Politische Reden zum Jahreswechsel: Emotionen, platte Phrasen und ein komischer Auftritt
Der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman hat die Änderung einer jahrelangen Tradition angekündigt: Statt am Neujahrstag wird er seine Rede zu Weichnachten halten. Er wolle damit zu einer Gewohnheit der Zwischenkriegszeit zurückkehren, als sich die Staatspräsidenten mit Weihnachtsbotschaften an die Öffentlichkeit wendeten, erklärte Zeman. Was genau die Politiker damals ihren Bürgern zum Jahresumbruch sagten, erfahren Sie in unserem Kapitel aus der tschechischen Geschichte.
„Lieber Professor Einstein, ich wünsche ihnen zum neuen Jahre viel Glück und Gesundheit. Tragen sie auch weiterhin durch ihre Arbeit zur Förderung der Wissenschaft und zur Verständigung aller Völker bei.“
Die Verbindung war aber nicht besonders gut, daher antwortete Albert Einstein telegraphisch. Der Radiosprecher lass seine Worte vor:
„Dieser Weihnachtsgruss aus Prag ist in Wahrheit an alle diejenigen gerichtet, denen in dieser Zeit der Verwirrung die Erhaltung der geistigen Güter am Herzen liegt. Die alle wissen, dass die Tschechoslowakei unter schwierigen Bedingungen jene politische Freiheiten und Menschenrechte schützt und verteidigt. Deshalb sind die Hoffnungen und herzlichen Wünsche aller Freunde der Wahrheit, Menschlichkeit und Freiheit auf die im Herzen Europas gelegene Tschechoslowakische Republik gerichtet, die unter der Führung ungewöhnlich weiser Männer imstande war und ist, für eine bessere Zukunft Europas erfolgreich zu wirken.“Auf eine bessere Zukunft musste Europa jedoch noch lange Zeit warten. Nach dem Münchner Abkommen 1938, infolge dessen die Tschechoslowakei ihre Grenzgebiete an Deutschland abtreten musste, dankte Staatspräsident Beneš ab und ging ins Exil. Auf dem Posten des Staatspräsidenten ersetzte ihn Emil Hácha, ein Jurist, der Besonnenheit und hohe moralische Integrität verkörperte. Am Heiligabend 1938 hatte er eine sehr schwere Aufgabe: Er musste der Öffentlichkeit in der depressiven Atmosphäre Trost spenden.
„Die fröhliche Weihnachtslaune, im Laufe einer hundertjährigen Tradition entwickelt, erlaubt uns nicht, die beklemmende Trauer zu vergessen. Diese Trauer kann mich nicht dazu bewegen, Hoffnungen für die nächsten Jahre zu wecken. Es gibt aber trotzdem Licht in dieser unserer nationalen Abenddämmerung. Wir befinden uns noch immer auf unserem eigenen Stück Erde, das wir schon seit mehr als 1000 Jahren bewohnen. Wir haben noch immer unseren eigenen Staat, den wir vor 25 Jahren noch nicht gehabt haben. Trotz des großen Sturmes, der uns so stark erschütterte, stehen wir fest auf unserem Platz und arbeiten. Nach der Krise im Verhältnis zu unseren slowakischen Brüdern haben wir unsere Identität wiedergefunden und können mit gutem Willen leben.“ Die Slowaken hatten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre immer stärker Autonomie gefordert. Die Krise zur Zeit des Münchner Abkommens hat diese Tendenzen noch verstärkt. Bereits am 13. März 1939 stimmten die Vertreter der slowakischen autonomen Regierung Hitlers Vorschlag zu, einen selbständigen slowakischen Staat auszurufen. Das Landesparlament in Bratislava folgte dieser Empfehlung bereits am nächsten Tag, womit die Tschechoslowakei aufhörte zu existieren. Am selben Abend folgte Hitlers Ultimatum an Emil Hácha: er sollte entweder die Entstehung des Protektorats Böhmen und Mähren akzeptieren oder mit einem militärischen Angriff auf Prag rechnen. Nach erschöpfenden Verhandlungen in Berlin