„Politik ist ruhig und sachlich“ – Tschechischer Fernsehkorrespondent über Deutschland
Martin Jonáš ist Korrespondent für das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen in Deutschland. Seit 2012 ist der Mitt-Dreißiger in Berlin, um den Tschechen zu erklären, wie Deutschland funktioniert. In unserer Sendereihe Heute am Mikrophon spricht der Historiker und Politologe über sein Leben, über seine Lieblingsgegend und über seine Interviews in Deutschland.
„Eine Ausbildung dazu gibt es nicht, aber man sollte einige Erfahrungen auf diesem Gebiet mitbringen. Die meisten langjährigen Mitarbeiter der Auslandsredaktion des Fernsehens sind bereits viel um die Welt gereist. Sehr gefragt sind Erfahrungen mit Aufenthalten in Krisengebieten. Man sollte flexibel sein, mit wenig Schlaf auskommen und trotzdem viel arbeiten können, sowie in schwierigen Situationen die Nerven behalten. Das braucht man alles, um als Auslandskorrespondent zu arbeiten, auch wenn Deutschland natürlich kein Krisengebiet ist.“
Haben Sie ein besonderes Interesse an Deutschland, also schon einmal hier gearbeitet oder studiert?„Ich habe in Berlin studiert und mein besonderes Interesse gilt der Geschichte Deutschlands. Deswegen habe ich auch Zeitgeschichte studiert. Meine Abschlussarbeit befasste sich mit der Besatzungspolitik Amerikas in Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Doktorand habe ich dann auch einen Kurs über die deutsch-amerikanischen Beziehungen gegeben. Ich habe also durchaus eine Verbindung zu Deutschland, auch wenn ich als Redakteur in Tschechien über den Balkan oder den Nahen Osten gearbeitet habe.“
Wie groß ist das Team des Tschechischen Fernsehens in Deutschland?„Das ist einfach zu beantworten: Wir sind hier zu zweit. Das entspricht leider überhaupt nicht jenen Bedingungen, die in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien herrschen. Die Teams von ARD, ZDF und so weiter in den bedeutenden Städten bestehen aus drei bis sieben Mitarbeitern. Wir sind nur zu zweit, dass heißt, ich bin gleichzeitig meine eigene Sekretärin und mein eigener Produzent. Aber, so ist das leider, es muss eben gespart werden.“
Wo haben Sie ihre Zelte in Deutschland aufgeschlagen, wohnen Sie in Berlin, oder hätten Sie auch woanders hinziehen können?
„Es wäre nicht sinnvoll, die Zentrale woanders als in Berlin zu haben. Hier spielt sich alles Entscheidende in der Politik ab und es ist einfach praktisch, den zentralen Behörden nahe zu sein, hier befindet sich auch die Bundespressestelle. Und natürlich bietet Berlin selbst auch zahlreiche interessante Themen.“Wie häufig müssen Sie denn durch Deutschland reisen?
„Wir reisen sehr oft und gern. Viele Tschechien wissen nicht, das Deutschland ein dezentralisiertes Land ist, es ist nicht wie in Tschechien oder vielleicht Frankreich. Wir reisen mindestens ein Mal pro Monat, manchmal auch öfter. Aus Kostengründen haben wir leider keine anderen Korrespondenten in Deutschland. Es wäre natürlich praktisch, noch jemanden in München zu haben. Die Distanz zwischen Berlin und München ist viel zu weit. In Bayern oder Baden-Württemberg können wir deshalb leider nicht so oft drehen, wie wir gerne wollen.“
Was ist denn Ihre Lieblingsregion in Deutschland, wo gefällt es Ihnen am besten?„Ich habe eine Vorliebe für die Lausitz entwickelt. Sie hat für mich etwas Zauberhaftes, vielleicht weil es mich so sehr an Tschechien erinnert. Auch dort hat sich viel weitentwickelt und verändert. Die Geschichte von den Sorben hat etwas ziemlich Süßes für mich. Ich liebe Bautzen. Es ist eine kleine, historische und eher unbedeutende Stadt und auch dies verbinde ich wohl mit Tschechien. Es gibt aber auch noch weitere Orte. Hamburg zum Beispiel ist die pure Romantik für die meisten Tschechen. Die Stadt symbolisiert ein Tor zur Welt und dort haben viele Tschechien einst die alte Welt verlassen.“
Und was schätzen Sie an Deutschland besonders, was ist in Tschechien gut, sowohl in der Politik, als auch privat?„In der Regel sind die Menschen in Deutschland etwas höflicher. Ich glaube, dass auch in Tschechien die Leute noch höflicher werden. Meine Erfahrung ist, dass die Höfflichkeit in Europa etwas mit Wohlstand zu tun hat. Das ist der erste, positive Eindruck. Dann ist die Politik ziemlich bedeutend für die Menschen, im Vergleich zu Tschechien ist der Unterschied in der Lebensqualität doch mehr von der Politik geprägt, als ich dachte. Natürlich ist die Politik in Deutschland viel ruhiger und sachlicher, dass konnte man in Deutschland und Tschechien im Herbst nach den Wahlen sehr gut beobachten. Petr Robejšek, der bekannte tschechische Analytiker und Emigrant aus Hamburg sagt‚ es sei keine Frage der Gene, dass die Deutschen die Politik besser beherrschen, es sei eine Frage der Erfahrung.“
Was war bisher in Deutschland ihr wichtigstes Erlebnis, welches Interview hat Sie am meisten beeindruckt?
„Es gab eine Menge wichtige Interviews. Beeindruckend sind meistens jene zur Außenpolitik. Ich erinnere mich auch an ein wunderbares Gespräch mit einer Ärztin, die vor der Wiedervereinigung aus dem Gefängnis im Osten Deutschlands freigekauft wurde. Ein anderes wichtiges Interview hatte ich mit dem DDR-Flüchtling Wolf Biermann. Interessant waren auch die vielen Interviews mit Kirchenvertretern. Es ist ein Unterschied zwischen Deutschland und Tschechien: Fast immer, wenn wir in die sozialen Brennpunkte gehen, treffen wir auf Vertreter von dieser oder jener Kirche. Ich glaube, dass die Kirchen in Deutschland noch immer soziale Knoten sind. Das ist ein Unterschied zu Tschechien, zu unserem recht atheistischen Volk.“
Wie lange wird ihr Aufenthalt in Deutschland dauern – und wohin wird Sie ihre nächste Station führen? Wieder als Korrespondent in ein anderes Land oder möchten Sie wieder zurück in die Zentrale nach Prag?„Durchschnittlich bleibt man vier Jahre. Jedoch ist es sehr flexibel und der Korrespondent bleibt zwischen drei bis fünf Jahren im Land. Ich persönlich kann keinen Einfluss auf die Entscheidung nehmen. Aber bestimmt werde ich danach erstmal eine bestimmte Zeit in Tschechien verbringen und danach möchte ich nochmal ins Ausland. Das hängt selbstverständlich auch von meinen Sprachkenntnissen ab, also Englisch und Französisch. Ich kann also nicht in Russland oder Polen Korrespondent werden. Das andere ist noch offen.“
Dieser Beitrag wurde am 17. Dezember 2013 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.