“

Das riesige Gebiet, in dessen Mitte das frühere Dorf Kuřívody, auf Deutsch Hühnerwasser liegt, ist schon von den Kanonen der Kaiserlichen Truppen Österreich-Ungarns zerschossen worden. Später hinterließen die Wehrmacht und nach dem Krieg die Truppen der kommunistischen Tschechoslowakei tiefe Spuren im Sand von Ralsko. Die gefährlichste Erbschaft jedoch stammt von der Sowjet-Armee, die seit 1968 auf dem Militärübungsplatz den Ernstfall geprobt hat. Sie lagerte hier auch atomare Sprengköpfe. Im Gebiet Ralsko liegen noch heute Tonnen von Munition und Schadstoffen unter einer dünnen Erd- und Sandschicht verborgen. Nach dem Abzug der Sowjets 1991 haben Pyrotechniker beseitigt, was sie konnten. Trotzdem: Ralsko ist noch heute ein Pulverfass. Einer der Pyrotechniker von damals ist der stellvertretende Bürgermeister von Ralsko, Václav Bilický. Er leidet an einer Berufskrankheit:

Václav Bilický  (Foto: Ota Bartovský,  MF Dnes)
„Ich habe auch Pilze gesammelt, aber anstelle von Pilzen habe ich immer Munition gefunden. Mein Blick war einfach geschärft für Munition.“

Da wo die Pilze wachsen, droht keine Gefahr mehr, meint Václav Bilický. Die Pilzesammler hätten nämlich ganze Arbeit geleistet.

„In den letzten 20 Jahren haben sie beim Pilzesammeln die gefährlichste Munition aufgestöbert und den Behörden gemeldet. Auf diese Weise haben sie den Wald – da wo Pilze und Blaubeeren wachsen – von der Munition gereinigt.“

Tödliche Unfälle hat es auch gegeben, aber nur wenn Pilzsammler die Munition als Souvenir mit nach Hause genommen haben, berichtet Bilický.

Ralsko will endgültig einen Schlussstrich unter seine lange Militärgeschichte ziehen. Die seit 20 Jahren nahezu unberührte Natur soll Touristen anlocken. Noch diese Woche will der stellvertretende Bürgermeister Bilický EU-Gelder für ein Tourismuszentrum beantragen.