entschied sich Hácha für die Kapitulation. In den nächsten Jahren konnte man im Rundfunk daher zwei Präsidenten hören: Emil Hácha als formellen Präsidenten des Protektorats und den Exilpräsidenten Edvard Beneš. Der erste hatte seinen Sitz in Prag und wurde streng von den deutschen Besatzern kontrolliert. Der zweite war mit seiner Exilregierung in London tätig, seine Reden wurden auf den Wellen der BBC übertragen. Hier muss betont werden, dass das Hören ausländischer Radiosender im Protektorat mit dem Tode bestraft wurde. Die Besatzer wollten Hácha als folgsame Marionette nutzen, er wurde aber bald krank und verwandelte sich in eine psychisch gebrochene Person. Weihnachten 1942 hielt er daher keine Rede mehr. Stattdessen erklang am Neujahrstag die Stimme des Kollaborateurs und Protektoratsministers Emanuel Moravec aus den Radiogeräten.„Am Neujahrstag soll man sein Inneres erforschen und sich vornehmen, alte Fehler im kommenden Jahr zu vermeiden. Auch das tschechische Volk sollte sich in diesem Moment etwas versprechen, wenn es sich eine starke und gesunde Zukunft wünscht. Vor allem müssen wir schwören, dass wir nur tschechische Politik machen werden. Es geht um die Politik der Přemysliden, um die Politik des Heiligen Wenzels und die Politik der ehrlichen Treue zum Deutschen Reich. Das vergangene Jahr war für uns schwierig. Es hat sich aber gezeigt, dass die Mehrheit von uns verstanden hat, welche Vorteile uns die nationalsozialistische Revolution gebracht hat.“
Nach dem zweiten Weltkrieg sprach Edvard Beneš noch dreimal an Weihnachten im Rundfunk. Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1948 knüpfte Regierungschef Antonín Zápotocký an die alte Tradition an. 1952 erklärte er, wie die Ideologie das Weihnachtsfest neu gestalten sollte. Er wandte sich damit an Kinder und Jugendliche:„Ihr Jugendlichen, ihr konntet die vielen Änderungen der letzten Jahre bei uns noch nicht bemerken. Auch das legendäre Weihnachtsfest ist nicht mehr dass, was es früher war. Zwar strahlen noch immer die Bäumchen und die Geschenke werden noch erwartet, aber die Krippe, diese unverzichtbare Weihnachtskulisse von früher, wird schnell verschwinden. Das Christkind im Stall, umgeben von Stroh, Schafen und Eseln unter dem Betlehemstern, das ist ein Symbol der alten Weihnachten. So sollte den Armen und Arbeitern gezeigt werden, dass sie in den Stall gehörten. Denn wenn dort das Christkind zur Welt kommen konnte, dann könnten dort auch die Arbeiter wohnen und ihre Kinder gebären. So haben die Reichen zu den Armen gesprochen. Kein Wunder also, dass in der Zeit der kapitalistischen Herrschaft auch viele Arme in Ställen leben mussten. Diese Zeiten sind aber nun vorbei. Das Christkind ist ausgewachsen, es ist ein reifer Mann geworden, trägt Barthaar und heißt „Väterchen Frost“. Er ist nicht mehr nackt, sondern schön gekleidet mit Fellmütze und Pelzmantel. Auch unsere Kinder und Arbeiter sind nicht mehr nackt und zerlumpt. Väterchen Frost kommt aus dem Osten zu uns und seinen Weg beleuchten nicht nur ein einziger Stern, sondern tausende rote Sterne auf den Dächern unserer Betriebe. Diese Sterne melden fröhlich, dass ihre Eltern die Aufgaben des Fünf-Jahres-Plans erfüllt haben.“
Ab 1953 begann dann die Tradition der Präsidentenreden am Neujahrstag. Es waren jedoch meistens nur langweilige Phrasen: zum Beispiel, wie viele Tonnen Stahl produziert wurden und wie das Land aufblühen würde. Erst nach 1990 wurde es wieder interessant, den Worten der Staatspräsidenten zu lauschen.